Literatur
: Gegen die Einfachheit


Der Schriftsteller, Kabarettist und Musiker Roland Meyer hat mit seinem letzten Wurf „Wenn immer alles so einfach wäre“ nicht nur die woxx verblüfft – eine Begegnung.

(Fotos: Privat)

Aufgeregt ist anders. „Es ist cool, da mal vorbeizuschauen“, meint Roland Meyer in Bezug auf seine Lesung auf der Frankfurter Buchmesse, die gleich ansteht. Mehr aber auch nicht. Dass er zur erlesenen Schar gehört, die auf Staatskosten – und nach Jahren der Abwesenheit – Luxemburg auf der wohl bedeutendsten Literaturveranstaltung im deutschen Raum vertreten wird, entbehrt nicht der Ironie. Denn in „Wenn immer alles so einfach wäre“ wird mit dem Nation-Branding-Zirkus der Regierung nicht gerade zimperlich umgegangen, um es gelinde zu formulieren. Und in Frankfurt wird wohl auch ein überdimensioniertes rot-weiß-blaues X die Besucher*innen begrüßen.

Aber sein Ticket nach Frankfurt verdankt er nicht nur dem Erfolg seines Romans, sondern schlicht auch der Wahl der deutschen Sprache – Meyers andere Bücher sind, bis auf drei ältere Kinderbücher, alle auf luxemburgisch geschrieben. Wieso er sich bei seinem letztes Werk für das Deutsche entschieden hat, begründet Meyer so: „Ich wollte mehr Abstand zu meinen Figuren gewinnen und auch von der Ich-Form wegkommen. Das fällt mir in einer Fremdsprache einfacher – auch wenn ich deswegen viel länger an diesem Buch gearbeitet habe. Und auch weil ich angesichts der lächerlichen Sprachendebatte – wo ich immer zum Kreis der guten, auf luxemburgisch schreibenden Autoren zähle – den national Bewegten eins auswischen wollte. Ich bin sozusagen etwas verbohrt“. Oder wie auch immer man „verbruet“ übersetzen kann.

Etwas „verbruet“

Aber nicht nur die Sprache hat gewechselt in „Wenn immer alles so einfach wäre“, auch der Aufbau des Romans ist für Meyer etwas untypisch. In sehr kurzen Kapiteln schlüpft der Autor in die Haut seiner Figuren. Meyer bewegt sich dabei geschickt auf verschiedenen Zeitschienen, taucht in dunkle Geheimnisse aus der Vergangenheit ein oder beschreibt sehr krude Momentaufnahmen. Der Text beginnt übrigens mit fast der gleichen Mordszene mit der er endet – aber in der Zwischenzeit haben die Leser*innen eine gänzlich andere Perspektive auf das Geschehene. Meyer dazu: „Das war schon fast so geplant. Anfangs wollte ich immer drei kurze Kapitel aus einer Perspektive hintereinander setzen. Aber über dem Schreiben habe ich gemerkt, dass dies nicht klappen würde, also sind es öfters nur zwei oder nur ein Kapitel aus einem bestimmten Gesichtspunkt“.

Die Personen, die Meyer in seinen Roman einbaut, wirken alle komplett und nicht zweidimensional, wie das öfters in komplexen Textstrukturen vorkommt. Dies liegt nicht zuletzt an der Arbeitsweise des Autors: „In einer ersten Phase lerne ich die Charaktere kennen und baue sie auf. Dabei geht es mir nur um die innere Vorstellung. Wer aufpasst, bemerkt, dass es keine einzige physische Beschreibung im Roman gibt. Wenn ich dann weiß, mit wem ich es zu tun habe, schicke ich sie in die Arena – dort treffen sie aufeinander und dort entwickelt sich dann langsam, aber sicher die Geschichte, die ich erzählen will. In einer letzten Phase entblößt sich langsam das Thema, das dem Narrativ zugrunde liegt. In diesem Fall ist es der Drang nach Selbstveränderung, nach radikaler Vereinfachung der eigenen komplexen Existenz. Das ist etwas sehr Gefährliches, betrifft es doch nicht nur die Populisten und ihre Klientel, sondern auch die Eliten.“ Und mit einem Kommunikationsberater der seine Existenz hinschmeißt, um sich mit einer ehemaligen Beamtin in ein Haus am Waldrand zurückzuziehen – ist ihm die Umsetzung seines Themas durchweg gelungen. Denn auch über diese Kerngeschichte hinaus, ist die oft gefährliche Vereinfachung und auch der Drang danach omnipräsent – so auch in der Aufklärungsarbeit der Polizei, die im eben genannten Mordfall recherchiert.

Für Meyer, der angibt, nur im Urlaub zu schreiben und „auf keinen Fall zu Hause, da gibt es zu viele Ablenkungen“, war „Wenn immer alles so einfach wäre“ also eine echte Herausforderung. Geschrieben hat er das Buch denn auch teilweise in Berlin-Kreuzberg, wo sein Sohn seit etlichen Jahren lebt. Und auch wenn der Autor angibt, er „schreibe eigentlich immer das gleiche Buch“, sticht dieses jedoch hervor – durch seine Präzision, aber auch wegen der oft nicht gerade jugendfreien Szenen, die Meyer detailliert beschreibt.

Nation-Branding für die Katz

Auf die Frage hin, ob es sich bei „Wenn immer alles so einfach wäre“ auch um Autobiografisches handelt, schmunzelt Meyer nur: „Ich kriege die Frage oft bei Schulvorlesungen gestellt und dann greife ich immer auf eine Lego-Metapher zurück: Ein Buch ist wie ein Lego-Kasten, den man aus vielen kleinen Stücken zusammenbauen muss, nur dass es nicht unbedingt einen festen Plan gibt. Aber Scherz beiseite, natürlich bin ich nicht in den Genuss einiger der pikanteren Szenen, die ich beschreibe, gekommen – aber einiges von mir steckt drin. Und sei es nur das Ösling, das ich meine Heimat nenne, auch wenn es nicht gerade idyllisch wegkommt und natürlich Berlin, das ich seit Jahren kenne. Hinzu kommt vielleicht auch meine Neigung als Kabarettist, solchen Unsinn wie die Nation-Branding-Kampagne durch die Mangel zu drehen. Denn als Antwort auf die Finanz- und Steuerskandale, die das Image des Großherzogtums beschmutzten, ist auch diese Antwort eine viel zu einfache Lösung.“

Für Meyer, der über das Kabarett und das Schultheater (er arbeitete die letzten zehn Jahre in einem Schultheater-Programm, das ihn kreuz und quer durch Luxemburg jagte) zum Schreiben kam, war es auch die Lust an einer neuen Herausforderung, die ihn dazu trieb, eben genau dieses Buch zu schreiben. Beim Kabarett dreht sich alles um Rhythmus und Dialog – da musst du auch in jeden dritten Satz eine Pointe einbauen“, erklärt er. In „Wenn immer alles so einfach wäre“ hat Meyer bewusst keine direkte Rede eingebaut, um sich so von der Kabarett-Schreibe zu entfernen. Aber es ist nicht nur die Schreibweise, die anders ist: „Dieser Roman ist nicht populistisch, auch wenn er das Thema behandelt. Kabarett hingegen ist – oder war – immer populistisch. Das ist auch mein Challenge, wenn ich jetzt Kabarett-Texte schreibe: Gewisse Dinge kann man heutzutage eben nicht mehr sagen, auch weil sich die rechten Populisten diese Themen unter den Nagel gerissen haben. Schwulenwitze haben wir noch vor zehn Jahren gemacht, heute geht das natürlich nicht mehr. Also muss ich versuchen lustig zu sein, ohne dabei „Hoppen Théid“-Schenkelklopfer zu produzieren. Aktuell versuche ich dies auch mit meinen Solo-Kabarett-Lesungen – wie „Food Leaks“ und „Zikel-Alarm“ –, denn da habe ich mehr Freiheit und kann experimentieren“.

In Meyers Schublade stapeln sich übrigens bereits die nächsten Werke. Darunter: Ein Kinderbuch mit einem weniger bekannten Illustrator und eine Erzählung auf Luxemburgisch, die er gerade begonnen hat. „Es wird wohl noch eine Zeit dauern, bis es druckreif wird, aber es ist eine autobiografische Erzählung über meine Jugend. Ich habe den rechten Aufschwung jetzt so lange verfolgt, dass ich mich gefragt habe, ob es vor Jahrzehnten besser war. Und die Antwort ist klar: Die waren immer schon da und früher war es teilweise noch schlimmer, wenn ich zum Beispiel an Schule denke und an die Schläge, die wir als Kinder einstecken mussten, von Lehrern und Pfarrern und so weiter“.

Ob „Wenn immer alles so einfach wäre“ das Werk seiner Maturität ist, weiß Roland Meyer nicht so genau: „Das ist eine verflixte Frage. Wenn ich jetzt ja sage, heißt das, es kommt nichts Besseres mehr und wenn ich nein sage, heißt das, dass das Buch vielleicht nicht das Beste ist. Aber ehrlich gesagt, ich habe viel dazugelernt in den letzten Jahrzehnten und vieles von dem fließt auf ganz natürliche Weise in mein Schreiben ein. Und das ist mir viel wichtiger als mich mit irgendeiner Szene – und deren kenne ich ja viele, neben der Literatur auch noch die Musik und das Kabarett – herumzuplagen. Ich halte mich immer noch sehr gerne auf Distanz zu solchen Dingen.“

Vielleicht erklärt dies, wieso Meyer nicht zu den Rampensäuen der Literaturszene gehört: Sein vom Kabarett herrührendes Querulantentum erlaubt es ihm, über den Dingen zu stehen. Und das ist auch gut so.


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