Neue Gentechnik: Kontrollverlust

Der EU-Gesetzgebungsprozess um sogenannte neue Gentechnik nimmt Fahrt auf. Umweltverbände warnen vor Kontrollverlust. Doch die Debatte müsste grundlegend anders geführt werden.

Umwelt-NGOs befürchten, geneditierter Raps könnte negative Auswirkungen auf Bestäuberinsekten haben. (Foto: Peter Kochut / Blossom of Rapeseed plant / CC BY-SA 2.0)

Vergangenen Freitag einigten sich die EU-Mitgliedstaaten im Rat auf einen Vorschlag für die Regulierung sogenannter neuer Gentechnik (englisch „new genomic techniques“ – NGT). Diese Techniken, allen voran die „Genschere“ Crispr-Cas, können viel genauere Änderungen im Genom von etwa Pflanzen vornehmen als jene, die 2001 aktuell waren. Damals wurde die erste Regulierung von Gentechnik in der EU beschlossen. Nun argumentieren sowohl Konzerne als auch die EU-Kommission, dass Pflanzen, die mittels NGT „geneditiert“ wurden, diese veränderten Eigenschaften auch mittels konventioneller Zucht erhalten könnten. NGT-Pflanzen sollen daher künftig nur dann als „gentechnisch veränderte Organismen“ (GMOs) gelten, wenn mehr als 20 Gen-Änderungen mittels NGT durchgeführt werden.

Politik wird somit zu einer Übung in Semantik: Statt „genetisch modifiziert“ heißt es „geneditiert“. Anstatt klar zu sagen, was passieren soll, wird sich hinter einem rhetorischen Trick versteckt: Wenn man NGT-Pflanzen auch auf normalen Wegen so züchten könnte, dann seien sie quasi „natürlich“. Die Idee, dass alles „natürliche“ gut sein soll, ist genauso unsinnig wie jene, dass es nach 10.000 Jahren Landwirtschaft noch „natürliche“ Nutzpflanzen gebe.

Ein Versteckspiel treiben auch die CSV und ihre Landwirtschaftsministerin Martine Hansen: Sowohl im Nationalwahlkampf 2023 als auch im EU-Wahlkampf 2024 schwieg sich die größte Partei Luxemburgs zum Thema NGT einfach aus. Oder sollten mit den „innovativen Familienbetrieben“, die die CSV laut dem Agrarkapitel in ihrem Wahlprogramm 2023 fördern wollte, etwa Bayer und BASF gemeint gewesen sein? Im Dezember 2023 enthielt sich Luxemburg bei einer Abstimmung zum Thema im Rat – allerdings vor allem deswegen, weil Probleme mit der Patentierung von Saatgut befürchtet wurden (siehe woxx 1808: Der Fall der „erfundenen“ Pflanzen).

Anstatt klar zu sagen, was bei der Gentechnik passieren soll, versteckt sich die Politik hinter einem rhetorischen Trick.

Umweltorganisationen und Bio- landwirt*innen teilen die Sorgen um Patente zwar, ihre Kritik geht jedoch wesentlich weiter: Ohne klare Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit könnten NGT-Pflanzen „sich unkontrolliert ausbreiten“ und „biologische Anbauflächen […] verunreinigen“, schreibt beispielsweise die „Vereenegung Biolandwirtschaft Lëtzebuerg“. In einem offenen Brief an Gesundheitskommissar Olivér Várhelyi forderten 29 Umwelt-NGOs Ende Februar die Rücknahme der Regulierung, die sie als „nicht wissenschaftsorientiert, sondern arbiträr“ bezeichneten.

Die Zahl der Genveränderungen allein wäre kein Indikator dafür, wie gravierend die daraus resultierende Änderung sei. Sie verweisen auf Aussagen des deutschen Vereins „Fachstelle Gentechnik und Umwelt“, der Gefahren für Bestäuberinsekten sieht, wenn beispielsweise beim Raps die Produktion bestimmter Fettsäuren verändert würde. Sie geben auch zu bedenken, dass vermutlich nicht eine einzelne geneditierte Pflanze für Probleme in Ökosystemen sorge, sondern die Summe vieler diverser Effekte.

Die Debatte um Gentechnik müsste grundlegend anders geführt werden. Aktuell wird auf EU-Ebene mit einer Art rhetorischem Trick – „NGT-Pflanzen sind keine GMOs“ – und absurd willkürlichen Definitionen versucht, zu deregulieren. Im Vordergrund sollte jedoch eine ganz andere Fragen stehen: Welche Art von Landwirtschaft wollen wir? Wie viel Risiko sind wir bereit einzugehen, wenn die konventionelle Landwirtschaft mit Monokulturen und Pestiziden bereits sehr viel Druck auf die Ökosysteme ausübt und die Artenvielfalt leidet? Sollte die Produktion von Lebensmitteln und damit verbunden, die Gestaltung und Pflege von Landschaften, überhaupt einer profitorientierten Marktwirtschaft unterliegen?

Am Ende einer solchen Debatte könnte durchaus herauskommen, dass NGT eine Möglichkeit sein könnte, um eine gemeinsam erdachte Landwirtschaft zu gestalten. Die Forschung daran sollte jedoch keinesfalls kapitalistischen Konzernen überlassen werden. Sie sollte von öffentlichen Stellen unter demokratischer Kontrolle passieren, und nicht die Bedürfnisse „des Marktes“, sondern jene von Mensch und Natur erfüllen. Das bedeutet vermutlich auch, dass wohl die wenigsten Veränderungen so trivial sind, dass sie keiner Folgenabschätzung bedürfen. Fährt die EU weiter auf dem aktuellen Kurs, werden die Nachteile der Landwirtschaft, so wie sie momentan praktiziert wird, sich auch mit NGT-Pflanzen verstärken – und es könnte tatsächlich ein ökologischer Kontrollverlust drohen.


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