Die Wasserschichtung im Meer kann durch kleinste Eingriffe durcheinandergebracht werden. Roboter helfen dabei, die Auswirkungen von Windrädermasten zu verstehen.
Im Meer geht es turbulent zu. Alles wird ständig durcheinandergemischt. Dafür sorgen die Wirbel an der Oberfläche, die der Wind erzeugt, und am unteren Ende der Wassersäule das Aufeinandertreffen von schneller und langsamer fließendem Wasser. Die Gezeitenströmung reibt dort am Meeresgrund, wodurch sich das Wasser in Bodennähe langsamer bewegt. Etwas darüber, weiter weg vom Grund, fließt es schneller, weil es dort keine Reibung gibt. So entsteht eine Scherung, wie der Unterschied der Fließgeschwindigkeiten genannt wird. Je größer die Scherung, desto mehr Wirbel entstehen. Diese sind eine physikalische Schlüsselgröße in den Meeren, denn von ihnen hängt die Verteilung von Temperaturen, Sauerstoff, Salz und Sedimenten ab.
So richtig intensiv ist die Wirbelproduktion aber nur am Meeresboden und an der Oberfläche. „Zur Mitte der Wassersäule hin schwächen sich die Turbulenzen ab“, erklärt Lucas Merckelbach vom Helmholtz-Zentrum Geesthacht bei Hamburg. Hier herrschen günstige Bedingungen für die Bildung einer speziellen Wasserschichtung. Im Sommer, bei richtig hohen Temperaturen, ist die Wärmezufuhr durch die Sonne so stark, dass sie sich gegen die chaotischen Kräfte im Meer durchsetzt. Sie wirkt dann stabilisierend, und so bildet sich ein Zweischichtensystem: oben eine Schicht wärmeren Wassers und darunter eine, die kälteres Wasser führt und schwerer ist. Kalt und Warm trennt eine Sprungschicht. Mehrere Monate, bis zu den Herbststürmen, hält sich die Formation. Normalerweise.
Glider sucht Wirbel
In der Nordsee aber, wo die Warmwasserschicht im Sommer 20 Meter tief reicht, kommt ein neuer Faktor ins Spiel, die Offshore-Windparks. Sie verändern die physikalischen Prozesse im Meer, denn die Masten der Windräder stehen als künstliche Hindernisse im Weg. „Strömt Wasser dagegen, entstehen zusätzliche Wirbel“, erklärt Merckelbach. Dadurch verstärken sich die Turbulenzen in der Mitte der Wassersäule. Genau dort, wo es vorher noch ruhig genug war für die Kalt-Warm-Schichtung. Die hat es nun viel schwerer, sich zu bilden.
Die Wirbel an den Masten sind anfangs so groß wie die Masten selbst, fünf bis zehn Meter im Durchmesser, brechen aber auseinander und formen immer kleinere Wirbel. Manche sind einen Millimeter klein. Um auch den winzigsten Wirbeln auf die Spur zu kommen, benutzen Merckelbach und sein Kollege Jeffrey Carpenter torpedoförmige, gelbe Unterwasserroboter, so genannte Glider. Sie gleiten mit einer Geschwindigkeit von 30 bis 40 Zentimetern pro Sekunde durchs Wasser und steuern ihren Auftrieb selbst. Deshalb benötigen sie für ihre Fortbewegung keinen Propeller sodass es keine rotierenden Teilchen gibt, die Vibrationen auslösen. Ideale Voraussetzungen, um Miniwirbel zu finden.
An der Spitze der Roboter steckt ein Sensor in Form eines Stäbchens. Spürt der Glider einen Wirbel auf, beugt es sich, und der Glider sendet ein elektrisches Signal. Die Roboter sind ziemlich praktisch für die Forschung. Sie können drei bis vier Wochen autark in einem bestimmten, vorher festgelegten Gebiet navigieren. „Selbst bei Sturm müssen die Messungen nicht unterbrochen werden“, betont Merckelbach. „Die Glider arbeiten einfach weiter.“
Weniger Watt im Wattenmeer
2015 setzten Merckelbach und Carpenter drei Roboter im Westen, Osten und Norden des Windparks Global Tech I aus, fünf Kilometer von den Masten entfernt. Um sie näher am Windpark ins Wasser zu lassen, hätte es einer Ausnahmegenehmigung bedurft. Die Messungen zeigten, dass die Wassersäule an der Ostseite des Windparks besser durchmischt war. Das konnte man daran erkennen, dass die Sedimente, die während der Flut vom Boden aufgewirbelt wurden, dort höher stiegen. Unklar bleibt vorerst, was die Masten damit zu tun haben. Vielleicht bringt das nächste Glider-Experiment 2018 mehr Erkenntnisse. Direkt im Windpark schwimmen die Roboter auch dann nicht. Sie sind blind und würden wahrscheinlich irgendwann gegen einen Mast knallen. Der Sensor wäre kaputt, das Experiment beendet.
Ob die Kalt-Warm-Formation im Sommer weiterexistiert? Die Studie, die Merckelbach und Carpenter im August 2016 in der Zeitschrift Plos One veröffentlichten, gibt erste, vorläufige Antworten. Am Ende hängt alles von der künftigen Zahl der Windparks ab. Ursprünglich sollte ein Drittel der deutschen Nordsee mit Offshore-Anlagen bebaut werden. Da hätte sich die sommerliche Schichtung wahrscheinlich nicht mehr bilden können. Nach den aktuellen Plänen wird aber weniger Nordsee zum Windpark. Unter diesen Umständen dürften die Schichtungen weiterhin entstehen.
„Jedoch werden sie nicht mehr so stabil sein“, vermutet Merckelbach. Welchen Einfluss die Masten aufs Leben unter Wasser haben, kann er noch nicht sagen. Aber Veränderungen wird es geben, da sich Temperaturen, Salz und Sauerstoff anders verteilen. Zudem könnte der Transport von Sedimenten zunehmen. Die Inseln im Wattenmeer werden vielleicht größer. Oder das Wattenmeer selbst füllt sich auf und verschwindet eines Tages. „Das wären aber Langzeiteffekte“, sagt Merckelbach. „Keiner weiß, ob es so kommt.“
Das Geheimnis der Algenblüten
Auch vor der kalifornischen Küste treiben Roboter durchs Wasser. Hier geht es um die Erforschung roter Algenblüten. Wie kommt es zu der Zusammenballung vieler kleiner Planktonteilchen? Zwei Ozeanografen der Scripps Institution of Oceanography in San Diego haben es herausgefunden und die Ergebnisse im Januar 2017 in der Zeitschrift Nature Communications veröffentlicht. Einer der beiden, Peter Franks, stellte vor 20 Jahren eine mathematische Formel auf, wonach sich Algenblüten dadurch bilden, dass Plankton hin- und hergeschoben wird von „internen“, d. h. großen, unterseeischen Wellen.
Die Überprüfung der Theorie war technisch lange nicht möglich. Denn dafür muss das Verhalten einzelner Planktonteilchen getrackt werden können – und die sind kleiner als ein Reiskorn. Nun hat aber Franks Kollege Jules Jaffe eine Art robotisches Plankton konstruiert: gelb-rot angestrichene Unterwasserroboter, genannt „miniature autonomous underwater explorers (Maue)“. Sie sind so groß wie eine Pampelmuse und ahmen das Dahintreiben von Plankton im Wasser nach.
Die Roboter kamen vor der Küste von Torrey Pines in der Nähe von La Jolla zum Einsatz. Dort sollten sie das Geheimnis der Algenblüten-Entstehung lüften. Franks und Jaffe ließen einen Schwarm von 16 Robotern ins Wasser. fünf Stunden lang trieben die Geräte in konstant zehn Metern Tiefe dahin. Die Standorte wurde per akustischem Signal alle 12 Sekunden protokolliert. Das Experiment machte eigentlich unsichtbare Vorgänge sichtbar: die Wege jedes einzelnen Roboters, markiert durch gelbe, grüne, rote und blaue Linien in einem 3D-Diagramm. Tatsächlich drängten sie auf einem Fleck zusammen, sobald sie eine interne Welle erfasste und stiegen dann nach oben – wie das echte Plankton bei einer Algenblüte. Eine 20 Jahre alte Theorie war dank Schwarmrobotern bestätigt worden.