Ist ein Pilz eine Pflanze, ein Tier, oder doch irgendwas dazwischen? Seit Beginn der Coronapandemie hat dieses Lebensmittel einen Boom erlebt, dabei ist seine Lebensweise den meisten eher unbekannt.

Der Fliegenpilz ist wohl einer der bekanntesten Giftpilze. Noch vor dem Menschen sollen Rentiere seine halluzigene Wirkung entdeckt haben (Foto: CC BY-SA 3.0 NL Onderwijsgek, via Wikimedia Commons)
Dürfen Vegetarier*innen und Veganer*innen Pilze essen? Eine Frage, die gerade während der Feiertage am Küchentisch entbrennt, wenn womöglich Pilze als „Extrawurst“ aufgetischt werden. Das Argument dafür als auch dagegen: Pilze seien weder Tier noch Pflanze, sondern etwas „dazwischen“. Das Thema mag die Gemüter zwar kurzzeitig erhitzen, der Popularität von Speisepilzen tut das jedoch keinen Abbruch. Vor allem in Luxemburg ist die Produktion in den letzten Jahren enorm gestiegen.
Pilze stellen tatsächlich in neueren biologischen Taxonomien ihr eigenes „Reich“ oder ihre eigene „Klade“ dar. Da sie wie Pflanzen stationär sind, jedoch keine Photosynthese betreiben können und daher wie Tiere Nahrung aus ihrer Umgebung aufnehmen, ist es verständlich, dass es zu Verwirrung kommt. Auf mikrobiologischer Ebene unterscheiden sich Pilze allerdings sehr deutlich sowohl von Pflanzen als auch von Tieren: Sie besitzen Zellwände (wie Pflanzen), diese sind jedoch zum Teil aus Chitin – ein Stoff, der etwa bei Insekten, Spinnen und Krebsen, aber nicht in der Pflanzenwelt vorkommt.
Während die meisten bei dem Wort „Pilz“ nur an den reinen Fruchtkörper denken, also das, was über der Erde zu sehen ist und in einem Ragout oder Risotto auf dem Teller landet, lebt der eigentliche Pilz als Myzel, ein Geflecht dünner Gewebestränge, die Hyphen genannt werden, unter der Erde. Hier offenbart sich die faszinierende Lebensweise der meisten Pilze und ihre ökologische Funktion. Oft gehen Pilze eine Symbiose mit Bäumen oder anderen Pflanzen ein, Mykorrhiza genannt: Der Pilz versorgt die Pflanze über deren Wurzeln mit Nährstoffen wie Nitrat oder Phosphat, die Pflanze gibt dafür etwas von ihrem Zucker ab, den sie durch die Photosynthese gebildet hat. Wie symbiotisch diese Beziehungen tatsächlich sind, ist Gegenstand der Forschung: Es gibt ein Spektrum bis hin zu Parasitismus, bei dem manchmal Pilze und manchmal Pflanzen stärker von dieser Beziehung profitieren. Schätzungsweise 6.000 Pilzarten gehen solche Symbiosen ein mit rund 90 Prozent der Landpflanzen als Partnerinnen. Dadurch entstehen Verbindungen zwischen Bäumen, das sogenannte „common mycorrhizal network“, in vielen Publikationen auch als „wood wide web“ bezeichnet. Lange Zeit ging man davon aus, dass Bäume über dieses Netzwerk miteinander kommunizierten, eine Fehlinterpretation, wie die Biolog*innen Melanie Jones, Jason Hoeksema und Justine Karst, die an der Grundlagenforschung dazu beteiligt waren, 2023 in einem Artikel klarstellten.
Pilzsammeln als Hobby
Neben den nicht-ganz-so-vernetzten Bäume profitieren auch Menschen von Mykorrhizen, denn viele Speisepilze findet man überhaupt nicht oder nur selten in Supermärkten. Pilze, die eine Symbiose mit einer bestimmten Baumart eingehen, lassen sich nicht züchten und müssen in Wäldern wild gesammelt werden. Da dies in vielen Ländern nur bis zu einer bestimmten Menge erlaubt ist, kommen diese Arten oft von weit her. In Luxemburg sind alle Pilze geschützt. Außer bei Speisepilzen, wo ein Kilo Fruchtkörper erlaubt sind, dürfen deshalb nur drei Fruchtkörper pro Person am Tag entnommen werden. Begibt man sich in einer Gruppe von mehr als drei Personen auf Pilzjagd, ist die Gesamtmenge auch für Speisepilze auf drei Kilo begrenzt.
„Pilzsammler dürfen nur vom Weg aus Pilze pflücken, es sei denn, sie haben die Erlaubnis des Besitzers“, erklärte Carole Back von der Natur- und Forstverwaltung (ANF) der woxx. Ein großes Problem mit Menschen, die zu viele Pilze sammeln, gibt es in Luxemburg wohl nicht: „Es kommt natürlich immer mal wieder vor, dass Menschen erwischt werden, die zu viele Pilze gepflückt haben. Wenn es sich um kommerzielle Quantitäten handelt, wird ein Protokoll erstellt, wenn es nur wenige Pilze sind, die zu viel gesammelt wurden, setzen wir eher auf Sensibilisierung“, so Back.
Wer das Pilzsammeln und vor allem das anschließende Verspeisen zu einem dauerhaften Hobby machen will, ist gut beraten, sich einer Person anzuschließen, die sich damit auskennt. In Luxemburg bietet die „Groupe de recherche mycologique“ (GRM) der „Société des naturalistes luxembourgeois“ (SNL) Pilzkurse und -wanderungen an, bei denen man lernen kann, Pilze zu bestimmen. „Leider sind wir nur wenige Freiwillige im GRM, sodass wir öfters bei Wanderungen Menschen absagen müssen“, erklärte Mike Clemens, der sich in seiner Freizeit beim GRM engagiert, der woxx. Vor allem seit der Corona-Pandemie seien mehr Menschen in der Natur unterwegs, was auch zu einem gesteigerten Interesse an Pilzen geführt habe. „Allerdings sind die meisten leider nur an dem interessiert, was essbar ist. Dabei gibt es viele spannende Pilze, die ungenießbar oder giftig sind. Auch diese bilden Mykorrhizen mit Bäumen oder Sträuchern und können untersucht werden.“
In der Pilzwelt lassen sich auch Veränderungen der Umwelt beobachten: „Es gibt viel weniger Wiesenchampignons als früher, auch Pfifferlinge werden seltener, da von der Landwirtschaft zu viel Stickstoff ausgetragen wird“, so Clemens. Klima- krise und Globalisierung bringen neue Pilze nach Luxemburg, zum Beispiel den Tintenfischpilz, der eigentlich aus Ozeanien stammt und durch seine roten tentakelartigen Fruchtkörper und den bestialischen Gestank so wirkt, als sei er einem Science-Fiction-Film entsprungen.
Von Vergiftungen durch Falschinformationen durch KI-generierte Pilzbücher in Luxemburg hat Clemens noch nicht gehört, dennoch warnt er vor dem unbedachten Einsatz von Technologie: „Eine Fotobestimmung mit einer App ist gefährlich, denn wenn nur ein Foto benutzt wird, fehlen wichtige Informationen: Wie riecht der Pilz, wo wächst er, welche Farbe haben die Sporen?“ Bei manchen Pilzarten muss sogar ein Geschmackstest erfolgen, um einschätzen zu können, ob er essbar ist. Die GRM bietet eine Pilzbestimmung per Email an, dafür müssen die Sammler*innen jedoch mehrere Fotos und genaue Informationen zum Fundort und Geruch mitschicken. „Eine Essensfreigabe können wir per E-Mail aber keine geben“, stellt Clemens klar. Auch die ANF bietet verschiedene Aktivitäten zum Thema Pilze an, neben Pilzwanderungen auch Kochkurse.
Pilzboom in Luxemburg
Sowohl in Deutschland als auch in Österreich werden etwa zwei Kilo Pilze pro Kopf im Jahr verspeist. Für Luxemburg gibt es leider keine Zahlen, jedoch dürfte dieser Wert ähnlich hoch sein. Diese Angabe bezieht sich allerdings nur auf solche Pilze, die im Handel erworben werden können, nicht auf selbstgesammelte. Doch in der menschlichen Ernährung spielen nicht nur Speisepilze eine Rolle. Wer jetzt an den Schimmel auf Brot oder Joghurt denkt, liegt dabei schon fast richtig: Edelschimmel auf so mancher Käsesorte wie Brie und Roquefort ist für Liebhaber*innen natürlich auch ein Hochgenuss. Doch auch Hefen gehören zu den Pilzen und sind vermutlich eine der unterschätztesten Bausteine menschlicher Zivilisation: Brot, Bier und Wein wären ohne ihre Hilfe undenkbar. Heutzutage werden auch Fleischersatzprodukte zum Teil aus Pilzen, auch aus dem Myzel, hergestellt, was die eingangs gestellte Frage noch verkompliziert.
Solche Innovationen gibt es aus Luxemburg noch nicht, denn die hiesige Landwirtschaft ist vor allem auf die Produktion von Fleisch und Milch spezialisiert. Das liegt auch am vielen Grasland, das vor allem Kühen als Weide dient. Gemüseproduktion, die viel Wasser benötigt, ist nur selten konkurrenzfähig, wenn es sich nicht gerade um sogenannte „community suppored agriculture“-Projekte handelt, bei denen die Konsument*innen einen Teil des Risikos selbst tragen. Champignons werden, obwohl es sich nicht um Pflanzen handelt, in den offiziellen Statistiken des Landwirtschaftsministeriums unter Gemüse geführt. Das ist zwar biologisch nicht ganz korrekt, entspricht aber den kulinarischen Gewohnheiten. Lange Zeit war die Produktion von Speisepilzen sehr marginal, für die Jahre 2018 bis 2021 gibt es nicht einmal Zahlen. Letztes Jahr gab es jedoch einen gewaltigen Sprung. Wurden 2023 noch nur knapp 4 Tonnen Champignons im Großherzogtum geerntet, so waren es im Folgejahr 288 Tonnen.
Diese Zahl könnte sich dieses Jahr noch erhöhen. „Im Jahr 2024 verzeichnete der ,Service d’économie rurale’ noch vier Betriebe mit Champignons, dieses Jahr sind es schon fünf“, so eine Pressesprecherin des Landwirtschaftsministeriums gegenüber der woxx. Unendlich kann diese Produktion jedoch nicht wachsen, denn der Markt für Champignons sei in Luxemburg gesättigt. Demnach ist die Zucht von Champignons vermutlich auch keine Alternative für Landwirt*innen, die sich diversifizieren wollen. „Unser Einschätzung nach ist da kein Potenzial“, so die Sprecherin des Landwirtschaftsministeriums, „allerdings besteht noch welches für Edelpilze, also zum Beispiel Shiitake und andere Gourmetpilze.“
Zur Champignon-Produktion werden meist alte Schweineställe umfunktioniert. Doch gerade Edelpilze haben dagegen oft höhere Ansprüche an den Untergrund oder brauchen sogar bestimmtes Holz, das sie zersetzten können. Trotzdem hat während der Hochphase der Corona-Pandemie nicht nur das Pilzsammeln, sondern auch das Züchten einen Boom erlebt: Verschiedene Firmen bieten mittlerweile Boxen an, mit denen man selbst ohne großen Aufwand Pilze züchten und später ernten kann. Als Last-Minute-Weihnachtsgeschenk eignen sich jedoch wohl eher die beiden Pilzbücher, die wir in den Kästen auf diesen Seiten vorstellen.
Zum Weiterlesen:
Merlin Sheldrake – Verwobenes Leben

(Cover: Ullstein Verlag)
In seinem populärwissenschaftlichen Sachbuch stellt der Autor das „geheime Leben der Pilze“ dar. Er erzählt, wie in Italien die Jagd auf Trüffel dazu führt, dass Schweine entführt werden, wie Forscher*innen durch die Einnahme von psychoaktiven Pilzen zu neuen Erkenntnissen gelangen und geht im Detail auf Experimente ein, die zeigen, dass es durch das Wachstum eines Myzels durchaus so etwas wie „Routenplanung“ in der Welt der Pilze gibt. Sheldrake schildert eindrucksvoll Forschungsresultate, ohne sich dabei in langweiligen Details zu verlieren und bringt einen persönlichen Bezug in jedes Kapitel. Dass der Autor vom Thema begeistert ist, zeigt sich auch darin, dass er gemeinsam mit seinem Bruder, dem Musiker Cosmo Sheldrake, einen Song zum Buch aufgenommen hat. Außerdem hat er Speisepilze auf einem Exemplar seines Werkes gezüchtet und diese dann verspeist. Stellenweise ist das Buch jedoch mit Vorsicht zu genießen: Bei manchen Beispielen, wie etwa der „stoned ape“-Theorie vertritt Sheldrake Meinungen, die nicht als gesichert gelten.
Merlin Sheldrake: Verwobenes Leben. 448 Seiten. Ullstein Verlag, 2021.
Anna Lowenhaupt Tsing – Der Pilz am Ende der Welt

(Cover: Matthes & Seitz)
Der Matsutake-Pilz ist in Japan hoch geschätzt und wird gerne als Geschenk, zum Beispiel an wichtige Geschäftspartner*innen, überreicht. Angeblich war es das erste Leben, das nach dem Atombombenabwurf in Hiroshima wieder spross. „Über das Leben in den Ruinen des Kapitalismus“ ist dieses Sachbuch untertitelt, das vor allem eine sozial-anthropologische Betrachtung des Matsutakes ist, jedoch auch auf seine sehr spezielle Ökologie eingeht. Der Pilz lässt sich nämlich nicht kultivieren und wächst nur in sehr speziellen Gebieten – oft nicht in intakten Naturschutzgebieten, sondern in „gestörten“ Lebensräumen. Die hohe Nachfrage in Japan hat dafür gesorgt, dass er auch in den USA gesammelt wird, oft von Einwander*innen aus Asien. Lowenhaupt Tsing zeigt nicht nur, wie der Matsutake die verschiedensten Menschen verbindet, sondern wie die kapitalistische Lebensweise und ihre Warenflüsse den Pilz beeinflussen – und umgekehrt. Obwohl dieses Sachbuch zum Teil schwer zugänglich ist, bietet es sehr faszinierende Einblicke.
Anna Lowenhaupt Tsing: Der Pilz am Ende der Welt. 448 Seiten. Matthes & Seitz Berlin, 2018.

