„Somebody Somewhere“ ist witzig, berührend und charmant – inmitten einer Serienlandschaft, in der Spektakel und Überdrehtheit dominieren, eine willkommene Abwechslung.

Joel und Sam werden schnell unzertrennliche Freund*innen. (Quelle: HBO)
Die Ende 40-jährige Sam (Bridget Everett) kehrt nach vielen Jahren zurück in ihren Heimatort, die Kleinstadt Manhattan im US-Staat Kansas. Ging es zunächst darum, ihre krebskranke Schwester Holly zu pflegen, so macht Sam auch sechs Monate nach deren Tod keinerlei Anstalten, wieder abzureisen. Plötzlich ist es, als wäre sie wieder in ihre Teenagerjahre zurückversetzt – nur dass das Gefühl, ein Außenseiter zu sein, sie diesmal nicht zum Abhauen anregt, sondern regelrecht lähmt. Wenn sie nicht gerade ihrer monotonen Arbeit in einem Bewertungsinstitut von Schulaufsätzen nachgeht, schlürft sie Weißwein auf ihrer Couch.
Auf den ersten Blick erscheint an „Somebody Somewhere“ nichts wirklich spannend zu sein. Vor allen Dingen erweckt die Prämisse nicht gerade den Eindruck, besonders viele Lacher hervorzubringen. Wer dieser von den Duplass-Brüdern produzierten Serie dennoch eine Chance gibt, wird jedoch im Handumdrehen eines Besseren belehrt: Man will einfach wissen, wie es mit Sam, ihren Familienmitgliedern und neuen Bekanntschaften weitergeht. Vor allem der Dynamik zwischen Sam und Joel (Jeff Hiller) kann man sich nur schwerlich entziehen. Beide haben sich bei der Arbeit kennengelernt. Als Sam beim Lesen eines Aufsatzes eines Tages in Tränen ausbricht, kommen sie erstmals ins Gespräch. Ihr ähnlicher Sinn für Humor lässt sie auf Anhieb enge Freund*innen werden.
Wie schnell man Anteil an den Figuren nimmt, ist unter anderem der Hauptdarstellerin zu verdanken. Mit ihrem Hang zur Vulgarität scheint die Rolle der für Singles wie „Titties“ oder „Pussy Grabs Back“ bekannten Sängerin und Kabarettistin Bridget Everett wie auf den Leib geschrieben. So gut verkörpert Everett diese vielschichtige Rolle, dass man geradezu vergisst, dass sie schauspielert. Neben einem beeindruckenden Naturalismus besticht sie zudem mit ihrem Charisma und der für sie spezifischen „body comedy“. Wie für sie gemacht scheint die Rolle nicht zuletzt, weil Everett darin ihr Gesangstalent unter Beweis stellen kann.
Semi-autobiografisch
Tatsächlich geht die Serie auf ihre Initiative zurück: Nachdem der Sender HBO ihr eine eigene Produktion genehmigte, versammelte Everett ein Team um sich herum, um ihre lose an ihr eigenes Leben angelehnte Vision umzusetzen. Auch Everett wuchs in Manhattan, Kansas auf und sang dort in einem Chor. In „Somebody Somewhere“ sind die von Bodenwissenschaftler Fred Rococo geleiteten Variété-Abende eine Art Zuflucht für Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen nicht so recht in die Mainstream-Gesellschaft passen. Genau genommen handelt es sich um eine geheime Community, deren Mitglieder sich regelmäßig treffen, um zusammen zu diskutieren, zu feiern und sich gegenseitig ihre kreativen Talente vorzuführen. Manche, wie Joel und Fred, sind queer, manche suchen diesen Safe Space aus anderen Gründen auf. Es ist Joels Überredungskünsten zu verdanken, dass Sam sich zu einem dieser Abende hin traut und dort nicht nur auf Gleichgesinnte trifft, sondern auch ihre Liebe zur Singkunst wiederentdeckt.
Wie Sams Leben davor aussah, wird lediglich angedeutet. Klar ist jedoch, dass sie nicht besonders glücklich war. Nun scheint sie zum ersten Mal in ihrem Leben von Menschen umgeben, die sie unterstützen und sie nicht nur auf ihre Schwächen reduzieren. Und noch wichtiger: Sam ist gewillt, sich auf diese Menschen einzulassen, trotz des Risikos verletzt zu werden. Dennoch ist „Somebody Somewhere“ alles andere als eine kitschige Erfolgsgeschichte. Es gibt keinen wirklichen Spannungsbogen und im Laufe der bisher erschienenen zwei Staffeln erfährt Sam auch mehrere Rückschläge. Vor allem ihre alkoholkranke Mutter Jo (Jane Brody), der von der Arbeit auf seinem Bauernhof überforderte Vater Ed (Mike Hagerty) sowie Konflikte mit ihrer herablassenden Schwester Tricia (Mary Catherine Garrison) bringen Sam immer wieder ans Ende ihrer Geduld.
Mit „Somebody Somewhere“ haben Bridget Everett und ihr Team eine ebenso berührende wie lustige Serie geschaffen, deren Darstellung queerer Menschen innerhalb der Fernsehlandschaft ihresgleichen sucht.