Spanische Kommunalwahlen: Steter Wandel

Der Wandel in der politischen Landschaft Spaniens macht auch auf lokalem Niveau nicht Halt. Dabei kam es vor allem in Madrid und Barcelona nach den Gemeindewahlen vom 26. Mai zu einigen unerwarteten Plot-Twists.

Bei der Vereidigung von Barcelonas Bürgermeisterin Ada Colau kam es zu Rangeleien zwischen ihren Unterstützer*innen und katalanischen Separatist*innen. (Foto: Tessy Troes)

2015. Podemos, die Partei, die aus der Indignados-Bewegung in Spanien entstanden ist, entscheidet sich nach zwei erfolgreichen Wahlkampagnen auf europäischem und nationalem Niveau, nicht bei den Lokalwahlen anzutreten. Vielmehr unterstützt die junge Partei eigenständige Kandidaturen und Bewegungen aus der Zivilgesellschaft. Das Konzept funktioniert. In Madrid, Barcelona, Valencia, Cádiz, Zaragoza, A Coruña regieren fortan die sogenannten „alcaldes del cambio“ – Bürgermeister*innen des Wandels.

2019. Podemos entscheidet sich, bei den Lokalwahlen als Partei anzutreten, die 2015 unterstützten Kandidat*innen treten größtenteils in eigenen Bündnissen auf. Am Ende bleibt der Glaube an den Wandel nur in Valencia und Cádiz erhalten, in Barcelona gelingt Ada Colau der Amtserhalt nur zu einem hohen Preis.

Die Bürgermeister*innen des Wandels wollten neue Impulse in die Sozialpolitik bringen: erschwinglichen und attraktiven Wohnraum, mehr Geld für soziale Dienste. Diese hohen Wahlversprechen konnte man nicht konsequent einhalten, doch gab es einen Aufwärtstrend: Sowohl Cádiz wie auch Zaragoza und Barcelona schafften es, über elf Prozent ihres Haushaltes für soziale Dienstleistungen zu reservieren. Doch warum spiegelt sich dieser Aufschwung bei den Wahlen 2019 nur sehr schwach wider?

Podemos brach 2014 und 2015 mit ihren frischen Ideen endlich den spanischen Bipartidismus zwischen PP und PSOE. Nach Jahren von Rezession und Austeritätspolitik war aber nicht nur Platz für die linkspopulistische Partei von Pablo Iglesias, sondern auch für die liberale Ciudadanos und, seit dem Jahreswechsel auch für die rechtsextreme Vox. Diese Fragmentierung der politischen Landschaft hat zur Folge, dass Wahlen zu Rechenspielen werden. Von den etwas mehr als 8.000 Gemeinden Spaniens brauchten etwa 1.500 einen Koalitionsvertrag.

Bei dem Ge­scha­cher um diese Päkte fielen Madrid und Barcelona besonders auf. Einerseits, weil sie den, wie die Zeitung El País das Phänomen getauft hat, „Biblockismus“ zwischen linken und rechten Parteien illustrieren und andererseits, weil der jeweilige Pakt umstritten war. In Madrid etwa konnte die überaus beliebte Bürgermeisterin Manuela Carmena an Stimmen zulegen, musste sich aber der Kooperation zwischen den rechten Parteien PP, Ciudadanos und Vox geschlagen geben. In Barcelona wurde Ada Colau (Barcelona en Comú) unter heftigen Protesten durch eine Kollaboration mit dem katalanischen Flügel der Sozialdemokraten und durch drei freie Stimmen des altbekannten Manuel Valls wiedergewählt.

Mit Rumba ins Rathaus

Colau steht einerseits für den Wandel: Sie setzte sich in ihren vier Amtsjahren vehement für Feminismus und LGBTIQA-Rechte ein, versuchte regulierend in den aus allen Fugen geratenen Wohnungsmarkt einzugreifen, und gründete einen öffentlichen Energieanbieter. Andererseits ist die ehemalige Aktivistin nicht mehr unbefleckt: in ihrer Aktivistinnenzeit strich sie schon Geld von der Gemeinde ein. Als Bürgermeisterin verhalf sie ihrem Mann zu einem Job und verschloss die Augen vor ansteigender Kriminalität in der katalanischen Hauptstadt. Colaus größter „Fehler“ ist aber wohl ihr Standpunkt im Katalonienkonflikt: Referendum ja, Unabhängigkeit nein. Das macht sie sowohl für Unionist*innen als auch für Separatist*innen zur Verräterin.

Der Separatist Ernest Maragall der in Katalonien beliebtesten Partei Esquerra Republicana hatte am 26. Mai 0,6 Prozent mehr Stimmen errungen und erklärte sich zum neuen Bürgermeister, vergaß dabei aber die Notwendigkeit einer Koalition, um das Amt antreten zu können. Colau luchste ihm den Job durch politische Manöver ab, was ihr bei ihrer Vereidigung am 15. Juni fast wortwörtlich ins Gesicht schlug. Die beiden separatistischen Zivilorganisationen ANC und Omnium Cultural hatten zu einer Protestaktion aufgerufen, da sie sich von Colau hintergegangen fühlten. aber auch weil der seit Herbst 2017 inhaftierte Ex-Minister Joaquim Forn kurzweilig nach Barcelona reisen durfte, um sein Amt im Gemeinderat anzunehmen. Die Separatist*innen machten ihrem Unmut Luft.

Waren zuerst nur Sprechchöre – „Nicht mit Valls“ und „Colau, ets un frau“ (Colau, du bist ein Betrug) – auf dem Platz vor dem Ratshaus zu hören, so kippte die Stimmung schnell. Die Demonstrant*innen empfanden das Plakat mit Colaus Motto „Liebe gewinnt über Hass“ als Provokation und drohten den friedlichen Colauanhänger*innen mit Spucke und Fäusten. Die Presseleute wurden zu Faschist*innen deklariert, als diese die Drangsalierung auf Bild festhalten wollten. Eine volle Flasche flog Richtung Colau, als sie nach ihrer Vereidigung auf den Platz trat. In der Menschenmenge kam es zu Gerangel mit der Feuerwehr, die den Colauanhänger*innen die Sicht mit einen großen Banner mit einem Supportmessage für Joaquim Forn versperrten, und dabei nicht davor zurückschreckte, Menschen mit dem Ellbogen ins Gesicht zu schlagen oder auf den Boden zu schubsen. Ihre Taten verteidigten die Feuerwehrmänner mit den Worten, Unterstützer*innen von Colau und würden ja auf Seiten der Unionist*innen stehen und den Katalonienkonflikt nicht verstehen.

Der Kandidat der Separatisten, Ernest Maragall, bescheidene 76 Jahre alt, hatte sich als neuer „Reimpulsator“ der Stadt erklärt. Er ließ sich dafür volksnah beim Tennisspielen in den reicheren Gegenden der Stadt ablichten und zentrierte seine Kampagne größtenteils um den Fakt, dass er der Bruder von Pasqual Maragall ist, der zwischen 1982 und 1997 Bürgermeister Barcelonas und zwischen 2003 und 2006 Präsident Kataloniens war. Colau hingegen versuchte mit eigens komponierten Lieder im katalanischen Rumba-Stil oder im hippen Reggaeton Stimmen zu gewinnen.

Demokratisches Paradox 
in Madrid

Und dann war dann noch Manuel Valls, der nach dem Ende seiner politischen Karriere in Frankreich an seinen Geburtstort zurückkehrte. Sein Ziel: ein von Ciudadanos unterstützter unionistischer Bürgermeister zu werden. Seine Mittel: schon früh gegen den Ciudadanos-Mitgründer Albert Rivera stänkern, ihm Foto-Ops zu verwehren, und auf seinem Wahlplakat eine Kampagne des berühmten Katalanisten Jordi Pujol der 1980er-Jahren zu kopieren. Sein Resultat: Er schenkte Colau drei seiner Stimmen, um einen separatistschen Bürgermeister zu vermeiden und verscherzte es sich dabei komplett mit Ciudadanos. Colau bekam auf Rückfrage von über 70 Prozent der Basis Rückendeckung, mit dem PSC zu paktieren und Valls Stimmen anzunehmen.

In Madrid trat die amtierende Bürgermeisterin Manuela Carmena zusammen mit Podemos-Mitgründer Íñigo Errejón, der für zeitgleich stattfindenden Regionalwahlen kandidierte, mit dem Projekt „Más Madrid“ an. Durch die übergreifende Plattform erhofften sie sich, Madrids Verkehrs- und Luftverschmutzungsprobleme an der Wurzel packen zu können. Sie beriefen sich auf ihr Pilotprojekt „Madrid Central“, mit dem seit Herbst 2018 ein autofreies Viertel in Madrid eingeführt wurde. Diese Initiative der früheren Anwältin, die die Stadt nach 24 Jahren konservativer Führung 2015 übernahm und sie 2019 mit der Halbierung der Stadtschulden wieder an die Konservativen abgibt, wurde vom neuen Amtsinhalter Martínez-Almeida für nichtig erklärt.

Der profillose Konservative kam, wie Carmena es nannte, durch „ein demokratisches Paradox“ ins Amt: Carmena konnte sich keine Mehrheit sichern, die drei rechten Parteien PP, Ciudadanos und Vox kommen aber gemeinsam auf eine Mehrheit. Ein gefährliches Triumvirat, wenn man alleine die frauenfeindlichen Ansagen und Wahlprogramme der Vox ansieht.

Während die PP keine Hemmungen hat, mit dem rechten politischen Rand zu flirten, gab es bei Ciudadanos ein wenig mehr Zurückhaltung: Sie weigerte sich etwa in Madrid, mit Vox an einen Verhandlungstisch zu treten und einen gemeinsamen Koalitionsvertrag aufzustellen. Deren Stimmen, die sie brauchten, um an die Macht zu kommen, lehnen sie jedoch nicht ab. Die Sprecherin der Partei Inés Arrimadas betonte, dass man nicht von dieser Taktik abweichen würde da man „eine Alternative zum Sanchismus bieten“ wolle. Mit Toni Roldan trat darauf ein weiterer Sprecher der Partei zurück: „Wie können wir ein liberales Projekt in Spanien schaffen, wenn wir die Rechtsradikalen, die gegen alles sind, für das wir stehen, nicht konfrontieren können?“ Das Exekutivkommitee der Partei ließ darüber abstimmen, ob man doch einen Deal mit Sanchez eingehen möchte – die Antwort war klar: Mit 4 zu 24 Stimmen wurde der Vorschlag abgelehnt.

Gespaltene Separatist*innen

Schlussendlich kommt es in 13 der größeren Gemeinden zu einem Dreierpakt der Rechten, in 20 gibt es eine Zusammenarbeit zwischen Sozialdemokrat*innen und linken Bewegungen, und in 6 zwischen PSOE und Ciudadanos.

In Katalonien konnten separatistische Parteien generell ihre Resultate halten, doch viele kleine Anekdoten quer durch die Region illustrieren die momentane Spaltung der Bewegung. In Sant Cugat, einer reichen Kleinstadt außerhalb Barcelonas, feindeten sich die Anhänger*innen der beiden großen separatistischen Parteien an und stritten darüber, ob ein Pakt mit den Sozialdemokrat*innen dreckiger sei als parteiinterne Korruption. Im Heimatdorf des Präsidenten Quim Torra (Junts per Catalunya), wollte dieser höchstpersönlich einen Pakt mit den Sozialdemokrat*innen blockieren – seine Schwester entfernte danach aus Trotz sein Foto von der Wand des Gemeinderates.

José María González Santos, in seiner Heimatstadt Cádiz nur El Kichi genannt, konnte seinen Platz als Bürgermeister des Wandels mit einer sehr um seine Figur zentrierten Wahlkampagne verteidigen und verfehlte um nur einen Sitz die absolute Mehrheit. In Valencia, unter der Ägide Podemos, wusste Joan Ribó das Vertrauen der Wähler mit nachhaltiger und grüner Politik zu gewinnen.

Parteipolitische Dynamiken, die sich schon im April andeuteten, wurden auch bei den Lokalwahlen größtenteils bestätigt. Sowohl Ciudadanos als auch PP haben keine Angst, nach rechts zu paktieren oder gar zu rutschen. Podemos sitzt in einer Sackgasse und hat sich nicht als möglicher starker Partner für die Sozialdemokrat*innen erwiesen. Die Partei um Pedro Sanchez gewinnt nach nationalen und europäischen auch die lokalen Wahlen und hat angekündigt, egal ob mit oder ohne Unterstützung von Podemos, im Juli Sanchez zum Premierminister wählen zu lassen.

Tessy Troes lebt und arbeitet in Barcelona und berichtet für die woxx aus Katalonien und Spanien.

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