Den Macher*innen von „The Bear“ gelingt, worin viele scheitern: Auch die zweite Staffel der Serie weiß in allen Hinsichten zu überzeugen.

Carmen kann sich auf Sydney verlassen. Aber, ist es umgekehrt ebenso der Fall? (Quelle: Hulu/FX)
In einer frühen Szene der zweiten Staffel von „The Bear“ spricht Carmen (Jeremy Allen White) seine Souschefin Sydney (Ayo Edebiri) auf deren Traum von einem Michelin-Stern an. „Do you really want one of these bullshit stars?“ Carmen, der bis vor Kurzem selbst noch Sternekoch war, sagt das offensichtlich mit einem Augenzwinkern. Dennoch gehört er wohl zu den letzten Menschen, die die Edelgastronomie idealisieren würden. „You have to care about everything more than anything“, so der Rat, den er seiner Kollegin mit auf den Weg gibt. Um seinen Traum zu verwirklichen, scheint die Aussage zu bedeuten, muss man sein Privatleben, seine Gesundheit, seinen Schlaf, sein Ego hinten anstellen. Sydney schaut ihn erst mit großen Augen an, senkt dann den Blick und grinst vor sich hin. Hinter ihrer Reaktion ahnen wir eine gewisse Naivität. „Nichts leichter als das“, scheint diese auszusagen.
Eine gewisse Naivität müssen alle Figuren aus „The Bear“ haben. Sie wollen einen Sandwichladen innerhalb weniger Monate in ein Edelrestaurant verwandeln. Genau genommen benötigen sie eine Kombination aus Naivität, Optimismus, Flexibilität, Vertrauen, Solidarität und Durchhaltevermögen. Und natürlich auch jede Menge Geld. Dieses stellt Carmens Onkel (Oliver Platt) zur Verfügung. Die Bedingung: Innerhalb eines Jahres muss das Darlehen wieder zurückgezahlt sein.
Charakterstudie statt Stress
In „The Bear“ ist es vor allem die Aufgabe von Carmen, Sydney und Carmens Schwester Natalie (Abby Elliott), das große Ganze im Auge zu behalten. Der Rest des Teams muss nur umsetzen, was man ihm sagt.
Für Konditor Marcus (Lionel Boyce) bedeutet das, nach Kopen- hagen zu fliegen und ein Praktikum in der Nachtischabteilung eines Edel- restaurants zu absolvieren. Es ist das erste Mal seit Jahren, dass er nicht täglich seine im Sterben liegende Mutter besucht. In Kopenhagen hat er erstmals Zeit, sich einerseits mit ihrem bevorstehenden Tod auseinanderzusetzen und andererseits eine Vorstellung davon zu entwickeln, welche Nach- tische er in Zukunft gerne zubereiten würde.
Tina (Liza Colón-Zayas) ihrerseits besucht eine Kochschule, um dort an ihren Kompetenzen zu feilen. Nicht, dass es ihr bisher an Fähigkeiten gefehlt hätte; bei dem Kurs geht es vielmehr darum, dieses Können mit dem nötigen Selbstbewusstsein zu ergänzen.
An Letzterem fehlt es auch Richie (Ebon Moss-Bachrach). Als die zweite Staffel beginnt, hat er Angst, keinen Platz in dem neuen Restaurant zu haben. Welche Kompetenzen hat er, über die nicht auch andere seiner Kolleg*innen verfügen? Wenig überraschend ist Richies Methode, um dieser Frage nachzuspüren, alles andere als konstruktiv.
Nichtsdestotrotz ist die neue Staffel von Christopher Storers Serie weit weniger von Wettschreien geprägt, als es die erste noch war. Zwar gibt es auch diesmal wieder einige Szenen, die den Puls der Zuschauer*innen in die Höhe treiben dürften, der Großteil der Folgen schlägt aber einen leichteren Tonfall an. Das liegt zum einen daran, dass Figuren wie Sydney und Marcus sich Zeit nehmen, um ihre Inspiration anzukurbeln, oder dass Carmen sich – vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben – auf eine romantische Beziehung einlässt. Zum anderen liegt es aber auch daran, dass hektische Küchensequenzen in der zweiten Staffel eher die Ausnahme sind.
Ging es in der ersten Staffel von „The Bear“ noch darum, wie die Figuren allmählich lernten, sich aufeinander zu verlassen und sich gegenseitig mit Respekt zu behandeln, so wird in der zweiten Staffel der Fokus auf ihre Beziehung zu sich selbst gelegt. Denn so wichtig eine gesunde Gruppendynamik auch ist: Um als Sternerestaurant zu bestehen, muss jedes Mitglied des Personals tagtäglich über sich selbst hinauswachsen. Eine Kette ist nun mal nur so stark wie ihr schwächstes Glied.
Es wundert kaum, dass „The Bear“ in den vergangenen zwölf Monaten immer wieder mit „Friday Night Lights“ verglichen wurde. Schon in ihrer Rezension zur ersten Staffel befand die woxx, „The Bear“ habe mehr Ähnlichkeiten mit Sportsserien als mit Kochshows à la „Top Chef“. Diese Ähnlichkeit besteht nicht nur implizit: Die ganze Staffel über liest Sydney die Memoiren des Basketball-Coaches, Mike Krzyzewski, in der Hoffnung, darin Impulse für ihren Job als Souscheffifn zu erhalten.
„You have to care about everything more than anything“ stellt sich im Laufe der Folgen als zunehmendes Paradoxon heraus. Wie soll man als Starkoch glänzen, wenn man nicht gleichzeitig auch mal Mensch sein darf? Den Figuren dabei zuzusehen, wie sie diese Gratwanderung vollführen, sorgt für einen so fesselnden wie berührenden Sehspaß, der der Qualität der ersten Staffel in nichts nachsteht.