Tim Burton
: Freaks sind die besseren Menschen

Eine Ausstellung in Brühl bietet einen Einblick in das skurrile Film- und Zeichenuniversum Tim Burtons. Eine sehenswerte Schau.

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Tim Burton, Ohne Titel (The Melancholy Death of Oyster Boy and Other Stories), 
um 1982-84, Tusche, Marker und Buntstift auf Papier, 25,4 x 22,9 cm, Privatsammlung. © 2015 Tim Burton, All Rights Reserved

Eine Ausstellung über die Zeichenwelt eines Hollywood-Regisseurs gibt es in einem Museum nicht alle Tage zu sehen – schon gar nicht im eher elitären Kunstbetrieb. Wieso das Max-Ernst-Museum in Brühl selbstbewusst mit seiner umfangreichen Schau „The World of Tim Burton“ wirbt, versteht man, wenn man das Museum betritt und fast erschlagen wird von der Flut von Exponaten, die Einblick in das Film- und Zeichenuniversum Burtons geben. Denn während viele Filme des eigenwilligen Regisseurs im populärkulturellem Bewusstsein fest verankert sind, ist sein bildkünstlerisches Werk bisher noch weitgehend unentdeckt geblieben. Genau dies will die Schau ändern. Und doch sind es Burtons Film-Charaktere, schrullig-gruselige Außenseiter, die das Fundament für „Batman“ (1989), „Tim Burton’s The Nightmare before Christmas“ (1993), „Sleepie Hollow“ (1999) oder „Frankenweenie“ (2012) bildeten, die im Zentrum der Ausstellung stehen. Am Ende der Schau findet man sie alle als Miniaturen unter einer sich drehenden Glaskuppel wie in einer magisch schwebenden Schneekugel wieder.

Nach Stationen in New York, Paris, Prag, Tokio und Osaka gastiert „The World of Tim Burton“ noch bis zum 3. Januar im Max-Ernst-Museum in Brühl. Und wer den Weg von Luxemburg nicht scheut, sollte sich auf die Socken machen. Denn nicht nur eingefleischte Fans von Burtons Filmen dürften hier auf ihre Kosten kommen. Der Besucher wird beim Rundgang in das kleine, gruselige Märchenuniversum des Filmemachers hineingezogen. Anhand von über 500 Zeichnungen, Gemälden, Filmpuppen, Storyboards und persönlichen Dokumenten erschließt sich ihm das Burton‘sche Universum. An Skizzen kann man nachvollziehen, wie beispielsweise die Film-Figur „Edward mit den Scherenhänden“ entstand. „Bekannt ist Burton zwar in erster Linie als Filmregisseur, doch in seinen Werken verwischen die Grenzen zwischen den verschiedenen Medien, und nicht selten haben die Figuren und die Welten seiner Filme ihren Ursprung in einer zufällig hingeworfenen Skizze oder Kritzelei, einer reflexartigen Reaktion auf eine plötzliche Eingebung“, meint auch die unabhängige Ausstellungskuratorin Jenny He.

Der Besucher wird beim Rundgang in das kleine, gruselige Märchenuniversum des Filmemachers hineingezogen.

Neben kleinen Filmfiguren, Ausschnitten aus frühen Kurzfilmen und dem einen oder anderen, hinter einer Ecke lauernden skurrilen Roboter, aus dessen Kopf Drähte wie Eingeweide hervorquellen, sind es eben genau jene privaten – zum Teil auf Cocktail-Servietten gezeichneten – Skizzen, die die Schau so besonders machen. Jenny He sieht in diesem Automatismus (der von den Surrealisten beschworene „écriture automatique“) denn auch einen roten Faden in Burtons Werk.

Dieser spontane Reflex ist es auch, Kuratorin He zufolge, der Tim Burtons Kunst dazu prädestiniert, sie im Brühler Max Ernst Museum, das dem dadaistischen und surrealis-
tischen Werk des namengebenden Künstlers gewidmet ist, auszustellen. Im Tanzsaal – im Herzen der ständigen Sammlung – treten folglich auch drei von Burtons Creatures mit den Skulpturen Max Ernsts in einen Dialog. Und doch fesseln einen vor allem Burtons frühe, in Super-8 gedrehte Kurz-Horror-Filme, die im Kontrast stehen zur Ästhetik seiner späteren Filme; alle bestechen jedoch durch ihre magische Atmosphäre. In dem Musik-Video „Here With Me“ setzt sich der Protagonist mit der schönen Winona Ryder bei Kerzenlicht an eine Tafel und entzündet eine Lunte, die aus seinem Kopf herausragt.

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Tim Burton, Ohne Titel (Creature Series), um 1980-1989, Tusche, Marker und Buntstift auf Papier, 38,1 x 15,2 cam, Privatsammlung.

Die weitläufige Schau in Brühl ist in neun verschiedene Themenblöcke gegliedert. Wer Burtons „Vita“ und sein Selbstverständnis kennt, den wird es nicht verwundern, dass ein Teil der Ausstellung „missverstandene Außenseiter“ heißt. „Manchmal fühle ich mich wie ein Alien, der zu nichts und niemandem in seinem Umfeld Zugang findet“, meint der auch in Hollywood noch allzu oft an Grenzen stoßende Außenseiter im Interview im begleitenden Ausstellungs-Katalog*, in dem er auch schildert, wie er mit dem Zeichnen begann, um die Monotonie des Alltags im kalifornischen Vorstadtviertel Burbank, „dem Abgrund der Hölle“, zu durchbrechen.

Bis sich ihm in Hollywood die Türen öffneten, hatte der Außenseiter Burton einen langen Weg zurückzulegen. Obwohl er schon als Teenager, begeistert von Horror- und Science-Fiction-Filmen, Super-8-Filme drehte und etwa 1975 den ersten Preis bei einem städtischen Jugendwettbewerb für eine Anti-Müll-Kampagne gewann – und seine Grafik „Crush Litter“ dann für zwei Monate die Fahrzeuge des lokalen Müllunternehmens schmückte ‑, wurden seine Manuskripte anfangs immer wieder abgelehnt. Nur ein Jahr später (1976) schrieb und illustrierte er das Kinderbuch „The Giant Zlig“, das er Disney als Manuskript zuschickte und das ebenfalls abgelehnt wurde. Nicht selten habe man, verrät er im Interview, versucht, das von ihm Gemachte zu verändern oder zu verwässern. Bei jedem Film müsse er darum kämpfen, dass dasjenige, was ihn in erster Linie an dem Drehbuch fasziniert, nicht verlorengeht.

Experimentell erkunden kann der Ausstellungsbesucher in Brühl einen kleinen verdunkelten Raum, den er, ausgerüstet mit einer Taschenlampe, betritt wie eine Höhle. Richtet man den Lichtstrahl auf die Wände, so tauchen verschiedene Wandmalereien in neongrünen Leuchtfarben auf, die an schräge Meerestierchen erinnern. Eine surreale Geisterwelt.

Experimentell erkunden kann der Ausstellungsbesucher in Brühl einen kleinen verdunkelten Raum, den er, ausgerüstet mit einer Taschenlampe, betritt wie eine Höhle.

Dem Anspruch, „eine Reise in den Kopf des morbid-fanatischen Exzentrikers“ zu unternehmen, wird die Ausstellung ganz und gar gerecht. Denn sie zeigt die Vielseitigkeit von Burtons künstlerischem Schaffen und bietet einen Einblick in den kreativen Prozess seiner Ideenfindung. Man stößt auf die beiläufig angefertigten Skizzen eines obsessiven Zeichners, der seine Skizzen mitunter auf Bierdeckel und Servietten kritzelte. Und immer wieder sind es Motive aus der Zirkuswelt, Clowns, Karnevaleskes. Auf die Frage, woher er diese „Mischung aus Komödie und Groteske“ nehme, antwortet Burton in dem im Katalog abgedruckten Interview, dass vom Zirkus eine visuelle Faszination ausgehe; gerade die Außenseiter und Ausgestoßenen der Gesellschaft, die alle anderen für Freaks hielten, sprächen ihn emotional an. „Und diese „Freaks“ sind, ähnlich wie in Horrorfilmen, manchmal sogar die menschlichsten Wesen.“ Die eigentlichen Monster seien dagegen oft die ganz normalen Leute.

Die Ausstellung „The World of Tim Burton“ ist noch bis zum 3. Januar im Max-Ernst-Museum des LVR in Brühl zu sehen.
Der Ausstellungskatalog (120 Seiten mit 
ca. 90 Abbildungen) ist im Hatje Cantz Verlag erschienen. Er bietet eine gute Ergänzung zur Ausstellung.

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