Trauer in der Autobiographie
: Selbstgespräche zu zweit

Nachdem sein bester Freund sich das Leben genommen hat, sucht Michael Pedersen in „Boy Friend“ einen Weg, um mit der Trauer umzugehen. In dem bislang nur auf Englisch erschienenen Buch macht er das, indem er alle Freundschaften zu Männern, die sein Leben geprägt haben, Revue passieren lässt.

Will mit „Boy Friends“ seine Trauer literarisch verarbeiten, findet aber die dazu nötige Sprache nicht: der Autor Michael Pedersen. (Foto: James Barlow/Wikimedia/CC-BY-SA-4.0)

Am 9. Mai 2018 verschwindet der Sänger und Musiker Scott Hutchison, Kopf der schottischen Indieband „Frightened Rabbit“, aus seinem Hotel. Auf Twitter hat er zuvor gepostet: „I’m away now. Thanks“ und alle, die ihn kennen, befürchten das Schlimmste. Schon seit seiner Kindheit wird er von Depressionen und Angstattacken geplagt; es war seine Mutter, die ihm deshalb den Spitznamen „Frightened Rabbit“ gab. Die Alben und Songs der Gruppe trugen Titel wie „Painting of a Panic Attack“ oder „Death Dream“. „You are the only friend whose death I’ve rehearsed“, schreibt der Autor Michael Pedersen. Er war einer der Letzten, die Hutchison lebend gesehen haben. Gerade noch hatten die Freunde ein paar unbeschwerte Ferientage verbracht, dann stieg Hutchison auf das Geländer der Forth Road Bridge und sprang.

Ein paar Monate später findet sich Pedersen in einer Künstlerkolonie wieder und versucht, den Verlust seines Freundes in eine literarische Form zu gießen. Er beginnt ein Buch über Männerfreundschaften zu schreiben, genauer gesagt: über seine Männerfreundschaften. Die ersten dieser Erfahrungen kommen dem Autor vor wie Probeläufe für die erste Liebe. Mit Danny, den Pedersen an der Highschool kennenlernt, ist die Beziehung so eng, dass die anderen Mitschüler sie als „poofs“ betiteln, noch ohne zu verstehen, was das eigentlich bedeutet. Überhaupt bedient sich Pedersen immer wieder im Beziehungslexikon: Wenn die Freundschaft in die Brüche geht, fühlt es sich für ihn an wie eine Scheidung.

Vieles von dem, was man erfährt, spielte sich in den 1990ern ab. Adam Duritz von den „Counting Crows“ schluchzte aus den Lautsprechern und der zukünftige Dichter (Jahrgang 1984) träumte von einem Leben, so überschäumend vor Gefühl wie eine Folge „Dawson’s Creek“. Der Verweis auf eine der geschwätzigsten Teenagerserien aller Zeiten ist nicht unwesentlich, denn Pedersen beklagt die Tatsache, dass das richtige Leben in Sachen Intensität mit der Kunst nun mal nicht mithalten kann. Bei dem titelgebenden Serienprotagonisten Dawson hatte man auch immer das Gefühl, dass er verliebter war in die Idee seiner angebeteten Joey als in Joey selbst. Und so verwandelt auch Pedersen das richtige Leben in Dichtung.

Hutchison bleibt als Person schemenhaft, 
wie alle anderen Freunde in dem Buch.

Um sich seine Begeisterung für Sprache zu bewahren, studiert er Jura statt Literatur, „to keep language a free-form and joyous pursuit“. An der Uni von Durham begegnet er einem neuen Freund, David, der nach alten Büchern riecht, und ihn in gehobene Kreise einführt. Zu diesen fühlt sich Pedersen dann aber doch nicht zugehörig. Er kreuzt sogar den Weg von Prinz Guillaume, „heir apparent to the throne of Luxembourg“. Der Thronerbe bleibt jedoch nur eine Randnotiz, mit ihm knüpft Pedersen keine freundschaftlichen Bande; sonst hätte am Ende gar Stéphane Bern das Vorwort zu diesem Buch verfasst.

Nach seiner Ausbildung entscheidet sich Pedersen dann trotzdem gegen die Rechtswissenschaften: Er verlässt eine lukrative Stelle in einem Anwaltsbüro, um stattdessen in Kambodscha Gedichte zu schreiben. Weitere Freunde treten auf, Jake zum Beispiel, mit dem Pedersen in Manchester beginnt, Heroin zu konsumieren – noch immer auf der Suche nach extremen Empfindungen.

So intensiv wie er lebt und feiert, wird er dann auch trauern. Der zweite Teil des Buches ist ganz der Erinnerung an Hutchison gewidmet. Es ist schwierig über ein solch persönliches Buch zu urteilen, weil man damit implizit auch über die Art zu trauern ein Urteil fällt. Sinnbildlich für Pedersens Aufarbeitung ist, dass er Hutchison kurz nach seinem Verschwinden zwar textet, aber nicht wagt, ihn anzurufen, aus Angst, der Freund könne nicht rangehen. Er fürchtet, eine Erkenntnis zu provozieren, die er noch aufschieben möchte. Genauso fühlt sich auch sein Buch an: als verharre er lieber an der sicheren Oberfläche, aus Angst, die Tiefe könnte auch ihn verschlucken.

Scott Hutchison bleibt als Person schemenhaft, wie alle anderen Freunde in dem Buch, eine Nebenfigur. „It was love“ schreibt Pedersen, allein man spürt es nicht, da man so wenig über die Freundschaft zu dem Musiker erfährt. Manchmal kommt man nicht umhin, unangenehm berührt zu sein davon, wie sehr der Autor in seiner Trauer auf sich selbst fixiert ist. Irgendwann merkt er es dann selbst und schreibt: „I feel important, and guilty about it.“

Der amerikanischen Autorin Sigrid Nunez gelang es in „The friend“, den Freitod eines Freundes zu thematisieren und dabei Allgemeines und Persönliches zu verknüpfen, auch weil sie in einer schlichten, fast sachlichen Sprache erzählte. Pedersen dagegen tastet nach dem richtigen Ton, schwankt zwischen lyrischen Beschreibungen, Ironie und manchmal sogar grenzwertigem Humor, ohne je ein Gleichgewicht zu finden.

„Boy Friends“ kann deshalb vor allem als Einladung gewertet werden, die Musik und die Texte von Hutchison (wieder) zu entdecken. Eindringlicher und luzider wurde selten über Angst – und Lebenswillen trotz allem – gesungen. „I still want to be here“, textete der Musiker noch 2016. Seine Fähigkeit, Leid in Worte zu fassen, reichte am Ende nicht aus, um das Leid zu bändigen. Auch wenn es Pedersen nicht gelingt, den Freund wenigstens für die Dauer der Lektüre seines Buches zurück ins Leben zu holen, so hält er zumindest die Erinnerung an ihn lebendig.

Michael Pedersen: Boy Friends. 
Faber and Faber, 240 Seiten.

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