Die politische Linke steht nach den Ergebnissen der letzten drei Wahlgänge vor einer Richtungsentscheidung. Der Glaube, dass durch die Ausrichtung auf Parlamentsmehrheiten gemeinsam mit der Sozialdemokratie und ökoliberalen Parteien reale politische Fortschritte zu erreichen sind, hat sich als Illusion erwiesen.
Die Versuche, mit begrenzter Kritik und Reformvorschlägen die gesamte Linke, ausgehend von einer Stärkung ihres linken Randes, schrittweise zu dynamisieren, sind in Luxemburg wie in ganz Europa gescheitert. Der vermeintlich sichere Weg hat sich erneut als Sackgasse entpuppt. Damit wurde lediglich erreicht, dass die Rolle von LSAP und Déi Gréng beim Erhalt der neoliberalen Grundausrichtung in der Politik verharmlost und die Verlierer des Systems der Demagogie von ADR und Piraten zugeführt wurden. Vom wachsenden Frust profitieren derzeit weltweit in erster Linie Rechtspopulisten. Es bleibt zu hoffen, dass der jetzige Scherbenhaufen zumindest Anlass gibt für eine selbstkritische Debatte über eine neue Strategie. Der Umstand, dass diese Diskussionen zeitgleich auch bei Schwesterorganisationen in mehreren Nachbarstaaten anstehen, könnte einiges erleichtern.
Wohin führt der Weg?
Tagtäglich drängt die Dynamik des neoliberalen Systems auf neue antisoziale Verschlechterungen und weitere Umweltzerstörungen. Das Industriepatronat fordert für den Herbst derzeit ganz ungeniert Verhandlungen über Pensionskürzungen und eine Infragestellung des aktuellen Rentensystems – und das in einem der reichsten Mitgliedsstaaten der Europäischen Union mit satten 27,5 Milliarden Euro Reserven in der Rentenkasse.
Eine Systemopposition ist also nötiger denn je. Um dem Sog der Anpassung auf Dauer zu widerstehen sind einige Verhaltensweisen absolut unerlässlich. Das bedeutet für die radikale Linke vor allem eine klare inhaltliche und programmatische Unterscheidung von der „Prosystem-Linken“, das heißt von Realo-Grünen und der LSAP. Den Leuten muss vermittelt werden, worin die qualitativen politischen Unterschiede zwischen „uns“ und „denen“ bestehen und dass diese Positionen in zentralen Fragen unvereinbar sind. Damit sollen punktuelle gemeinsame Aktionen nicht ausgeschlossen werden, dort wo sie möglich sind. Das wird aber in allen grundsätzlichen Fragen sicher nicht der Fall sein. Gerade dort wo es gilt, Kante zu zeigen, kann jede Form von Leisetreterei der eigenen Sache nur schaden.
Brauchbares Programm, mangelnde Konsequenz
Déi Lénk verfügt dabei derzeit noch über ein Programm, das in wichtigen Punkten nicht mit der bestehenden neoliberalen Wirtschaftsordnung zu vereinbaren ist. Es ist darum zumindest zum Teil ein transitorisches Programm mit einem antikapitalistischen Potenzial. Leider verbleibt dieses Programm zu oft in den Schubladen, während in der Alltagspraxis der Pragmatismus der Anpassung sein Werk verrichtet. In einem Interview im „Quotidien“ vom 14. August 2023 nach seiner Haltung zu Luxemburg als Finanzplatz befragt, antwortete Marc Baum folgendes: „Nous ne sommes pas fondamentalement opposés à la place financière. Nous constatons qu’elle existe. Mais on serait encore plus content si elle contribuait d’avantage à la société et la collectivité luxembourgeoise.“ In dieser Logik könnte man dann ja auch Kolonialismus und Imperialismus gut finden, wenn dadurch nur eben die Luxemburger Arbeiter und der Staat mehr davon profitieren würden!
Im letzten Dezember stimmte déi Lénk im Differdinger Gemeinderat für das „Niederkorn Mall“-Projekt, eines weiteren Mega-Einkaufszentrums in Niederkorn. Auch das wurde als eine lokale Entscheidung angesehen und gab keinen Anlass für eine interne Debatte. Am 15. Mai votierten dann die beiden Abgeordneten für den Ausbau von militärischer Infrastruktur in der Armee in Höhe von 153 Millionen Euro, zur Vergrößerung von Schießständen, Munitionsdepots und so weiter. Dass es sich dabei um die Zustimmung zur Aufrüstung einer Nato-Armee handelt ist doch wohl eine Evidenz!
Im Vergleich dazu war die „Enthaltung“ der beiden Vorgängerinnen in der Chamber, Nathalie Oberweis und Myriam Ceccetti, bei der Abstimmung über den Beitritt von Schweden und Finnland zur Nato schon fast eine heroische Tat, auch wenn sie ebenfalls im Widerspruch zu allen diesbezüglichen Kongressbeschlüssen von déi Lénk steht, die sich gegen die Nato als imperiales Militärbündnis wenden. Ein klares „Nein“, verbunden mit politischen Erklärungen, wäre aber auch hier unbedingt erforderlich gewesen!
Mitten im Wahlkampf für das Europaparlament tauchte dann urplötzlich in Teilen von déi Lénk die Forderung nach einer „europäischen Armee“ als Alternative zur Nato auf. Im Wahlmanifest ging wohl die Rede von einem „kollektiven Sicherheitssystem in Europa, unabhängig von der Nato und somit von den USA“. Dass daraus aber dann eine Aussage zugunsten einer „Europa-Armee“ entstehen würde, und dies ohne vorherige allgemeine interne Diskussion über die Aufgabe und die „soziale Natur“ dieser Armee, die Fragen der Nuklearbewaffnung, der zivilen und militärischen Befehlsstrukturen, der Finanzierung und so weiter, war dann aber doch für viele eine Überraschung. Solche improvisierten Aussagen sind evidenter Weise Gift für die Glaubwürdigkeit einer Gruppierung, die als Systemalternative und Anti-Aufrüstungspartei zur Wahl antrat. Ganz einfach gesagt: Der Abgrund zwischen den theoretischen Positionierungen und dem „innerhalb der Grenzen des real existierenden Kapitalismus machbaren“ wird immer deutlicher.
Erneuerung nach Links oder Niedergang?
Déi Lénk benötigt vor allem eine kohärente Alltagspraxis auf der Grundlage ihres ökosozialistischen Programms, um als Alternative glaubwürdig zu bleiben. Unklarheiten und Schlängelkurse sind dabei völlig kontraproduktiv.
Man müsste Forderungen stellen, die in die Richtung unserer Ziele gehen und mit diesen im Einklang stehen. Um die Verbindung von den direkten Lösungsvorschlägen mit den Fernzielen herzustellen, werden Übergangsforderungen benötigt, die einerseits den Erwartungen und dem Bewusstseinsniveau der Leute entsprechen, und andererseits die Marschrichtung und die Voraussetzungen zur Realisierung anzeigen. Also Antworten, die den Beginn von Problemlösungen aufzeigen, die eine mobilisierende Perspektive in sich tragen und vom bestehenden „System“ nicht im eigenen Interesse entstellt werden können.
Das Projekt einer wirtschaftsdemokratischen, nachhaltigen und fundamental sozial gerechten Gesellschaft muss in diesem Zusammenhang natürlich laufend präzisiert werden, denn das Zusammenspiel der diversen Aspekte der globalen Krisen treibt immer neuen Dimensionen entgegen.
To be or not to be?
Jede offene und demokratische Diskussion, die solchen Ansprüchen gerecht werden möchte, erfordert ein internes Tendenz- und Fraktionsrecht für alle Teilnehmer. Die Erkenntnis, dass es eben wechselnde Mehrheiten und Minderheiten unter dem Dach einer gemeinsamen Organisation gibt, muss endlich zu allen durchdringen. Eine Rückbesinnung auf die Gründerjahre von déi Lénk würde dabei guttun. Minderheitsströmungen müssen in allen Gremien präsent sein und dürfen nicht isoliert an den Rand gedrängt werden. Ebenso muss das Prinzip der Selbstkritik zukünftig einen größeren Stellenwert erhalten und zu einem fundamentalen Grundsatz werden. Die kritische Betrachtung der Tätigkeiten von Mandatsträgern soll eine Selbstverständlichkeit sein und nicht mehr als eine Art von „Majestätsbeleidigung“ betrachtet werden. Ohne diese Elemente läuft sich jeder linke Parteiansatz in diesem Lande tot, er versinkt irgendwann im Sumpf interner Postenjägerei und Opportunismus und verliert seine Raison d’Être.