Virtuelle Welten
: Menschenleere Zukunftsvision

Ein Luxemburger Start-up baut ein Metaverse für das Großherzogtum. Obwohl das völlig menschenleer ist, sind staatliche Organisationen dort vertreten – und zahlen viel Geld für wenig Ergebnis.

Am virtuellen Guichet.lu-Schalter lässt dich kein Ausweis bestellen, sondern lediglich eine Website öffnen. (Screenshot: Luxembourg Megaverse)

Ein Gang aus glänzendem Metall, an seinem Ende eine große Schleuse, wie bei einem Raumschiff in einem Science-Fiction-Film. Mit einem Klick öffnet sie sich und wir können das „Luxembourg Megaverse“ betreten. Eine virtuelle Welt mit „endlosen Möglichkeiten“, wie es offiziell heißt. In einem blauen Himmel schweben kreisrunde Inseln in zwei Umlaufbahnen um eine Art Turm, auf dessen Spitze eine Kopie der „gëlle Fra“ steht. Die Inseln sind mit einem schmalen Streifen verbunden, auf dem ein CFL-Zug fährt. 14 verschiedene „Inseln“ stehen zur Auswahl, doch bei den meisten steht „Coming soon“. Wirklich betreten können wir nur die sogenannten „Districts“, die von eins bis vier nummeriert sind. Verschiedene Firmen, Organisationen und zum Teil auch staatliche Institutionen sind vertreten.

Bevor es losgeht, müssen wir uns einen Avatar auswählen. Neben vermeintlich neutraler Kleidung gibt es für die virtuelle Figur auch Uniformen von Firmen und Organisationen, die im Megaverse vertreten sind. Auch einen beliebigen Namen kann man sich aussuchen, womit es theoretisch möglich wäre, eine*n Angestellte*n zu mimen. Damit das für Verwirrung sorgen könnte, müsste eine*n allerdings jemand anderes sehen. Das wird schwierig, denn das Luxembourg Megaverse war bei allen rezenten Besuchen der woxx völlig menschenleer.

Die 3D-Welt eines jeden der vier Districts sieht gleich aus: Wie ein ziemlich langweiliger Park mit getrimmtem Rasen und ein paar künstlichen Pflanzen. Da es wohl verboten ist, den virtuellen Rasen zu betreten, gibt es Abtrennungen. Auf den Gehsteigen stehen Laternen, zwischen ihnen hängen rot-weiß-blaue Wimpel. Irgendwo steht eine weitere Replik der „Gëlle Frau“. Die einzigen Attraktionen, die wir besuchen können, sind die Pavillons der Organisationen, in der Megaverse-Sprache „Dots“ genannt.

Kein virtueller Ausweis

In einem solchen finden wir Guichet.lu, den virtuellen „Schalter“ des Luxemburger Staates. Zwei Pfeile weisen auf Angebote hin: „online“ und „on-site“. Neben dem „on-site“-Pfeil stehen die Wörter „Identity card“ und „Driving license“ sowie die Öffnungszeiten und dass man „hier“ einen Termin ausmachen kann. Können wir tatsächlich hier im Metaverse einen neuen Ausweis oder Führerschein beantragen? Es gibt keine virtuellen Staatsbeamt*innen, die wir fragen könnten. Ein Klick auf „Identity card“ führt schnell zur Ernüchterung: Es öffnet sich lediglich ein neuer Tab im Browser und wir werden auf die entsprechende Unterseite von Guichet.lu geleitet.

In ihrem Megaverse-Pavillion sucht die CFL neue Mitarbeiter*innen. (Screenshot: Luxembourg Megaverse)

Theoretisch könnte man das Megaverse auch mit einer VR-Brille benutzen. Es ist angesichts der eher schlechten Grafik und der vielen Links zu Webseiten jedoch alles andere als ein Verlust, das nicht zu tun. Die anderen Pavillons bieten ein ähnliches Bild: Auf Postern oder Infoscreens werden Informationen beworben, die man auf den Websites der jeweiligen Firmen oder Organisationen finden kann. Auf den Pfaden zwischen den Pavillons stehen Werbetafeln, auf denen echte Werbeplakate eingeblendet werden. Anklickbar sind die jedoch nicht. Highlight ist eine „Visit Luxembourg“-Hütte, in der man sich ein (fast) 360-Grad-Panorama von Luxemburg-Stadt anschauen kann. Das wirkt zwar etwas verzogen, ist aber dennoch realistischer als die restliche, einheitliche Landschaft des Megaverse.

Alles, von der Grafik bis zur Steuerung, erinnert an ein Computerspiel aus den frühen 2000er-Jahren, mit einem Unterschied: Computerspiele haben meistens Spaß gemacht. Auch der Vergleich mit dem ersten erfolgreichen „Metaverse“, das auf den Namen „Second Life“ hört und trotz stark gesunkener Nutzer*innenzahlen immer noch aktiv ist, drängt sich auf. Auf dem Höhepunkt des Booms eröffneten zahlreiche Firmen und Organisationen virtuelle Zweigstellen in Second Life, Schweden sogar eine Botschaft. Die war vor 16 Jahren funktional auf dem gleichen Stand wie jetzt das virtuelle Guichet.lu, war aber immerhin eine originalgetreue Replik eines echten Botschaftsgebäudes.

Ein zweites Second Life

Nach einer Zeit des Hypes wurde es ruhig um Second Life. Die Idee, dass Menschen künftig in einer virtuellen Welt, die auch gerne als „Metaverse“ bezeichnet wird, Zeit verbringen würden, schien dann doch absurd. Zwar benutzen schlussendlich mehr Menschen Online-Services als je zuvor, doch sie tun das nicht in 3D-Welten am Computer, sondern über Apps am Smartphone. Statt sich in einem Metaversum virtuell zu treffen, tauschen die meisten sich über Social Media aus.

Wer wollte nicht immer schon eine VR-Brille aufsetzen, um sich flache Werbeplakate anzusehen? (Screenshot: Luxembourg Megaverse)

Ausgerechnet ein Unternehmen, das mit einem solchen groß geworden ist, löste einen zweiten Boom um die Idee des Metaverse aus: die Facebook-Firma Meta, die mit ihrer Umbenennung und hohen Investitionen die Richtung vorgab und einige Start-ups in Goldgräber*innenstimmung versetzte. Wer es schaffen würde, als Erstes eine funktionierende Plattform mit vielen Nutzer*innen aufzubauen, könnte das Rennen noch vor Meta machen. Vor allem in Kreisen, die sich viel mit Kryptowährungen und Blockchain-Technologie beschäftigen, waren Metaversen beliebt. Vermutlich, weil sie ein Einsatzgebiet für ihre Technologie sahen: Die virtuellen Besitzverhältnisse und Transaktionen in einem Metaverse könnten sich zwar auch in einer stinknormalen Datenbank abbilden lassen, doch das Buzzword „Blockchain“ steht für Innovation, auch wenn die Technik langsam und ineffizient ist. Ein besonders bekanntes Beispiel für ein solches Metaverse: Decentraland.

Das Versprechen einer endlosen virtuellen Welt mit schier grenzenlosen Möglichkeiten wich schnell der Ernüchterung. Wer in Hoffnung auf zukünftige Gewinne „Bauplätze“ in Decentraland kaufte, setzte sein Geld in den Sand. Von den vielen angekündigten Funktionen wurden nur die wenigsten umgesetzt, der große Ansturm blieb aus. „The future is a dead mall“, die Zukunft ist ein verlassenes Einkaufszentrum, drückte es Youtuber Dan Olson in einer zweistündigen Dokumentation über dieses Metaverse aus.

Auch Mark Zuckerbergs Metaverse-Traum scheint zum Platzen verdammt: In „Horizon Worlds“, der virtuellen Welt, an der die Facebook-Firma über zwei Jahre lang gearbeitet hat, hielten sich im Oktober 2022 gerade einmal 200.000 Nutzer*innen auf. Gestartet war die Plattform im Dezember 2021. Wie der Guardian berichtete, kommen die meisten Nutzer*innen nach ihrem ersten Besuch nicht zurück. Die Möglichkeit, virtuelle Objekte zu verkaufen, soll gerade einmal 470 Dollar eingebracht haben. Obwohl der Zugang begrenzt ist – Horizon Worlds ist nur in wenigen Ländern verfügbar und man muss eine VR-Brille benutzen – liegt der Schluss nahe, dass das Interesse nicht so groß ist.

Plötzlich offline

Kaum jemand will sich eine VR-Brille aufsetzen, um dann in einem virtuellen Büro zu sitzen oder an einem virtuellen Meeting teilzunehmen. Wer Freund*innen online treffen will, tut dies über Sprach- oder Videochat, oft genug auch in einem Videospiel. Diese virtuellen Welten haben den Vorteil, dass man dort etwas zu tun hat und sie oft eine bessere Grafik bieten.

Weshalb setzen dennoch so viele Firmen, öffentliche Institutionen und staatliche Stellen auf eine Präsenz im Luxembourg Megaverse? Die woxx hat sich vor allem an öffentliche Akteure gewandt, um herauszufinden, wie zufrieden sie mit dem Megaverse sind und vor allem, wie viel öffentliches Geld in ein Projekt fließt, dessen Erfolg mehr als zweifelhaft ist. Presseanfragen wurden verschickt, Gespräche geführt – nur um festzustellen, dass das Megaverse plötzlich offline war. Statt der 3D-Welt gab es nur noch eine Vorschauseite zu sehen, auf der das Megaverse angekündigt wird. Was war passiert? Hatten wir zu kritische Fragen gestellt? Gab es technische Probleme? Niemand von unseren Gesprächspartner*innen hatte erwähnt, dass das Megaverse nicht erreichbar sein würde. Auf Nachfrage hin hieß es sogar von einigen, man wüsste davon nichts.

Am vergangenen Dienstag erreichte die woxx eine E-Mail mit Antworten von Digital Rangers, jenem luxemburgischen Start-up, das gemeinsam mit der Marketingfirma The Dots für das Megaverse verantwortlich ist. „Wir sind aktuell in einer Transitionsphase, wir migrieren Links für ein wichtiges Update des Megaverse. Trotz dieser temporären Änderung können Sie das Megaverse weiterhin erkunden.“ Auf der Website des Megaverse findet sich dann auch tatsächlich ein Link zu einer 3D-Welt. Die stellt sich jedoch nur als ein einziger Raum heraus. Am Ende eines langen Korridors stehen wir vor einer verschlossenen Tür. „Im Laufe des Nachmittags wird sich das ändern. Aber wir arbeiten eigentlich an einer besseren Version, die im September als App erscheint“, erklärt der CEO Matthieu Bracchetti der woxx am Telefon. Am Donnerstag konnte man das Megaverse wieder in der oben beschriebenen Form besichtigen.

Auf diese App freut sich auch die Philharmonie. „Es wird möglich sein, die Philharmonie virtuell zu besuchen. Sogar der Fußboden sieht so aus wie bei uns!“, erklärt Aurélia Karp der woxx. Das Konzerthaus plane, Events wie etwa Konzerte im Megaverse durchzuführen, um junge Menschen anzusprechen. Im Moment sieht der „Dot“ der Philharmonie so aus wie jeder andere. Auf dem Dach dreht sich ein virtuelles Modell des Hauses mit seiner charakteristischen Säulenfassade. Aktuell gebe es aber wenig Feedback von Nutzer*innen des Megaverse und Besucher*innen der Philharmonie. „Die wenigsten kommen auf ein Konzert und sagen uns, woher sie von uns erfahren haben“, gibt Karp zu bedenken.

Florierende Geschäfte

Junge Menschen zu rekrutieren, das erhofft sich auch der staatliche Informatikdienst CTIE mit seinem Pavillon im Megaverse. „Solche Plattformen ziehen junge Menschen an und allgemein solche, die sich für neue Technologien interessieren. Genau solche Menschen sucht und braucht das CTIE und hofft, dass sie über das Megaverse auf das CTIE als Arbeitgeber aufmerksam werden“, so eine Sprecherin des Digitalisierungsministeriums gegenüber der woxx. Das CTIE wolle möglichst früh im Megaverse präsent sein, um die neue Plattform zu testen und sich mit neuen Technologien zu familiarisieren. „Weniger als 10.000 Euro“ habe man dieses Jahr für das Pavillon im Megaverse gezahlt. „Virtual Rangers misst nicht, wie viele Besucher die jeweiligen Stände besucht haben, aber wir können anhand unserer Statistiken nachvollziehen, dass 24 Besucher auf unsere Website weitergeleitet wurden.“ Besuche auf den Social-Media-Präsenzen des CTIE könne man jedoch nicht erfassen. Das CTIE zahlt also mehrere hundert Euro für einen Klick auf seine Website.

Andere sind da günstiger weggekommen, so zum Beispiel „Luxinnovation“, die parastaatliche „Innovationsagentur“: Ihr Pavillon im Megaverse sei kostenlos gewesen, die Präsenz sei jedoch „im Moment rein symbolisch“, wie der Head of Content Jean-Michel Gaudron betont. Auch das Musée national des mines de fer luxembourgoises ist eher beiläufig im Megaverse gelandet: „Wir haben gemeinsam mit Virtual Rangers virtuelle Besuche entwickelt, bei denen die Besucher in unserer Mine zusätzliche Informationen und Animationen auf einem Ipad anschauen können. Virtual Rangers hat einige dieser Elemente dann auch ins Megaverse aufgenommen. Unsere Priorität ist es, Besucher in unser physisches Museum zu bringen“, so Denis Klein vom Grubenmuseum. Die CFL, die durch virtuelle Züge prominent im Megaverse vertreten sind, wollten nicht verraten, wie viel sie zahlen.

Laut Virtual Rangers kostet eine Präsenz im Megaverse 5.000 Euro für die Erstellung und 120 Euro im Monat. Allerdings gebe es verschiedene Erweiterungsmöglichkeiten, und durch das Update im September stiegen die Preise in Zukunft leicht. Über die Nutzer*innenzahlen schweigt man jedoch: Im September sei man in einer besseren Position, diese Informationen mitzuteilen, da man durch technische Innovationen ein starkes Wachstum erwarte. Insgesamt versuche man, langfristig zu denken: „Wir arbeiten ständig an neuen Funktionen, Partnerschaften und Technologien, um sicherzustellen, dass Megaverse attraktiv, relevant und nachhaltig bleibt. Unser Plan ist nicht nur, dass Megaverse in 10 Jahren noch online ist, sondern dass es floriert.“

Soweit es nachvollziehbar ist, floriert im Moment nur das Geschäft von Virtual Rangers. Im Megaverse fehlen die Besucher*innen – was angesichts des unattraktiven Angebots nicht sonderlich verwundert. Ob die App, die im September erscheinen soll, daran viel ändert, ist zu bezweifeln.


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