Wie umgehen mit den zunehmenden sozialen Ungleichheiten?

Mit der zunehmender Pluralisierung der Gesellschaft verstärken sich die Ansprüche an Statistikämter nach differenzierten Untersuchungen und Daten. Bei einer Diskussionsrunde im Cercle Cité wurde über Möglichkeiten nachgedacht, dies zu gewährleisten.

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Die am Montag vom Statec organisierte Konferenz „Dimensions cachées des inégalités“ war gut besucht. Zu gut, möchte man schon fast sagen, mussten einige Zuhörer*innen doch auf den Treppen des Auditoriums Platz nehmen. Im Fokus der Diskussionsrunde stand die Frage, welche Aspekte sozialer Ungleichheit in statistischen Erhebungen unzureichend untersucht werden. Oder wie der Direktor des Statec und Moderator der Runde, Serge Alegrezza, es formulierte: „Mesurons-nous bien ce qui importe?“ Zu Gast waren der Autor François Duvet, Louis Chauvel, Soziologe an der Universität Luxemburg,, Aline Muller, Direktorin des Liser und Robert Urbé von der Caritas.

Den Anfang machte Duvet mit einer Zusammenfassung dessen, was er in seinem Werk „Le temps des passions tristes. Inégalités et populismes.“ beschreibt. Früher habe es innerhalb der Gesellschaft eine einzige, eindeutig identifizierbare Quelle der Ungleichheit gegeben, nämlich die Klassenzugehörigkeit. Daraus hätten sich homogene Gruppen und kollektive Identitäten ergeben – eine recht stabile Situation, die Duvel als „égalité des places“ bezeichnet. Menschen hätten sich folglich nicht als Individuum, sondern als Mitglieder des Proletariats diskriminiert gefühlt.

An dieser Stelle erwähnte Duvet den britischen Filmemacher Ken Loach, dessen Filme eine Nostalgie nach der Klassengesellschaft vermitteln. Duvet selbst scheint auch eine solche Nostalgie zu empfinden: In der gegenwärtigen Gesellschaft seien die Ungleichheiten deutlich vielfältiger, Diskriminierung werde nicht mehr auf kollektiver, sondern vielmehr auf persönlicher Ebene erlebt. Durch die Problematik der Mehrfachdiskriminierung werde darüber hinaus jeder Mensch auf andere Weise diskriminiert. Dies habe zur Folge, dass diskriminierte Bürger*innen nicht mehr an einem Strang ziehen, sondern in Konkurrenz zueinander stehen. Während in den 1960er-Jahren zwischen berufstätigen 16-Jährigen (50 Prozent) und gleichaltrigen Schüler*innen (50 Prozent) unterschieden wurde, sei es heutzutage relevanter welche Schule und „Filière“ die Jugendlichen besuchen. Statistikämter wie der Statec hätten in dem Kontext einerseits die Aufgabe, die Entstehung von Ungleichheiten zu analysieren, und andererseits zu untersuchen, wie die einzelnen Akteur*innen sie wahrnehmen.

Wie schon Duvet betonte auch Louis Chauvel, dass das Schulsystem Ungleichheiten verstärke. Die hinzukommenden hohen Wohnpreise, der „vide de sens postmoderne“ sowie das erhöhte Risiko des sozialen Abstiegs würden zunehmend zu Frustrationen und Ressentiments innerhalb der Gesellschaft führen. Viele würden sich in der Folge sei es ihrer Familie, sei es populistischer Strömungen zuwenden.

Duvet, Chauvel und Aline Müller betonten die Notwendigkeit zur Differenzierung: zwischen der statistischen Erhebung/Identifizierung von Ungleichheiten und deren persönlichen Wahrnehmung. Diesbezüglich bestehe nämlich eine große Diskrepanz. Müller zufolge bestehe eine große Distanz zwischen unterschiedlichen sozialen Gruppen. Diese würden weder miteinander in Kontakt kommen noch dieselben Medien konsumieren. Nur bei vereinzelten Themen würden sich Kooperationen ergeben – und diese gelte es auszumachen. Statistikämtern käme die Aufgabe zu, die sozialen Normen zu identifizieren, die in unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen vorherrschen.

Anders als Duvet, erkennt Robert Urbé innerhalb der Gesellschaft immer noch eine gewisse Zweiteilung. Arbeiter*innen verdienten hierzulande wesentlich schlechter als Nicht-Arbeiter*innen, Menschen ohne luxemburgische Nationalität seien einem doppelt so hohen Armutsrisiko ausgesetzt als solche mit. Statistikämter hätten den Auftrag, nicht nur Fälle von Armut zu identifizieren, sondern auch den Grad der Armut auszumachen. Interessant sei zudem die Frage, ob eine gewisse Desinformation bezüglich der Armut in Luxemburg gewollt sei.

Die Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Runde wiesen auf ein Neues auf die zahlreichen Aspekte hin, die bisher viel zu wenig erforscht wurden. Man darf gespannt sein, welche Schlussfolgerungen der Statec aus der Diskussionsrunde zieht.


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