Zum Tod von Mimi Parker: Eine Präsenz, die bleibt

Anfang November ist Mimi Parker 
von der US-amerikanischen Indie-Gruppe „Low“ gestorben. Als Schlagzeugerin und mit dem sanften Vibrato ihres Gesangs prägte Parker maßgeblich den minimalistischen Sound der Ausnahmeband.

Nichts stand mehr für die vollendete Zartheit und Zerbrechlichkeit der Musik von „Low“: 
die Schlagzeugerin und Sängerin Mimi Jo Parker (1967-2022). (Foto: Joe Cunningham)

Am Anfang von jedem Konzert war immer die Stille. Ein Publikum, das sich Geplauder oder vorfreudige Rufe, als sei dies vorab verabredet worden, wie selbstverständlich ohne jede Aufforderung verbat. Eine Stille, wie man sie von der Einlaufrille einer Schallplatte her kennt. Man hört noch nichts, aber die tastende Bewegung hat bereits begonnen, die knisternde Stille setzt sich in gespannte Erwartung um. So begannen die Konzerte der Band „Low“.

In dem Stück „I Remember“ wird das Geräusch, das der Tonabnehmer von solchen Leerrillen überträgt, sogar gesampelt, kurz nachdem Mimi Parker mit sanften Schlägen auf die Floor Tom und die Kante ihrer Snare Drum zu spielen beginnt. Es ist ein für Low typisches minimalistisch-melancholisches Stück, das auf dem 1999 erschienen Album „Secret Name“ den Anfang macht, ehe mit „Starfire“ dann auch Alan Sparhawk mit seinem typisch samtigen Gitarrensound stärker zur Geltung kommt. Vor allem jedoch setzen hier die von Parker und Sparhawk gemeinsam erzeugten Gesangsharmonien ein, die über die Jahre hinweg zum markantesten Stilelement der Gruppe geworden sind.

Auch wenn viele die Band womöglich erst mit dem genannten Album, dem ersten, das auf dem Experimentalmusik-Label „Kranky“ erschienen ist, entdeckt haben dürften, hat die gemeinsame musikalische Reise von Parker und Sparhawk schon viel früher begonnen: Die ersten gemeinsamen Konzerte spielten die beiden 1993 in ihrem Heimatort Duluth in Minnesota. Verheiratet waren sie da bereits. Als 1994 ihr Debutalbum „I Could Live in Hope“ erschien, war Mimi Parker schon dafür bekannt, statt Drumsticks vorwiegend Besen, oft auch gepaart mit einem Filzschlegel, zu verwenden. Nichts stand mehr für die vollendete Zartheit und Zerbrechlichkeit der Musik von „Low“ als das sanfte Vibrato von Parkers Gesang und die auf ihrem schlicht ausgestatteten Drumkit erzeugten Klangschattierungen.

Diese minimalistische Ästhetik brachte die Band auch auf der Bühne perfekt zur Geltung. Parker nahm, leicht nach hinten versetzt, die Mitte des Bühnenraumes ein, hob an, verlieh dem, was folgte, seinen Puls. Oft wirkte sie dabei ein wenig in sich gekehrt, doch das war sie in Wahrheit vermutlich nicht. Sie nahm sich zurück, um dem Klang ihrer Trommeln die maximale Aufmerksamkeit zu garantieren. Wie bei ihrem Instrument gab es auch in den Kompositionen von „Low“ kaum je etwas, das auf ornamentale Verschwendung hindeuten ließ. Wer die Band live gesehen hat, wird sich daran erinnern, wie Parker in vollendeter Anmut ihr Schlagwerkzeug rotieren ließ. Jeder Ton den sie auf ihrem Schlagzeug spielte, jeder Akkord, den Sparhawk auf seiner Les Paul oder Fender-Gitarre anschlug, klang folgerichtig, setzte sich auch beim Publikum in Körperspannung um. Mehr Präsenz war nicht möglich; und so wurden die Konzerte von „Low“ zu einem nahezu unmittelbaren Erlebnis.

Vielleicht jedoch ist das beste Album von „Low“ immer dasjenige, mit dem man die Band zuerst für sich entdeckt hat.

Über die Jahre hinweg wurden die beiden von insgesamt vier Bassisten und einer Bassistin begleitet, am längsten von Zak Sally (1994-2005) und Steve Garrington (2008-2020). Allmählich änderte sich der Stil der Band. Auf den späteren, bei „Sub Pop“ erschienenen Alben mischten sich vermehrt elektronische Elemente, Samples und Distortion in die Stücke. An der magischen, zurückgenommenen Wärme der Arrangements änderte das nichts.

Unter den Produzenten, die die Band für ihre mehr als ein Dutzend Studioalben gewinnen konnten, finden sich Großmeister wie Steve Albini, der sich nicht nur als Toningenieur einen legendären Namen gemacht hat, sondern auch als Mitglied von Bands wie einst „Big Black“ und heutzutage „Shellac“. Musikalisch bestimmte dennoch immer „Low“ selbst, wohin die Reise geht.

Als Bindeglied der verschiedenen Schaffensphasen fungierte immer wieder Mimi Parkers Gesang. Solo, wie bei dem Stück „In Metal“ (vom Album „Things We Lost in the Fire“), einer poetischen Miniatur auf ihre Rolle als Mutter und die immer wiederkehrenden Momente des Abschiednehmens, die diese mit sich bringt. Oder im Duett mit Alan Sparhawk, was ihren Sopran manchmal geradezu ätherisch erscheinen ließ. So wie in dem Stück „Amazing Grace“, dem Opener des 2002 erschienen Albums „Trust“.

Zu sagen, dass ein zeitgenössisches Kunstwerk Trost spende, ist in vielerlei Hinsicht wohl eines der schlimmsten Dinge, die man über dessen ästhetische Geltung sagen kann, angesichts einer Welt, in der nichts in Ordnung ist, und in der jede falsche Harmonie einen Verrat an der dringend notwendigen Veränderung bedeutet. Nicht so bei der Musik von „Low“. Wenn sie so etwas wie Trost gewährte, dann in glasklarem Bewusstsein der unerhörten Zustände, ohne zu beschwichtigen oder einzulullen. Vielleicht sogar hatte ihre Musik immer auch etwas mit dem Bewusstsein der eigenen Sterblichkeit zu tun.

Zur Sterblichkeit kehrten immer wieder auch die Texte zurück, die in ihrer kryptischen Poetik oft nicht leicht zu entschlüsseln waren, dafür aber für individuelle Interpretationen offen blieben. „I was a child, I was on fire, but I stayed alive, while all else died“, heißt es etwa in dem Song „In the Drugs“ (aus dem Album „Trust“), und etwas weiter: „You had your plan, a heavy hand, but the weight was more than you could stand.“ Zwischen den Stücken oft ein Bruch; etwa, wenn das nachfolgende Stück „Last Snowstorm of the Year“ für Low-Verhältnisse brachial und Up-tempo beginnt und Parker und Sparhawk unisono verkünden: „When we were young, we wanted to die, but the sound of a drum and the words of a child brought different light.“

Fragt man Fans, welches ihr Low-Lieblingsalbum ist, wird man bei vielen auf Entscheidungsschwierigkeiten treffen. Vielleicht jedoch ist das beste Album immer dasjenige, mit dem man die Band zuerst für sich entdeckt hat, zum ersten Mal erfahren durfte, was deren Musik zu tun vermag: Die einen, was auch immer man eben noch gedacht oder getan haben mochte, innehalten ließ, ganz und gar ergriffen von dem Gefühl, das sich mit der eigentümlichen Körperlichkeit des Sounds von „Low“ einstellt.

Am 5. November ist Mimi Parker im Alter von 55 Jahren an den Folgen einer Krebserkrankung gestorben. Einen Tag später teilte die Band ihrer Fangemeinde die Nachricht auf Twitter mit: „Friends, it’s hard to put the universe into language and into a short message, but she passed away last night, surrounded by family and love, including yours. Keep her name close and sacred. Share this moment with someone who needs you. Love is indeed the most important thing.“

So unmöglich es sein mag, das Universum in Sprache zu fassen: Mit ihrer Musik, die bleiben wird, gaben „Low“ einem wieder und wieder das Gefühl, als könne ihnen dieses Kunststück tatsächlich gelingen – was für ein Glück, was für ein Geschenk.

Godspeed, Mimi Parker.


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