LAGE DER NATION: Abschiedsrede

Am kommenden Donnerstag findet die traditionelle Regierungserklärung statt, die in diesem Jahr mit besonderer Spannung erwartet wird. Könnte es doch die letzte von Jean-Claude Juncker als Regierungschef sein.

Auf den Redaktionstischen häufen sich die Stellungnahmen und offenen Briefe an den Premier: Er solle doch diese oder jene langjährige Forderung in seine Rede zur Lage der Nation, die er am kommenden Donnerstag vor dem Parlament halten wird, mit einbeziehen. Die Stimmung vor Junckers rhetorischem Showdown scheint diesmal angespannter zu sein als in den Jahren davor. Und das nicht nur, weil die Rede das letzte Amtsjahr der aktuellen Koalition einläutet. Zwar beginnt der Wahlkampf offiziell erst im Frühjahr nächsten Jahres, aber das letzte Koalitionsjahr hat sich in der Vergangenheit nur allzu oft als Phase des Stillstands entpuppt, bei der die Koalitionspartner keine Gelegenheit ausließen, schulterklopfend dem Noch-Partner ein Bein zu stellen.

Angesichts der unerledigten legislativen Arbeit – zu messen an der Flut der in die Schlussabstimmungsphase gelangenden Gesetzesprojekte – dürfte der Premier daran interessiert sein, die Vorwahlkampfphase möglichst kurz zu halten. Doch die parteipolitischen Bodentruppen gehen schon jetzt in Stellung: Die Parteien fangen an, ihre Wahllisten zusammenzustellen. Wer lauter brüllt, als die ParteikameradInnen, erhofft sich dadurch womöglich, auf einer der vier Regionallisten zu landen.

Spannend wird die Rede aber auch, weil es unter Umständen Junckers letzter derartiger Auftritt vor dem Parlament sein wird: Sei es, dass er von seinen europäischen Amtskollegen nach Brüssel weggelobt wird, sei es, dass die Wählerinnen sich nach dreißig Jahren CSV-Regierung nach einem Wechsel sehnen.

Zwar ist die Regierungserklärung nicht die Handlung eines Einzelnen, sondern ein kollektives Unterfangen der gesamten Regierung, die lediglich vom Premier „vorgetragen“ wird. Dennoch wird an diesem Tag sicher auch die Person Jean-Claude Juncker im Mittelpunkt stehen. Der hat sich für seine Zukunft bislang alle Optionen offen gelassen. Ein Gang nach Brüssel – der beim letzten Kommissionswechsel noch als unmöglich galt, weil Juncker sich seinen luxemburgischen WählerInnen verpflichtet fühlte – er wird sogar von CSV-MandatärInnen immer öfter als nicht unbedingt erwünscht, aber als unabwendbar angesehen.

Euro-Mann Juncker ist ein viel gefragter Interviewpartner für Medien aus Europa und der ganzen Welt. Immer öfter erscheint er vor den Kameras und Mikrofonen ausländischer Sendeanstalten. Gefragt ist immer weniger der Luxemburger Premier, denn der Rats- beziehungsweise Kommissionspräsident in spe.

Auch wenn die Rede zur Lage der Nation normalerweise also eher dazu dient, das weitere politische Vorgehen der amtierenden Koalition darzustellen, wird Juncker in diesem Jahr nicht darauf verzichten, eine Art politische Bilanz zu ziehen: Die Bilanz einer Koalition, aber auch die einer 30 Jahre währenden CSV-Dominanz, die maßgeblich von ihm mitgetragen wurde.

Dieser inhaltliche Spagat dürfte nicht einfach werden. Denn viele der aktuellen Probleme, denen sich unsere Gesellschaft – etwa im Bereich der Erziehungspolitik – derzeit stellen muss, sind auch das Resultat der Versäumnisse der letzten Jahrzehnte. Sollte sich Juncker lediglich die Rosinen herauspicken und so versuchen, die vermeintlich positiven Aspekte für sich in Anspruch zu nehmen, dann käme das einer Bloßstellung seiner Partei gleich. Die wäre fortan gleich mit einem doppelten Handicap gestraft: ohne Aushängeschild und mit einer eher düsteren Bilanz.

Wahrlich keine wünschenswerten Voraussetzungen für einen Wahlkampf, bei dem zum ersten Mal seit langem nicht vorweg feststeht, wie der nächste Premier heißen wird.


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