LANDESPLANUNG: „Mir sinn elo 2011“

Was alle ahnten, wurde jetzt offiziell: Der Zwischenbericht zum IVL hat gezeigt, wie weit die Landesplanung gegenüber der Realität ins Hintertreffen geraten ist.

Eingespielter Stapellauf: Während der Minister, nicht mehr so frisch wie bei seiner Amtsübernahme, Zweckoptimismus betreibt, ermahnt sein erster Regierungsrat zur Geduld.

Nicht nur optisch wirken sie wie Pat und Patachon: Innenminister Jean-Marie Halsdorf und der erste Regierungsrat in der Direktion „Landesplanung“ des Innenministeriums, Romain Diederich, versuchten am Dienstag dieser Woche jeder auf seine Weise, ein kritisches Publikum über die aktuelle Umsetzung des „Integrativen Verkehrs- und Landesentwicklungskonzeptes für Luxemburg (IVL)“ zu informieren. Auf einer vom Mouvement Ecologique ausgerichteten Veranstaltung wollten sie die ZuhörerInnen für ihr Vorhaben gewinnen, mit langsamen, aber sicheren Schritten den rechtlichen Rahmen für die weitere Entwicklung Luxemburgs vorzubereiten.

Während der Minister in seiner jovialen Art trotz aller Rückschläge und des enormen Zeitverlustes gebetsmühlenartig landauf, landab verkündet, er könne die für die Umsetzung des IVL so wichtigen sektoriellen Entwicklungspläne (Verkehr, Landschaftsschutz, Wohnungsbau und Gewerbezonen) noch in der laufenden Legislaturperiode präsentieren, bilanziert sein erster Regierungsrat nüchtern die Entwicklung Luxemburgs aus Sicht der Landesplanung, seitdem das IVL 2004 aufgelegt wurde.

Die IVL-Vorgaben sahen damals ein jährliches wirtschaftliches Wachstum von vier Prozent vor. Ein enormer Wert im Vergleich zu den unmittelbaren Nachbarn, der sich allerdings bezogen auf den Wirtschaftsraum Luxemburg und dessen Entwicklung in den Neunzigerjahren fast schon bescheiden anhörte. Der Grund dieses Wachstums fand sich in der demographischen Situation Luxemburgs und seines opulenten Rentensystems: Um eine Finanzierung aus der laufenden wirtschaftlichen Aktivität zu gewährleisten, so hatte man im „Bureau International du Travail (BIT)“ vorgerechnet, brauchte es jährlich 6.000 Arbeitsplätze zusätzlich.

Einmal in den Raum gestellt, diktierte diese Prämisse fortan die verschiedenen Szenarien, die im Rahmen der IVL-Planung zur Diskussion gestellt wurden. Zwar wurde sich in der Folge politisch für das sogenannte „Einwohnerszenario“ entschieden. Das sieht vor, diese vielen neuen Werktätigen im eigenen Lande anzusiedeln, statt sie jeden Tag aus den Grenzregionen nach Luxemburg pendeln zu lassen. Doch noch ist keines der Instrumente vorhanden, ein solches Szenario auch nur ansatzweise durchzusetzen.

Schon eine Studie zur räumlichen Entwicklung am Südrand der Hauptstadt (siehe woxx 956) hatte ergeben, dass das wirtschaftliche Wachstum in den letzten fünf Jahren stärker war als angedacht, und dass sowohl die Pendlerzahl als auch die Zahl der in Luxemburg wohnenden ArbeitnehmerInnen höher lag, als im „Pendler-“ beziehungsweise im „Einwohnerszenario“ vorgesehen. Diese Abstimmung mit den Füßen bleibt nicht ohne Folgen für die räumliche Entwicklung, da sowohl für mehr Wohnraum als auch für mehr verkehrstechnische Infrastrukturen gesorgt werden muss, als ursprünglich gedacht.

Romain Diederich gibt sich betont vorsichtig, weil wichtige Daten nicht vorliegen: Seit 1995 hat keine detaillierte Erhebung des Mobilitätsverhaltens der einzelnen Hauhalte mehr stattgefunden. Und von den Grenzpendlern ist zwar bekannt, wo sie herkommen, doch nicht, mit welchen Verkehrsmitteln sie ihren täglichen Weg zum Arbeitsplatz antreten. Damit ist es praktisch unmöglich, anzugeben, wie hoch der so genannte „modal split“, also der Anteil der Nutzer öffentlicher oder sanfter Verkehrsmittel gegenüber den Nutzern privater Autos denn nun wirklich ist. Ob sich der Wert aus den Neunzigerjahren, der bei 13 Prozent lag, in Richtung der im IVL geplanten 25 Prozentmarke bewegt oder nicht, mögen die Landesplaner so eindeutig nicht sagen.

Unabhängig von der Verteilung auf öffentliche und private Verkehrsmittel sind die Infrastrukturen wegen des absoluten Wachstums der Verkehrsbewegungen – zwölf Prozent allein zwischen 2002 und 2007 – an Grenzen gestoßen. „Damit sind wir laut IVL schon im Jahr 2011“, stellt Diederich unumwunden fest.

Das Verkehrsministerium sieht zwar bis 2020 eine Reihe von baulichen Maßnahmen im Bereich des Schienenverkehrs vor, die die Voraussetzungen für einen Ausbau des Anteils des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) schaffen. Doch kommen die „gares périphériques“, die „Stater Tram“ und die neuen Zuglinien – etwa nach Esch – zu spät, um den jetzt andauernden Trend schnell genug absorbieren zu können. Die CFL-Direktion zeigt sich bedeckt, wenn es darum geht, zu erfahren, wie die unmittelbare Zukunft im Schienenverkehr aussehen soll. Wohl freuen sich die Eisenbahner über den spürbaren Zuwachs an Kunden, doch auf die Frage, wie lange mit dem bestehenden Material dieser Trend noch bewältigt werden kann, reagiert man mit Achselzucken: Es fehlten die wichtigen politischen Entscheidungen, was den Bau an Schienen und Bahnhöfen anbelangt. Die CFL sehen sich als ausführendes Organ der Regierung – eigene Vorstellungen, wie man dem Mehr an Kunden begegnen kann, werden kaum entwickelt.

Das Zugmaterial an sich, das noch durch Zukäufe ergänzt werden soll, erlaubt zwar noch einige Neukunden. Zustände wie in Belgien oder Paris, wo viele PendlerInnen stehend über längere Strecken befördert werden, kennt man in Luxemburg bislang eigentlich nur bei einigen jener Züge, die aus dem französischen Grenzgebiet kommen. Doch ist die Zahl der Sitzplätze nicht das eigentliche Problem: Einige Strecken sind in den Spitzenstunden so ausgelastet, dass es kaum möglich sein wird, zusätzliche Fahrten vorzusehen. An den Bahnsteigen lässt sich in einem bestimmten Zeitrahmen nur eine beschränkte Zahl an Wagen abfertigen. Durch die Einführung der Doppelstockwagen wurde die Kapazität zwar deutlich erhöht, dennoch bedeuten mehr Mitreisende und Züge an den Bahnsteigen auch mehr Verzögerung und somit die Gefahr von Verspätungen.

„Wenn wir schlechte Reglemente machen, die beim ersten Einspruch vor dem Verwaltungsgericht keinen Bestand haben, dann waren Jahre der Arbeit umsonst!“

Mittelfristig sieht sich die Bahn auch noch vor einem Personalproblem, da die Umstrukturierungen und Rationalisierungen der letzten Jahre die Personaldecke ausgedünnt haben. Das Betriebsklima ist nicht gerade als euphorisch zu bezeichnen, obwohl bei der Bahn im Gegensatz zu den Achtzigerjahren nicht mehr die Rede vom „Gesundschrumpfen“ ist.

Ähnlich tragisch dürfte die Entwicklung im Bereich der räumlichen Entwicklung verlaufen. Längst geht nicht mehr nur die Rede von einer Zersiedlung des ländlichen Raumes. In den letzten Jahrzehnten hatten billiges Benzin und planloses Ausweisen von Bebauungsgebieten dazu geführt, dass Luxemburg mit einem Teppich an „Häuschen im Grünen“ überdeckt wurde. Inzwischen geht aber die Rede von „Rurbanisierung“: Die Häuschen bleiben, aber das Grüne drum herum verschwindet zusehends. Ein Trend, den auch Romain Diederich bestätigt: Stärker als gedacht entwickeln sich der Süden des Landes und die Hauptstadt zu einer zusammenhängenden Metropole. Diese Entwicklung ist zwar an sich nicht unerwünscht, doch kommt sie schneller als die politischen Instrumente – etwa die „communauté urbaine“ -, die es erlauben würden, diese Entwicklung vorherzusehen und planend einzugreifen. Nichtsdestotrotz geht die Zersiedlung der anderen Regionen weiter. Hohe Wohnungspreise in den Ballungszentren zwingen immer mehr Familien, bezahlbaren Wohnraum in ländlichen Gegenden zu suchen. Ein Trend, der eigentlich gebrochen werden sollte, wurde durch die rasante, unkontrollierte Entwicklung noch verstärkt.

Da ein Abflachen des Wirtschaftswachstums weder politisch gewollt, noch an den Zahlen erkennbar ist – im Gegenteil: statt 6.000 Arbeitsplätzen schafft Luxemburg deren momentan etwa 10.000 pro Jahr – hat man es laut Mouvement Ecologique mit einer Art Zeitbombe zu tun: „Umsetzung des IVL-Konzeptes: Jenseits von Gut und Böse“, hatte die Organisation ihren Diskussionsabend mit Minister und erstem Regierungsrat betitelt. Am Ende überwog die Skepsis, auch wenn der Minister nicht ohne Stolz verkündete, am heutigen Freitag werde der erste „plan sectoriel“ im Regierungsrat beraten: jener über den Landschaftsschutz.

Doch der Zweckoptimismus übertrug sich nicht auf die ZuhörerInnen. Romain Diederich bat um Nachsicht: Dass es so lange dauere mit den Sektorplänen, liege nicht am Nichtstun des Ministeriums, sondern an den komplizierten juristischen Implikationen, die damit verbunden seien: „Wenn wir schlechte Reglemente machen, die beim ersten Einspruch vor dem Verwaltungsgericht keinen Bestand haben, dann waren Jahre der Arbeit umsonst!“

Das eingangs erwähnte dänische Filmduo, das immer das Gegenteil von dem erreichte, was es eigentlich angestrebt hatte, erregte beim Kinopublikum ein ums andere Mal hämische Schadenfreude – allerdings war das von der Regie auch durchaus gewollt. Unsere beiden Landesplanungschefs rufen derweil eher Mitleid hervor, nicht zuletzt deshalb, weil ihr Scheitern für uns alle bittere Folgen haben wird.

Suivi du développement territorial du Luxembourg à la lumière des objectifs de l’IVL, Ministére de l’Intérieur, CEPS-Instead cellule Geode, www.miat.public.lu


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