Haushaltsverschuldung, Budgetdefizit, Staatsanleihen. Luxemburgs Finanzpolitiker müssen ihr Vokabular um einiges erweitern.
In den meisten Ländern der Welt sind Finanzminister einsame, ungeliebte Menschen, die Wut der Gewählten und des gemeinen Volkes auf sich ziehend. Sie stehen für zu hohe Steuern, drastische Sparmaßnahmen und ein unerhörtes Defizit.
Nicht so in Luxemburg, das gleich über zwei Minister verfügt, die für das Budget verantwortlich zeichnen. In Zeiten hoher Überschüsse konnte sich deshalb sowohl der amtierende Staats- und Finanzminister als auch sein Nachfolger in spe, Budgetminister Luc Frieden, mit der scheinbar umsichtigen Politik der vergangenen Jahre schmücken.
Zwar hat die Arbeitsteilung der beiden vor allem mit der europäischen Rolle zu tun, die Jean-Claude Juncker als „Mister Euro“ nur innehat, weil er als primer inter pares der Finanzminister gilt. Auch wenn er die Euro-Gruppe „ëmmer manner gär“ präsidiert, so scheint in diesem Jahr seine schlechte Laune weniger von der allgemeinen Krise bestimmt, als von dem Umstand, dass ihm sein oberster Dienstherr mit der Anfang der Woche angezettelten Verfassungskrise die Show gestohlen hat.
Denn es hätte, nur wenige Monate vor den Parlamentswahlen, eine echte „Blood, Sweat and Tears“-Rede werden, der Staatsminister noch einmal Chamber und Wählerschaft mit unangenehmen Wahrheiten konfrontieren können.
Doch der Text, den Juncker zu kommentieren hatte, der Budgetentwurf in der Anfang Oktober eingereichten Form, er entspricht nicht gerade dem, was man ein Katastrophenszenario nennen könnte. Tatsächlich erhoffte sich die Regierung noch eine Woche vor Drucklegung des Dokuments für 2009 einen Budgetüberschuss in Höhe von 13,2 Millionen Euro. Als allerdings das Budget vor laufender Kamera vorgestellt wurde, wussten bereits alle Akteure, dass die vielen hundert Seiten – zumindest die Einnahmen betreffend – eigentlich Makulatur waren.
Nun liegen zwischen der Deponierung des Budgets und seiner Diskussion im Parlament gut zwei Monate Zeit. Es war also durchaus möglich, einige der wichtigen Faktoren, die die Luxemburger Haushaltsführung bestimmen, neu zu berechnen und zum Beginn der Budget-Debatten frisches Zahlenmaterial zu liefern. Zwar häuften sich in den Monaten Oktober und November die Hiobsbotschaften, alle paar Tage gab es von den verschiedensten Instituten und Gremien Wachstumsprognosen, die am Ende sogar negative Werte nicht ausschlossen. Dennoch korrigierten die Autoren des Gesetzestextes kein Komma an ihrer Vorlage.
Weil“niemand weiß, was in den nächsten Monaten passieren wird“, soll auf einmal das ganze Zahlenmaterial zur Seite gelegt werden.
Da, wo früher penibel das Credo der Budgetnorm entschied, wie viele Lehrer, Förster und sonstige Beamte – trotz Bedarfs – nicht eingestellt werden durften, soll auf einmal das ganze Zahlenmaterial zur Seite gelegt werden, denn: „niemand weiß, was in den nächsten Monaten passieren wird“. Der Finanzminister will den Menschen nichts vormachen: Die nächsten Monate und Jahre werden schwierig werden. Deshalb mache es keinen Sinn am Haushalt von 2009 etwas zu ändern.
Auf einmal entdecken auch Luxemburgs Haushaltspolitiker: in solch schweren Zeiten muss vor allem der Staat dafür sorgen, dass nicht ganze Wirtschaftszweige wegen fehlender Aufträge weg brechen. Der gute alte Keynes, der in vielen Fachbibliotheken vor sich hin staubte, auf einmal ist er wieder in aller Munde. Staatsdefizite, sofern sie als anti-zyklische Maßnahme dafür vorgesehen sind, die Nachfrage zu stimulieren, sie sind wieder „in“.
Wo der Finanzminister längst eine nahe am Populismus verortete Sprachregelung gefunden zu haben scheint („Wenn in einem oder zwei Jahren die Krise überwunden sein sollte, dann sind die kleinen einheimischen Betriebe verschwunden und deren Arbeit wird dann von großen ausländischen Unternehmen übernommen“), tut sich der Budgetminister allerdings noch etwas schwer.
Obwohl jeder weiß, dass Luxemburgs Staatsverschuldung durch die jüngst aufgelegte Anleihe von sechs auf über 13 Prozent anwachsen wird, rechnet Luc Frieden sie auch gleich wieder runter: Das in die Fortis und die Dexia gepumpte Kapital sei ja nicht verloren. Wenn die Konjunktur wieder anzöge und sich private Käufer für die staatlichen Anteile an beiden Banken fänden, dann flösse das Geld mit Zins und Zinseszins zurück in die Staatskasse. So dachten auch die amerikanischen Hausbesitzer, die ihr im Wert gestiegenes Haus neu beliehen, um sich zudem ein dickes Auto und eine neue Inneneinrichtung zu leisten – bis die Immobilienkrise die Kreditgarantie dahinschmelzen ließ und die Kredite derart verteuerte, dass die Betroffenen am Ende ohne Haus dastanden.
Aber selbst die durch die Anleihe entstehenden erhöhten finanziellen Aufwendungen zur Schuldentilgung will Frieden aus dem Haushalt 2009 herausrechnen: Sie werden aus dem „Fonds des Dettes“ bestritten. Dieser Fonds, der in guten Zeiten aufgestockt werden konnte, hat es der Regierung bisher erlaubt, Schuldenrückzahlungen nicht direkt über den Haushalt zu finanzieren, sondern aus diesem Fonds. Jedes Jahr flossen Gelder hinein (vor allem durch die „plus-values“, die entstanden, weil die Einnahmen chronisch unterschätzt wurden), so konnte die bis dato eher kleine Staatsverschuldung nach und nach zurückbezahlt werden.
Der gute alte Keynes, ist auf einmal wieder in aller Munde.
Natürlich sind solche Nebenkonten reiner Selbstbetrug. Mag ja sein, dass eine Kaffeedosen-Haushaltsführung es Privatleuten erlaubt, sich die nächste Urlaubsreise vom Mund abzusparen, doch „nachhaltig“ wirtschaften lässt sich auf diese Weise nicht. Müssen aus dem Fonds mehr Schulden zurückgezahlt werden, als bislang üblich, dann schmilzt er einfach schneller dahin. Gibt es dann auch noch – wie zu erwarten – keine oder weniger „plus values“, dann ist der Fonds irgendwann leer. Spätestens dann muss die Schuldenrückzahlung aus dem normalen Haushalt bestritten werden. So oder so: Der Luxemburger Staat muss sich verschulden. Da helfen keine Rechentricks und keine doppelten Böden.
Das zu akzeptieren fällt Luc Frieden sichtbar schwer. Um sich und seiner Regierung dennoch ein reines Gewissen zu verschaffen, verweist er auf die Situation in den anderen Ländern. Dort wurden in den letzten Jahren sehr viel höhere Schuldenberge angehäuft als im kleinen, reichen Luxemburg. Unsere direkten Nachbarn haben sogar – aus (historisch) nachvollziehbaren Gründen oder auch nicht – über Jahre hinweg und auch in guten Zeiten ihre regulären Haushalte nur auf Pump finanzieren können. Jetzt, wo die Krise da ist und der Staat als großzügiger Einkäufer und Auftraggeber fungieren müsste, ist das Kreditvolumen weitgehend erschöpft.
Tatsächlich konnte Luxemburg bis auf wenige Ausnahmen seit der großen Stahlkrise fast jedes Jahr schwarze Zahlen schreiben. Weil das durchweg hohe Wirtschaftswachstum immer unterschätzt wurde und mit der „norme budgétaire“ die Einnahmen gedeckelt wurden, waren satte Überschüsse eher die Regel als die Ausnahme.
Erreicht wurde dieses Wunder auch durch eine Steuerpolitik, die Luxemburg als Standort für Investoren interessant machte. Ziel war, möglichst weit vorne in der Tabelle der Länder mit den niedrigsten Steuersätzen zu landen. Das ging so lange gut, bis die neuen EU-Mitgliedsstaaten mit Niedrigststeuersätzen und „flat taxes“ auch das steuerfreundliche Luxemburg alt aussehen ließen. Die einmal in Gang gesetzte Steuerspirale hat über die Jahre auch Länder mit hohem Finanzbedarf gezwungen, ihre Steuern zu senken. Die untereinander konkurrierenden EU-Mitgliedstaaten haben an dieser Spirale soweit gedreht, dass jetzt tatsächlich (fast) kein Spielraum mehr da ist.
Das gilt auch für Luxemburg, das sich allenfalls für eine gewisse Zeit auf noch bestehenden (Fonds-)Lorbeeren ausruhen kann.
Doch die andere Seite der Medaille kommt jetzt deutlich zum Vorschein. Wichtige Infrastrukturarbeiten, etwa im öffentlichen Transport, an Schulen und sonstigen öffentlichen Gebäuden, haben sich in den letzten Jahren angestaut. Nicht zuletzt, weil in den guten Jahren eher auf Steuersenkungen, denn auf bedarfsorientierte Ausgaben gesetzt wurde. So hat die von allen so gepriesene energetische Sanierung des Wohn- und Büroraumbestandes immer noch nicht stattgefunden. Zudem sind wesentliche Bereiche des Staatsbetriebes unterbesetzt. Schulen und Kinderversorgung, aber auch die Pflege von Alten und Kranken, sind personalintensiv und können nicht ohne staatliche Zuschüsse funktionieren.
Ein defizitärer Haushalt, gekoppelt an eine Steuerreduzierung, um Kaufkraftverluste der Konsumenten zu kompensieren, ist keine originelle Politik. Sie gehört einfach zum kleinen Einmaleins der unter den aktuellen Verhältnissen möglichen Maßnahmen. Wichtiger wäre es allerdings, die Krise zu nutzen, um die Budgetpolitik in Zukunft am tatsächlichen Bedarf zu orientieren und dementsprechend die Einnahmenseite des Staates im Blick zu behalten. Und über die nächste Steuererhöhung nachzudenken, falls diese Krise ein Ende finden sollte.