BIODIVERSITÄT: Mehr Vielfalt, weniger Armut

Die indische Globalisierungskritikerin Vandana Shiva war am Mittwoch Gastrednerin beim fünfzehnjährigen Jubiläum des „Haus vun der Natur“. Die woxx unterhielt sich mit der Verfechterin von Biodiversität.

Vandana Shiva, Jahrgang 1952, studierte unter anderem in Kanada Physik. Statt einer möglichen wissenschaftlichen Karriere in den USA entschied sie sich dafür, nach Indien zurück zu gehen. Seit den 1970ern beteiligte sie sich unter anderem in der Chipko-Bewegung: Frauen umarmten Bäume und ketteten sich an diesen fest, um sie vor der Abholzung zu retten. Heute spielt insbesondere der Einsatz für Biodiversität und gegen Biopatente für sie eine entscheidende Rolle. Sie kämpft vor allem gegen Transnationale Unternehmen, die versuchen, zunehmenden Einfluss auf die indische Landwirtschaft zu nehmen. Shiva ist Mitglied des Club of Rome und des Exekutivkomitees des Weltzukunftsrates.

woxx: Welche Rolle spielt der Schutz der Biodiversität – im Norden wie im Süden – für eine nachhaltige Entwicklung?

Vandana Shiva: Biodiversität ist der Schlüssel zur Nachhaltigkeit. Artenvielfalt ist aus drei Gründen für das Überleben dieses Planeten unabdingbar: Erstens zeigt die Kreditkrise, dass es kein unbegrenztes Wachstum gibt. Das kapitalintensive Modell, wonach stetig zunehmende Kosten durch gesteigerte Produktion aufgefangen werden, kann so nicht weitergehen. Die Alternative dazu heißt Biodiversität. Der zweite Grund ist der Klimawandel. Denn Biodiversität liefert Alternativen zu fossilen Brennstoffen und bietet Lösungen zur Minderung des Ausstoßes von klimarelevanten Schadstoffen. Ein drittes Argument: Biodiversität ist das Kapital der Armen. Sie leben ursprünglich in einer von Biodiversität gekennzeichneten Umwelt. Diese zu erhalten ist erste und wichtigste Maßnahme, um der Massenarmut entgegenzuwirken. Seien es die Naturwälder, die indigenen Völkern als Nahrungsquelle dienen oder sei es traditionelles Saatgut für die Bauern: Wenn diese Vielfalt abnimmt, steigt auch die Armut der Menschen.

Sie betonen häufig die Rolle der Frau beim Schutz der Artenvielfalt. Inwiefern sehen Sie einen Zusammenhang?

Meine Beobachtungen haben mir gezeigt: Eine Gesellschaft mit ausgeprägter Artenvielfalt ist meist frauenfreundlicher. Wo natürliche Ressourcen durch Chemie und fossile Energie ersetzt werden – und das passiert, wenn natürliche Düngung durch industrielle ersetzt wird oder wenn arbeitsintensive Verfahren durch maschinelle Produktion abgelöst werden – sind Frauen die ersten Leidtragenden. Sei es, dass sie aus ihren Tätigkeitsbereichen gedrängt werden, sei es, dass ihr gesellschaftlicher Beitrag immer weniger Anerkennung findet. Das wurde mir auf dramatische Weise bewusst, als ich mein erstes Buch „Staying Alive“ verfasst habe. Bei meinen Recherchen zu den Folgen der so genannten „grünen Revolution“ im indischen Staat Punjab Mitte der Achtzigerjahre, wurden erstmals Zahlen über den Geburtenrückgang von Mädchen bekannt. Heute werden schätzungsweise jährlich 35 Millionen Mädchen „nicht geboren“, bloß weil sie Mädchen sind. Diese „sex selection“ begann damals in Punjab. Auch dort hatte man Mitte der Sechzigerjahre begonnen, die lokale arbeitsintensive Landwirtschaft, in der vor allem Frauen einen wichtigen Beitrag leisteten, auf künstliche Düngung auszurichten. Die Arbeitskraft wurde durch Pestizide und Traktoren ersetzt. In der Folge wurden Frauen als Last empfunden. Diesen Zusammenhang konnten wir später auch andernorts feststellen. Umgekehrt gilt aber auch, dass Frauen Expertinnen in Sachen Biodiversität sind. Sie kennen die Zusammenhänge meist sehr genau.

Welche Rolle kommt den Bewegungen im Norden zu, wenn es darum geht, Biodiversität und Klimaschutz in der politischen Agenda zu verankern?

Es ist wichtig, den Stellenwert der Artenvielfalt in der Klimadebatte darzustellen. Im Kioto-Protokoll fand sie überhaupt keine Erwähnung. Kioto, das zeigt sich jetzt, führt vor allem zu einem mehr oder weniger geregelten Handel von Emissionen. Für meine Begriffe ist das ein Ausweichmanöver, das uns nicht vor dem eigentlichen Problem schützt. Unsere Studien haben gezeigt, welche Rolle die organische Landwirtschaft und eine auf Biodiversität hin orientierte Waldwirtschaft zum Binden von CO2 spielen kann. Der Kampf um den Erhalt der Regenwälder bleibt eine der wichtigsten Aufgaben. Gerade auch, weil versucht wird, den Leuten vorzumachen, zerstörte Wälder könnten andernorts ersetzt werden – etwa durch Aufforstung nicht mehr „rentabler“ landwirtschaftlicher Flächen. Hier entstehen dann Monokulturen die es zum Beispiel erlauben sollen, Holzkohle herzustellen. Die Tatsache, dass vorangegangene Gesellschaften auf geringem, nachhaltigen Niveau so ihre Energie gewonnen haben, darf uns nicht täuschen: Diese Art der Energiegewinnung wird nur zu weiterer Zerstörung führen und noch mehr Menschen vom Land vertreiben. Es nicht schwer nachzuvollziehen, dass jeder Baum und jede aufrechte Pflanze Kohlenstoff bindet. Was aber wichtiger ist: Organische Anbaumethoden zeigen in einigen Fällen eine doppelt so hohe Bindung auf, als eine auf Chemie und fossile Energie ausgerichtete Landwirtschaft. Wir müssen allerdings aufpassen, dass die
großen Agrar- und Energiekonzerne diese Erkenntnis nicht missbrauchen und riesige Areale beanspruchen, um ihre Ziele zu erreichen. Nirgendwo auf der Welt dürfen sich organisch arbeitende Bauern für solche Zwecke vereinnahmen lassen.

Lassen sich Naturschutz und gerechte Entwicklung miteinander vereinbaren?

Organische Landwirtschaft ist nicht nur gut für die Umwelt. Es hat sich gezeigt, dass Biodiversität auch die Ernährungssituation verbessert. Darüber hinaus lässt sich nachweisen, dass in solchen Regionen die Konsequenzen des Klimawandels leichter aufgefangen werden. Die Böden sind stabiler, Überschwemmungen weniger verheerend, große Trockenheit wird besser aufgefangen. Biodiversität erlaubt es, eine Reihe von Problemen gleichzeitig anzugehen.

In Indien sollen bis 2012 fünfzig Millionen Hektar so genanntes „waste land“ zum Anbau von Energiepflanzen genutzt werden. Wie beurteilen Sie die Konsequenzen eines solchen Programms?

Zum einen muss man sagen, dass „waste land“ eine von den britischen Kolonialherren eingeführte Kategorie ist. Es gibt dafür keine biologische Definition. Es bezeichnet einfach jene Regionen in Indien, die nicht sofort und gewinnbringend für den landwirtschaftlichen Anbau genutzt werden konnten. Mit diesem Begriff werden so unterschiedliche Dinge wie Wüsten, Mangroven, Dorfwälder oder Weidegebiete umschrieben – also auch durchaus produktive Ländereien. Rajasthan, das man wohl als die am dichtesten besiedelte Wüste der Welt bezeichnen kann, lebt vor allem von der Viehhaltung, die auf solchen Flächen betrieben wird. Genau diese Gebiete wurden jetzt für das „Jathropa-Energiepflanzen-Programm“ ausgewiesen. Zunächst wurde ein Gesetz verabschiedet, um das gemeinschaftlich genutzte Land zu privatisieren und industrielle Produktion möglich zu machen. Das Resultat ist Landraub im großen Stil. Land wird zu einer der am meisten umkämpften Ressourcen. Ohne jetzt über Sinn oder Unsinn von Biodiesel diskutieren zu wollen: Aus der Sicht der Bevölkerung im Süden wird diese Entwicklung vor allem durch diesen Landraub geprägt. Ich sehe durchaus einen Sinn in lokal organisierter Produktion von Bio-
energie. Aber dieses indische Programm ist vollständig auf den Export ausgerichtet und wird keinem Kriterium sozialer Gerechtigkeit und ökologischer Nachhaltigkeit gerecht. Wenn internationale Organisationen wie der „World Wildlife Fund“ sich für solche Vorhaben stark machen, dann verletzten sie ihre eigenen Prinzipien.

Die aktuelle Finanzkrise hat zu den unterschiedlichsten Formen staatlicher Intervention geführt – zumindest in den Industrieländern. Haben die Länder der so genannten „Dritten Welt“ nun eine Chance, Alternativen zum warenproduzierenden kapitalistischen Modell zu suchen?

Ich glaube es sind nicht nur die Länder des Südens, die sich Gedanken machen müssen. Die Länder müssen, jedes für sich, souveräne Lösungen suchen. Sparsamer Umgang mit Ressourcen und Vorsicht beim Einsatz wenig bekannter Verfahren werden wieder zu geschätzten Tugenden. Das bislang gültige Prinzip, wonach jede Firma oder jeder Konzern sich überall auf der Welt niederlassen konnte um möglichst gewinnträchtig zu produzieren und so die Ausbeutung von Mensch und Natur auf die Spitze zu treiben, darf keinen Bestand mehr haben. Das andere Prinzip, wonach die Befriedigung aller Bedürfnisse in der Regel in den großen Einkaufszentren stattfindet, hat ebenfalls ausgedient. Im Norden ist der Traum langsam aber sicher ausgeträumt – wenn ich mir die riesigen Rabatte anschaue, mit denen überall geworben wird. Im Süden war dieser Traum nie präsent – oder allenfalls für eine kleine Minderheit. Gerade in Indien sind es die in den Weltmarkt integrierten Bereiche der Wirtschaft, die jetzt den Einbruch zu spüren bekommen. Die kleinen lokalen Händler, die nie überhöhte Preise für ihre Produkte verlangten, bleiben verschont. Aber natürlich sehe ich die Gefahr, dass unsere Regierungen die wenigen öffentlichen Ressourcen dazu vergeuden, den Verursachern der Krise unter die Arme zu greifen, statt neue Wege zu beschreiten. Es ist ein bisschen wie auf der Titanic, wo die Armen in den unteren Decks eingeschlossen waren und die Reichen auf dem oberen Deck sich beim Kartenspielen vergnügten und als erste zu den viel zu wenigen Rettungsbooten gelangten.

Das komplette Interview erscheint im April in der Zeitschrift „Brennpunkt Drëtt Welt“. Bezug unter www.astm.lu


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