INSTALLATION: Kollektiver Turmbau

Verglichen mit dem Architekturstil der boomenden Baubranche in Russland wirken die Arbeiten Nikolay Polisskys seltsam volkstümlich.

Hunderte von Schneemännern stehen auf weiter Flur hintereinander, bedecken einen ganzen Abhang – einfach so. Oder ein langes, eingeschossiges Viadukt aus Schnee steht rätselhaft im Gelände. Beides hat der russische Künstler Nikolay Polissky in Zusammenarbeit mit Leuten aus der Region errichten lassen. Nicht nur der Schnee hat es dem ausgebildeten Keramiker und ehemaligen Landschaftsmaler angetan. Insgesamt ist die Natur Inspirationsquelle für seine monumentalen und vergänglichen Konstruktionen, die irgendwo zwischen Land-Art, Architektur und Skulptur anzusiedeln sind und die teils einen ironischen, teils einen archaischen Charakter haben. Als vergängliche Werke gehen sie meist den natürlichen Weg ihrer Materialien: Sie vermodern oder werden anlässlich großer Feiern verbrannt und bleiben einzig in den Aufnahmen des Künstlers erhalten. Eine Reihe seiner turmartigen Konstruktionen können nun im Mudam besichtigt werden. Darunter befinden sich, neben Zeichnungen und Dokumentarfotos seiner Arbeiten, große Holzinstallationen mit dem Titel „Large Hadron Collider“. Als Inspirationsquelle diente hier der größte Teilchenbeschleuniger der Welt: Grob bearbeitete Scheite aus Ulmenholz in unterschiedlichen Formen sowie Weidenruten haben Polissky und seine Mitarbeiter zu futuristischen Kraftwerksapparaturen und mächtigen Generatoren mit dicken Kabelbündeln zusammengesteckt. Die Installationen, die einerseits Reminiszenzen an utopische Architekturen der Moderne beschwören, erinnern andererseits aufgrund der handwerklich rauen Umsetzung an historische Objekte der russischen Volkskunst. Insgesamt wirken die Turmbauten von Nikolay Polissky, vor allem jene, die er in freier Natur errichtet hat, wie eine Hommage an die Tradition. Sie erinnern an riesige Fischreusen, orthodoxe Kirchen oder mittelalterliche Burgen und an die berühmten Radio- und Fernsehtürme in Moskau. Seine Spiraltürme aus Holz haben dabei eine fast meditative Präsenz in der Landschaft, sie greifen die Schönheit der Natur auf und unterstreichen sie in ihrem Material- und Strukturaspekt. Anders als beim intellektuellen Moskauer Konzeptualismus der 1980er Jahre sucht Polissky, wie andere Künstler seiner Generation, den direkten Dialog mit dem Sozialen: Seine Projekte entstehen als eine Art sozialer und ökologischer Kunstwerke, deren Funktion auch in der gemeinschaftlichen Arbeit besteht. Es ist verblüffend, dass gerade in Russland, das sich zumindest im Baubereich massiv dem Neuen zuwendet, jemand genau das Gegenteil tut und mit archaischem Baumaterial arbeitet. Begonnen hatte diese Entwicklung im Jahre 1990, als Polissky in das kleine, nahezu verlassene Dorf Nikola-Lenivets, 200 km entfernt von Moskau, zog und in Zusammenarbeit mit der ländlichen Bevölkerung erste künstlerische Projekte umzusetzen begann. Seither hat er für die Entwicklung einer ganzen Region gesorgt: Seine Aktivitäten führten nicht nur zu einer gewissen wirtschaftlichen Belebung, sondern auch zur Ansiedlung weiterer Künstler und 2006 zur Gründung eines internationalen Architekturfestivals.

Noch bis zum 13. September im Mudam.


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