GESUNDHEITSREFORM: Legislativer Endspurt

In gerade einmal zwei Monaten soll Luxemburgs Gesundheitsreform das Parlament passieren. Ob die Koalition diesen weiteren „Stresstest“ überleben wird?

Bankrott durch Paradigmenwechsel? Insbesondere der Ärzteverband AMMD sieht das Luxemburger Gesundheitsmodell durch die Reformvorschläge aus dem Hause Di Bartolomeo in Gefahr und wittert „Klassenkampf“.

Auch in Luxemburg haben Gesundheits- und Sozialminister keine leichte Aufgabe. Wenn die Schieflage der Gesundheitsfinanzen hierzulande auch weniger ausgeprägt ist als beispielsweise bei den deutschen Nachbarn, so gleicht die Aufgabe Mars Di Bartolomeos doch der Quadratur des Kreises: Während allseits das Prinzip einer „liberalen“ Medizin hochgehalten wird, muss der Minister in Wahrheit versuchen, das öffentlich finanzierte Gesundheitssystem gegen die Ansprüche von Interessenvertretern unterschiedlichster Couleur zu verteidigen und auf der anderen Seite seine Aushöhlung durch überzogene Sparforderungen wirtschaftsliberaler Kreise verhindern.

Als 2009 die Krankenkassen ein sattes Defizit verzeichneten, trat Minister Bartolomeo auf die Notbremse: Damit weder die Beiträge erhöht noch die Leistungen gekürzt werden müssten, wurde für 2010 ein Griff in die Reserven dekretiert. Damit war das Prinzip, dass die Krankenkassen jedes Jahr einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen haben, zunächst außer Kraft gesetzt worden. Der Minister hatte seinen Schritt jedoch mit dem Hinweis verteidigt, dass im immer noch krisengeschüttelten Luxemburg eine Beitragserhöhung Gift sei. Bei derselben Gelegenheit hatte er jedoch für das Budgetjahr 2011 einen umfassenden Reformvorschlag in Aussicht gestellt, der die finanzielle Schieflage der inzwischen in „Gesundheitskasse“ umgetauften und per Einheitsstatut gestreamlinten Finanzierungsstruktur des Luxemburger Gesundheitswesens nachhaltig bereinigen würde.

Ende Juli dieses Jahres nun legte Di Bartolomeo seinen Gesetzesvorschlag zur Reform des Gesundheitswesens vor. Es sollte ein „equilibréiert“ Ganzes sein, das allen im und vom System lebenden Beteiligten ihren Beitrag abverlangte: Nullrunden (freilich mit Inflationsausgleich) bei Ärzten und Apothekern, Beschränkungen bei den Krankenhäusern, Herabsetzung der Labortarife, höhere Eigenbeteiligung der PatientInnen, aber auch Heraufsetzung der Krankenkassenbeiträge um je 0,2 Prozent – sowohl bei ArbeitgeberInnen, als auch bei ArbeitnehmerInnen und Festsetzung der staatlichen Beteiligung bei 40 Prozent.

Die Reaktionen der verschiedenen Körperschaften waren heftig, teilweise entsetzt. Sogar der Koalitionspartner des sozialistischen Gesundheits- und Sozialministers machte aus seiner Ablehnung keinen Hehl: Beitragserhöhungen seien Gift für die Konkurrenzfähigkeit der Wirtschaft, befand etwa der Fraktionschef der CSV – obwohl seine Parteikollegen auf der Regierungsebene dem Vorentwurf zugestimmt hatten.

Dann verabschiedeten sich alle Beteiligten in die Sommerferien und verabredeten sich darauf, im September dem Minister Änderungsvorschläge zu unterbreiten. Diesem und seinen nicht wenig gestressten MitarbeiterInnen blieben folglich nur wenige Wochen Zeit, Vorschläge in den Vorentwurf einzuarbeiten. So manche fundamentale Kritik ließ der Minister dabei ganz von sich abprallen, etwa die der privaten Labors, der Gesetzentwurf ziele durch Tarifkürzungen darauf ab, die privaten Dienstleister zugunsten teurer öffentlicher Labors „abzuschaffen“.

Klassenkampf

Auch der Ärzteverband AMMD hatte im Sommer mehrere Breitseiten gegen die vermeintliche Abschaffung ihres liberalen Statuts und die als „versteckter Klassenkampf“ betitelte Verstaatlichung der Medizin abgefeuert. Die Ärztevertreter blieben auch bei ihrer scharfen Kritik, nachdem ihnen Mitte September bei einem Treffen mit dem Gesundheitsminister in manchen Punkten eine Nachbesserung verbindlich zugesichert worden war.

So sieht das jetzt deponierte Gesetzesprojekt nicht mehr vor, die hierzulande obligatorisch geltende Konventionierung der Ärzte durch eine gesetzliche Reglementierung zu ersetzen. „Mein Wort scheint eben wenig zu gelten“, zeigte sich der Minister resigniert gegenüber der woxx, denn auch anlässlich einer nach dem Treffen abgehaltenen Pressekonferenz fixierten sich die AMMD-Spitzen vor allem auf die vermeintliche schleichende Reglementierung ihres Berufes.

„Mir ging es vor allem darum, ein Mittel zur Unterbindung der bei der Konventionierung immer wieder auftauchenden Verspätungen und Verschleppungen zu finden. Wenn nur einer der an diesem Prozess Beteiligten seine Aufgaben nicht ordentlich macht, genügt das schon, dass Anpassungen eben nicht zustande kommen“, erklärt Mars Di Bartolomeo. Dafür wurde im Gesetz jetzt eine verbindlichere Mediationsverpflichtung festgelegt: Wenn nach sechs Monaten kein Ergebnis vorliegt, soll die Mediation eine Lösung herbeiführen helfen.

Weniger kompromissbereit zeigte sich der Minister hinsichtlich der Kritiken am Referenzarzt oder am sogenannten „parcours de soins“. Hierbei handelt es sich einerseits um den Plan, Allgemeinmediziner mit übergeordneten Aufgaben zu betrauen, da sie das Krankenbild der PatientInnen als Ganzes kennen und so den FachkollegInnen zuarbeiten können. Ein bisschen soll dadurch auch der Therapietourismus eingeschränkt werden, der dadurch entsteht, dass PatientInnen verschiedene (Fach-)Ärzte abtesten und damit kostenträchtige Mehrfachberatungen und -verschreibungen verursachen. Durch dieses Vorhaben sehen die Ärzte die Freiheit der Wahl des zu behandelnden Arztes eingeschränkt.

Genauso beim Konzept eines vorgegebenen therapeutischen Parcours. Dazu der Minister: „Für mich hört die liberale Medizin dort auf, wo das Recht des Patienten auf eine bestmögliche Behandlung nicht mehr respektiert wird.“ Er meint damit vor allem pluridisziplinäre Ansätze, etwa bei schwerwiegenden Krebserkrankungen, die das Teamwork unterschiedlichster Spezialisten und Betreuer voraussetzen. Dass hier der Ärzteschaft gewisse Wege vorgezeichnet werden, liege im Interesse aller.

Die heftige Kritik am Referenzarzt-Modell, wie es dem Minister vorschwebt, scheint übrigens nicht so einstimmig zu sein, wie es der AMMD-Vorstand lautstark behauptet. Die Allgemeinärzte haben angekündigt, sich mit dem Minister austauschen zu wollen, um genau in Erfahrung zu bringen, was in Zukunft auf sie zukommt. Es dürfte spannend werden, wenn im Zuge der Reform die kruziale Frage nach der Bezahlung dieser übergeordneten Aufgaben aufkommt. Da das Gesamtbudget der Ärzte gedeckelt ist, wird es unausweichlich zu einer Umschichtung in Richtung Allgemeinärzte kommen. Hier könnte die AMMD vielleicht am Ende doch Recht behalten: Ein bisschen Klassenkampf steht den Ärzten bevor, allerdings vorrangig in den eigenen Reihen.

Sündenfall

Wahrscheinlich werden die Chamberdebatten jedoch vor allem von den Beitragserhöhungen bestimmt werden. Dieser „Sündenfall“, den selbst Premier Juncker noch vor Monaten unbedingt hatte vermeiden wollen, bringt vor allem den Arbeitnehmerverband UEL auf die Palme. Nach halbverlorener Indexschlacht sehen die organisierten ArbeitgeberInnen vor allem neue Kosten auf sich zukommen und schreien nach weiterführendem Kostenbremsen und höherer Selbstbeteiligung der PatientInnen.

Dass tatsächlich auch auf die PatientInnen härtere Zeiten zukommen werden, dürften die jüngst verschärften Auflagen für krankgemeldete ArbeitnehmerInnen deutlich machen. In den ersten fünf Tagen einer Krankmeldung wird jeder Ausgang – außer zum Arzt oder Apotheker – untersagt. Das ist natürlich zunächst eine Maßnahme gegen allzu übertriebenes Blaumachen, doch zeigt es auch, dass Kostenersparungen auch auf dem Wege strengerer Kontrollen bei den PatientInnen erreicht werden sollen. Dass der „contrôle médical“ sich über die Anweisung der Ärzte hinwegsetzt und explizit den Ausgang unterbindet, auch wenn der behandelnde Arzt ihn erlaubt hat, hat wohl eher mit dessen Überforderung zu tun, als mit therapeutischer Weitsicht.

Ob es die Abgeordnetenkammer schaffen wird, das 119 Seiten dicke, mit Details gespickte Gesetzesvorhaben fristgerecht, das heißt vor Jahresende, zu verabschieden? Der Minister gibt sich zuversichtlich. Er hat sich erwartungsgemäß zwar viele Feinde gemacht, doch auch bei der Einführung des Einheitsstatuts hatte er gezeigt, dass er über ein dickes Fell verfügt: „Wer dagegen ist, setzt die Gesundung des Systems aufs Spiel. Unser Vorschlag ist ausgeglichen, alles andere führt zu einem nachhaltigen Defizit, das am Ende der Staat begleichen muss.“ Passiert das Gesetz wie geplant die parlamentarische Hürde, dürfte eine erste Bilanz über Erfolg oder Misserfolg des Vorhabens im Vorwahljahr 2013 vorliegen.


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