FLÜCHTLINGSHEIM DON BOSCO: Luxemburgs offene Wunde

Das Asylbewerberheim auf dem Limpertsberg ist die erste Anlaufstelle für Menschen, die in Luxemburg einen Asylantrag stellen. Wenngleich sich die Bedingungen unter der Zuständigkeit des Roten Kreuzes merklich gebessert haben, bleibt das Don Bosco doch ein störender Fleck in der umgebenden Wohlstandslandschaft.

Gos Seidi hat es mit seiner hochschwangeren Frau und seiner einjährigen Tochter bis nach Luxemburg geschafft. Er will einfach nur Ruhe.

„Um Lampersbierg sinn och fei Leit si wunnen hanner feine Mauren ? di beschte Schoulen ginn et hei“ singt Serge Tonnar in seinem Lied „Kossovomoss“ ? und „oben am roten Berg gleich neben dem Cours Universitaire, da ist jetzt wohl ein Ghetto, das ist so gar nicht elitär“, heißt es weiter. Das Lied erzählt von einer schönen Kosovarin, die schmollend auf den Treppenstufen des Asylbewerberheimes sitzt, weil es im Heim selbst keinen Platz für sie gibt.

Fährt man in den verschneiten Innenhof des Don Bosco ein, so streift man linkerhand den Uni-Campus, passiert eine Sicherheitsschranke, an der man sich über ein Fernsprechgerät im Haus anmelden muss, und kommt etwa 20 Meter weiter vor einem trostlos wirkenden, hellblau gestrichenen, flachen Gebäude zum Stehen, das von außen wie eine alte Turnhalle wirkt, an welcher der Putz abbröckelt. Beim Betreten des Foyers muss man sich abermals beim Sicherheitsdienst anmelden. „Keine Waffen, kein Alkohol, keine Drogen“, lautet eine der strikten Regeln, deren Einhaltung der Security-Dienst auch bei den Besuchern überprüft. Die langen, kahlen Flure des Don Bosco sind überheizt und stickig, die Luft steht. In den Schlafsälen stehen bis zu sieben Betten, abgetrennt durch schmale Metall-Spinde. An den hohen Schlafsälen kann man noch das einstige Nonnen-Internat erahnen.

Jill Serres arbeitet als Psychologin und Ethnologin im Don Bosco. Die junge Frau führt mit energischen Schritten durch die Räume. Im „Emergency-Saal“ befinden sich vier Einzelbetten; hier kommen die Flüchtlinge fürs erste unter. Gleich neben dem Eingang liegt das Büro, Toiletten und Duschen befinden sich auf den Gängen. Der Flur im Erdgeschoss führt zum Speisesaal, in dem die Bewohner gerade an langen Tischen zum Mittagessen Platz genommen haben. Einige sitzen einsam und in sich gekehrt über ihren Tellern. Viele haben psychische Traumata, erklärt Serres.

Das Heimpersonal organisiert für die Flüchtlinge Anwaltstermine und ähnliches und steht ihnen bei Behördengängen zur Seite, mischt sich jedoch nicht in die Prozeduren des Asylverfahrens ein.

Seit 2004 untersteht das Don Bosco nicht mehr dem Familienministerium, sondern dem Roten Kreuz. Seitdem hat sich vieles verändert. Insbesondere habe man sich darum bemüht, die Lebensbedingungen der Bewohner zu verbessern, erläutert die Heimleiterin, Nadine Conrardy. Die Räume im oberen Stockwerk wurden zum Beispiel so eingerichtet, dass Familien dort ihre eigenen vier Wände haben. Die ehemalige Kapelle des Nonnenklosters im Erdgeschoss enthält nun einen Aufenthalts- und Besucherraum. Sozialpädagogen wurden eingestellt und eine feste Sprechstunde am Vormittag eingerichtet, in der die Flüchtlinge Fragen stellen können. Der Bedarf ist groß. „Insbesondere, wenn sie ankommen, werden sie regelrecht mit Papieren überschüttet, sie müssen zahlreiche administrative Vorgänge durchlaufen, es ist schwierig für sie, sich zurechtzufinden“, erläutert Conrardy.

Die Heimleiterin betont aber auch die Neutralität ihrer Institution. Das Rote Kreuz kommt für die Grundversorgung der Bewohner auf. Jedem Neu-Angekommenen wird ein Bett und ein Spind zugewiesen und Kleidung zur Verfügung gestellt. Die Bewohner erhalten neben der Verpflegung von drei täglichen Mahlzeiten ein Taschengeld von 120,- Euro im Monat. Das Heimpersonal organisiert für die Flüchtlinge Anwaltstermine und ähnliches und steht ihnen bei Behördengängen zur Seite, mischt sich jedoch nicht in die Prozeduren des Asylverfahrens ein. Eine Handvoll Nichtregierungsorganisationen wie CLAE, ASTI oder CARITAS engagieren sich vor Ort und haben freien Zugang zum Heim.

Zurzeit leben etwa 140 Menschen im Don Bosco. „In den letzten Monaten ist die Zahl stark angestiegen, sodass wir gerade fast ganz belegt sind“, meint Conrardy. Nachdem die Flüchtlinge einen Asylantrag stellen, bekommen sie das „rosa Papier“, ihr während des Asylverfahrens für Luxemburg gültiges Identitätsdokument.

Fast jeder Flüchtling, der es bis Luxemburg geschafft hat und einen Asylantrag beim Ministerium stellt, wird durch das Don Bosco geschleust. Es ist ihre erste Station, bevor sie auf die anderen Heime (Foyers) im Land, nach Dommeldingen oder ins Frauenheim nach Redingen an der belgischen Grenze, gebracht werden. In der Regel bleiben Neuankömmlinge vier bis sechs Wochen hier. Die meisten sind junge Männer und Familien, nur vereinzelt treffen auch alleinstehende Frauen ein ? die Mehrheit vom Balkan. Bis August dieses Jahres waren allein 78 von 391 Menschen, die einen Asylantrag stellten, aus dem Kosovo, 63 aus Algerien, zwölf aus Serbien.

Gos Seidi ist einer von ihnen. Hinter den harten, verbitterten Gesichtszügen des 42-jährigen Roma schimmert noch etwas Schalkhaftes durch. Seidi war im Kosovo, in Serbien, in Albanien und seit 2001 ein paar Jahre in Deutschland, von wo aus man ihn immer wieder abgeschoben hat. Seit etwa 15 Tagen ist er zusammen mit seiner hochschwangeren Frau und seiner einjährigen Tochter Medina im Don Bosco gestrandet. Als Roma habe er im Kosovo immer wieder Scherereien gehabt, erzählt er erregt. Eher würde er nach Afrika gehen, als zurück nach Jugoslawien; in Belgrad habe er heute keine Chance, am Leben zu bleiben. Der schmächtige Mann schluckt und guckt einem gerade ins Gesicht. Er wolle reden, denn er habe nichts mehr zu verlieren, vielleicht könne ihm hier ja jemand helfen. Ein wirrer Redeschwall bricht aus ihm heraus. Vor ein paar Jahren wurde er in Serbien überfallen und auf offener Straße mit einer Brechstange zusammengeschlagen. Seidi holt eine vergilbte Fotografie aus dem Schrank, die nach der Prügelei aufgenommen wurde. Während er auf diese letzten Jahre zurückblickt, beginnt er leise zu weinen. Heute kann er nicht mehr zurück. Seit der Schlägerei nimmt er täglich Tabletten gegen die Schmerzen und wünscht sich eine Untersuchung seines Kopfes. „Mein Leben ist kaputt ? ich bin psychisch kaputt. Ich will kein Geld, ich will Ruhe, einfach nur Ruhe“.

Tim Battin ist zwei Jahre lang im Don Bosco ein- und ausgegangen, hat mit den Menschen gesprochen und sie porträtiert. Während des Kulturhauptstadtjahres 2007 hatte er die Idee, seine Bilder in der Fußgängerzone in der Stadt auszustellen; Porträts von Menschen, die für sich sprechen, erläutert mit einem einfachen Satz: Name, Alter, Herkunft ? ich lebe jetzt in Luxemburg. Doch damals zog man die Bilder vor, die von einer gelungenen Integration sprechen. Gerade während des Kulturhauptstadtjahres wollte man der Außenwelt ein reines Bild von Luxemburg zeigen, das von einer gelungenen Integration erzählt; Asylbewerber und deren Realität hatten da keinen Platz. Heute ist es nicht besser. „Diese Parallelwelt interessiert die Luxemburger nicht“, meint Battin, dabei sei gerade sie „eine wunde Stelle des Landes“. Wenn möglich, werden die Flüchtlinge an den Rand des Landes verfrachtet, etwa ins Ösling an die belgische Grenze, wo sie nichts „ausrichten“ können, nicht sichtbar sind und das Bild Luxemburgs nicht stören. Das Don Bosco ist da eine Ausnahme. Es ist ein dunkler Fleck auf einem weißen Teppich.

Fast alle Flüchtlinge, die es bis Luxemburg geschafft haben und einen Asylantrag beim Ministerium stellen, werden durch das Don Bosco geschleust. Es ist ihre erste Station.

Trotz erheblicher Fortschritte in Infrastruktur und Betreuung bleibt das Asylbewerberheim auf dem Limpertsberg lediglich eine Durchgangsstation. Dass sich an Luxemburgs Politik so schnell nichts ändern wird, sondern auch in Zukunft für Asylbewerber die Abschiebung vorgesehen ist, verheißt der Neubau des centre de rétention auf dem Findel, der ab Mitte nächsten Jahres bezugsfertig sein soll.

Noch vor sechs Wochen verkaufte Justizminister Biltgen anlässlich einer konzilianten Debatte zur luxemburgisch-belgischen Filmproduktion „Illégal“ in der Abtei Neumünster die Tatsache als Fortschritt, dass Asylbewerber nach Ablehnung ihre Antrags fortan nicht mehr zusammen mit Straftätern in die Haftanstalt Schrassig gesperrt werden, sondern ihren eigenen Abschiebeknast bekommen. Auf der individuellen Ebene mag dies eine Verbesserung der Haftbedingungen bedeuten, doch ist es zugleich ein weiterer Schritt zur Separation. Das staatliche Flüchtlingsmanagement soll ohne störende Einflüsse von außen bleiben, das Abschieberegiment möglichst lautlos und unbemerkt von der Bevölkerung funktionieren. An dem Skandal, dass Menschen in Haft sind, deren einziges „Verschulden“ ihre Anwesenheit in Luxemburg ist und der Wunsch, hier zu bleiben, ändert das nichts.

Der designierte Direktor des centre de rétention, Fari Khabirpour, warb für den neuen Knast und sein Betreuungsprogramm. Die Debatte zum Film „Illégal“ wurde dazu genutzt, die Zustände in belgischen Heimen anzuprangern und sich selbst auf die Schulter zu klopfen. Den drei Personen ohne gültiges Aufenthaltsrecht, die im Anschluss an die Debatte zu Wort kamen und Minister Schmit um Hilfe in ihrer Angelegenheit baten, wurde geraten, Geduld zu haben. Man werde sich um ihre Akte kümmern. Was auch eine Drohung sein könnte, es sei denn, die drei haben es unerkannt bis Luxemburg geschafft oder sind mit dem Luftballon gekommen. Umgeben von „sicheren Drittstaaten“, ist ein Asylantrag in Luxemburg nur dann zulässig, wenn der Asylbewerber zuvor keinen anderen EU-Mitgliedstaat betreten hat und durch keinen sicheren Drittstaat eingereist ist. Schlechte Aussichten also auch für Gos Seidi und seine Familie, aber immerhin darf er dann nach seiner Zeit im Don Bosco in einem eigenen Gefängnis auf seine Abschiebung warten.


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