MOBILITÄT: An jeder Kanne halten

Die CFL lud am Dienstag zu ihrem ersten Mobilitätskongress. Diskutiert wurde über die Mobilitätskette im grenzüberschreitenden öffentlichen Verkehr.

Park and Ride ignoriert die Tatsache, dass 85 Prozent der NutzerInnen ihren ÖPNV zu Fuß erreichen. Mehr Haltepunkte in der Fläche werden die Probleme besser lösen als der massenhafte Ausbau von P+R-Anlagen.

„Sie müssen sich etwas dabei gedacht haben, als Sie mich hierher einluden.“ Der Trierer Professor für Raumplanung und Experte für öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV), Heiner Monheim, verstand es, die noch etwas verschlafene Zuhörerschaft in der Abtei Neumünster am vergangenen Dienstagvormittag wachzurütteln. Zuvor hatte Infrastrukturminister Wiseler versucht, im Schnelldurchlauf die „grenzüberschreitenden Mobilitätstrategien“ der Luxemburger Regierung für die nächsten Jahre darzulegen. Dabei sprach er nicht nur von den vielen geplanten oder aus finanziellen Gründen zurückgestellten Vorhaben im Bereich des schienengebundenen Verkehrs, sondern versuchte auch, den Ausbau der Autobahnen nach Frankreich und Belgien auf drei Spuren als etwas Nachhaltiges hinzustellen: Dadurch, dass die neue dritte Spur den Bussen und eventuell sogar mit drei oder mehr Personen besetzten Privatautos zur Verfügung gestellt wird, könne den Engpässen auch im ÖPNV entgegengewirkt werden.

Die mehr als 130.000 PendlerInnen, die frühmorgens nach Luxemburg hineindrängen und am Spätnachmittag zurückstreben, werden – so Wiseler – auch in Zukunft ihre Fahrt zum Arbeitsplatz mehrheitlich mit dem eigenen PKW bewerkstelligen. Deshalb soll eine dreifache Kette von Park-and-Ride-Systemen sie dazu animieren, das Auto möglichst früh abzustellen und auf eines der öffentlichen Verkehrssysteme umzusteigen.

Heiner Monheim, dessen Referat unter dem Titel „Die Mobilitätskette – Fessel oder Chance?“ gleich auf die Ausführungen des Ministers folgte, richtete seine Kritik vor allem auf diesen Punkt. „Ich setze in vielen Dingen andre Akzente. Ich will das aber nicht unhöflich tun, sondern als Einladung zum Nachdenken verstehen“, meinte der einstige Referats-leiter des Verkehrsministeriums in Nordrhein-Westfalen.

Um seine Bedenken gegen das P+R-Konzept zu untermauern, benutzte er das Bild der vielen Überschwemmungen, die im Zeitalter des Klimawandels immer zahlreicher werden und deren Folgen bislang vor allem mit immer höheren Mauern in den flussnahen Städten bekämpft wurden. Doch die Probleme entstehen an den „kleinen Bächlein“ am Anfang der Kette.

„Sie bieten zu viel konventionelle Hochwassertechnik, Herr Minister“, mahnte Monheim. Zu wenige Probleme würden an der Quelle erfasst. Während Wiseler von einem jährlichen Zuwachs von 6.300 PendlerInnen ausgeht, nimmt Monheim einen grundsätzlich anderen Trend als Ausgangspunkt seiner Überlegungen: In fast allen europäischen Ländern ist eine Abnahme des Autoverkehrs zu verzeichnen. Auch das autoverliebte Luxemburg sollte sich zum Ziel setzen, diesem Trend zu folgen, und keine Maßnahmen ergreifen, die ihm entgegenstehen.

Den Planern wirft Monheim vor, sich vor allem über die Hauptstränge der Transportkette Gedanken zu machen, den Vor- und Nachtransport in ihren Analysen aber zu vergessen. Doch sei es immer noch so, dass 85 Prozent der NutzerInnen des ÖPNV diesen zu Fuß erreichen. Statt „Park und Ride“ zu fördern, gelte es, „Go and Ride“ so bequem wie möglich zu gestalten. Und das setze nun einmal mehr Haltestellen in der Fläche voraus. Wie beim Hochwasser liege die Lösung des Problems an der Quelle, also da, wo die potentiellen KundInnen wohnen.

Auch wenn Luxemburgs PendlerInnen-Problem sehr spezifisch ist, sieht Monheim dennoch die Chance, die täglich ins Land schwappende Welle anders als bloß mit hohen Mauern am Ende der Kette oder kurz vorher zu stoppen. Schon 1995 hatte er im Rahmen der damaligen BTB-Diskussion angeregt, das Haltestellen-Netz auszubauen – allein in dem der CFL sollten nach diesem Vorschlag 50 neue Haltepunkte entstehen. Darunter war auch eine Anbindung der Nordstrecke an den Kirchberg in Höhe der „Roten Brücke“ – eine Maßnahme die just zuvor als neue Idee von Infrastrukturminister Wiseler im Detail vorgestellt worden war.

Gerade in kleineren Städten und in ländlichen Regionen sind die Zuwächse beim ÖPNV am stärksten, so Monheim. Es geht dem Experten nicht um ein paar Prozent Zuwachs; es gibt Beispiele, wo in solchen Konstellationen eine Verzehnfachung und mehr der Nutzung des ÖPNV erreicht wurde. Das Grundrezept war in diesen Fällen stets eine Erweiterung des Angebots und insbesondere eine Vermehrung der Haltestellen. Die Geschwindigkeit des Hauptverkehrsmittels ist zwar wichtig, aber entscheidend ist die Systemgeschwindigkeit im Ganzen. Das heißt, die NutzerInnen müssen schnell zu ihrem Zubringerdienst gelangen, und die Wartezeiten an den Schnittstellen dürfen nicht unnötig lang sein. Werden diese Prämissen beherzigt, dann wird ÖPNV für viele attraktiv, die bislang zum Auto keine Alternative sehen.

Darüber hinaus ist Park and Ride sehr teuer. Monheim schätzt die Kosten eines „behausten“ Stellplatzes auf 40-45.000 Euro. Wird P+R in großem Stile betrieben, genügt es nicht, einfach quadratkilometergroße Flächen zuzubetonieren; es müssen dann komplexe Anlagen mit Aufzügen, An- und Abfahrten usw. errichtet werden. „Park and Ride dient dem Autoverkehr und geht nicht an die Quelle. Und er verhindert den Aufbau von ÖPNV in den Flächen „, so Monheims These.

Wie das Netz der Spinne

Sein Gegenmodell orientiert sich am Schema des Spinnennetzes: viele enge Maschen und Knoten, an denen man sich vorbeibewegt. Die Knoten sind die Umsteigepunkte. Dass es so viele sind, ist nicht etwa ein Problem, sondern eine Chance. Auch hier bricht Monheim mit einem Grundsatz, nämlich dem, dass man in einem guten System möglichst selten umzusteigen braucht. In der Schweiz, die unbestritten eines der besten öffentlichen Verkehrssysteme besitzt, wird fünfmal mehr umgestiegen als in Deutschland. Das Umsteigen ist kein Problem, wenn der Anschluss zeitnah und zuverlässig ist und man nicht 600 Meter zum nächsten Halt rennen muss.

Die Frage, wie jedeR einzelne seine Fahrt zum Arbeitsplatz gestaltet, entscheidet sich am Wohnort, deshalb ist P+R Gift, da es diese Grundsatzentscheidung sehr leicht macht und in eine falsche Richtung führt.

Auf Luxemburg bezogen bedeutet dies die Forderung, die S-Bahn-Qualität der CFL durch eine höhere Taktfrequenz und die Einrichtung weiterer Haltestellen auszubauen. Der Einwand, dass zu viele Halte das System verlangsamen, ist mit der Elektrifizierung der Bahn gegenstandslos geworden. Ein solches S-Bahnsystem, gekoppelt mit einem Buszubringerdienst, der sich nicht ausschließlich in Richtung Hauptstadt bewegt, sondern da, wo es sinnvoll ist, den nächsten Bahnhaltepunkt ansteuert, könnte mit kleinen Investitionen sehr schnell erreicht werden. „Wir haben es verlernt, als Verkehrsplaner bescheidene aber wirksame Konzepte vorzulegen“, so Monheim, der dennoch eine Lanze für die Trambahn bricht, „das beste System, das die Elektromobilität je zustande gebracht hat.“ Aber da der Bau der Straßenbahn nun einmal aufgrund politischer Umstände unnötig hinausgezögert wurde, sollte man sich nicht scheuen, schon jetzt Maßnahmen zu ergreifen, die das existierende Material effizienter einzusetzen erlauben.

Monheim reibt sich auch an den Vertretern der Bahn, die sich immer noch mit dem von Ex-DB-Chef Hartmut Mehdorn kreierten Bonmot „die Bahn kann nicht an jeder Kanne halten“ gegen eine Vermehrung der Haltestellen wehren. Diese Einstellung hatte auch Minister Wiseler offenbart, als er erklärte, die Busse könnten schließlich nicht an jeder Haustüre halten.

Monheim setzt dem entgegen, dass es bis in die 50er Jahre hinein eine gute Bedienung in der Fläche gab. Die Siedlungsentwicklung habe sich seitdem ungemein beschleunigt – „doch die Schienen liegen da wie eh und je – wenn sie nicht inzwischen außer Betrieb gesetzt wurden“.

Doch solange über den Ausbau des ÖPNV fruchtlos gestritten wird, kann sich der PKW-Verkehr ungebremst weiter entfalten. „Auch auf ihren Plänen, Herr Minister, musste ich wieder neue Kleeblätter entdecken“, so Monheim über die zahlreichen großzügigen An- und Abfahrten zu den geplanten Zubringer- und Umgehungsstraßen. „Damit wird den Autofahrern doch nur signalisiert, dass sie verwöhnt werden, und bitte ja nicht umsteigen sollen“, ereifert sich Monheim.

Vergessen werden dabei die 85 Prozent, die schon jetzt zu Fuß zu ihrem öffentlichen Verkehrssystem gelangen, oder die wachsende Anzahl derer, die dies per Fahrrad tun. Dank P+R werden sie mit Haltestellen konfrontiert, die statt aus dem erwarteten Marktplatz aus einem Parkplatz bestehen, den sie überqueren müssen und auf dem sie sich wie eine Minderheit vorkommen.

Monheim, der Luxemburg als Student aus der „Fahrradperspektive“ kennengelernt hat, verlangt auch ein Umdenken in Sachen „Bike and Ride“. Wie in Paris sollte es (fast) keine Haltestelle ohne Veloh‘-Station, aber auch nicht ohne Unterstellmöglichkeiten für private Räder geben. Und die Mitnahme insbesondere von Falträdern solle ebenfalls erleichtert werden. Und wie in den Niederlanden sollten bis zu 30 Radstationen geschaffen werden, an denen Räder nicht nur sicher verwahrt, sondern nötigenfalls auch tagsüber gewartet werden – „nicht nur zwei, wie auf einem ihrer Bilder dargestellt, Herr Minister, sondern 2.000!“


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