KUNST IM ÖFFENTLICHEN RAUM: No Moore no more

Weg ist er – der Moore. Für rund 6 Millionen soll er verkauft worden sein. Ob daran auch eine nachlässige Kulturpolitik schuld ist?

„Zu den monumentalen Plastiken auf dem Gebiet der Hauptstadt zählt sonderzweifel die des britischen Künstlers Henry Moore vor dem Gebäude des europäischen Gerichtshofs auf dem Kirchberg-Plateau“, heißt es in einem alten Zeitungsartikel.

Die dreiteilige Bronzeskulptur, die den etwas umständlichen Titel „Three Piece Reclinig Figure: Draped“ oder kurz „dreiteilige, sich zurücklehnende Figur“ trägt, wurde in den 1970er Jahren auf ausdrücklichen Wunsch des Künstlers vor dem EU-Gerichtsgebäude auf dem Kirchberg-Plateau aufgestellt. Nach 1952, dem Jahr, in dem Luxemburg zum Sitz des Europäischen Gerichtshofes bestimmt worden war, hatte sich die Tradition herausgebildet, dass jedes neue Mitgliedsland der EU ein Kunstwerk als Leihgabe zur Verfügung stellt. Frankreich wählte eine Bronzestatue von Auguste Rodin für den Zweck, und Großbritannien die Großplastik Henri Moores (1898-1986), die 1976 anlässlich des Staatsbesuchs der englischen Königin feierlich enthüllt wurde. Moore, lange Zeit in einem Atemzug mit Bildhauern wie Hans Arp und Constantin Brancusi genannt, war besonders seit den 1940er Jahren durch seine kraftvollen Zeichnungen von Menschen, die vor den deutschen Bombardements in den U-Bahn-Schächten Schutz suchten, international bekannt geworden. Im kollektiven Gedächtnis ist Moore heute jedoch vor allem durch seine großen Skulpturen präsent. Angeregt durch afrikanische Plastiken und unter dem Einfluss zeitgenössischer Künstler, wie Pablo Picasso oder Georges Braque, wurden Moores Arbeiten zunehmend abstrakter. Seine Plastiken, meist Abstraktionen des menschlichen Körpers, ordnete er als Familiengruppen an, typischerweise als „Mutter und Kind“ oder als „ruhende Figur“. Seit den 1950er Jahren wurden die Skulpturen größer und Moore begann, Assistenten zu seiner Arbeit heranzuziehen.

Dieses große und berühmte Werk Moores ist nun jedoch schon seit geraumer Zeit vom Vorplatz des Gerichtsgebäudes verschwunden. Recherchiert man im Internet, findet man neben dem Hinweis auf den Luxemburger Standort der Skulptur in den Jahren 1976-1994 die Mitteilung, dass sie 2003 bei der „Impressionist And Modern Sales-Fare“ des bekannten Auktionshauses Christie’s für rund sechs Millionen Dollar unter den Hammer gekommen sei. Was war geschehen, dass die permanente Leihgabe ohne Ankündigung abgebaut und abtransportiert und danach im Ausland verkauft werden konnte? Wiederum stellt sich die Frage, welcher Stellenwert der Kunst am Bau oder öffentlichen Denkmälern beigemessen wird. Gibt es ein Inventar bestehender Kunstwerke, und werden diese regelmäßig auf ihren Zustand untersucht? Und wer ist überhaupt dafür zuständig?

Im Falle des EU-Gerichtshofes soll dies u.a. auch die „Administration des batiments public“ sein.

Die Verwaltung war vor einigen Jahren in einem schiefen Licht erschienen, als die Skulptur „L`envol“ von Charlotte Engels, die in den 1970er-Jahren für rund 5,5 Millionen Luxemburger Franken erworben worden war, bei den Umbauten des Findels in der Nähe der Startbahn auf einem Schrotthaufen entdeckt wurde. Nur unter dem Druck der empörten Öffentlichkeit besann sich die Verwaltung auf ihre Verantwortung und ließ das 3,5 Meter hohe und 2 Tonnen schwere Werk vor dem neuen Terminal A des Flughafens wieder aufstellen.

Auch bei der „Three Piece Reclinig Figure“ spielten Beschädigungen eine Rolle. Zumindest erschien laut Pressedienst des EU-Justizhofes im Jahre 1994 ein Kurator der „Henry Moore Foundation“ (die Stiftung wurde 1977 zur Pflege von Moores Werk und wegen Steuervorteilen gegründet), der die Skulpturen inspizierte und zur Restauration nach England überführen ließ. Unklar ist, ob die Sanierung infolge nachlässiger Wartung notwendig wurde oder ob die Schäden bei den mehrfachen Versetzungen der Skulpturen entstanden – zu denen war es durch die umfangreichen Um- und Neubauten des zu klein gewordenen Gerichtsgebäudes gekommen.

Wie dem auch sei – nach Durchführung der Reparaturen hätte die Skulptur gemäß den Abmachungen mit der Moore-Stiftung an ihren Standplatz zurückkehren müssen, aber das geschah nicht. Dass sie es gar nicht konnte, weil sie schon Jahre zuvor verkauft worden war, wollen die Dienste des EU-Gerichtshofes erst im Oktober 2010 erfahren haben. „Seitdem hatten wir gehofft ein neues Werk als Leihgabe für unsere Räumlichkeiten zu erhalten. Doch stellt die Henri Moore Stiftung mittlerweile ihre Kunstwerke nur gegen einen hohen Mietpreis und nur für die befristete Zeit von zwei Jahren zur Verfügung“, erläuterte eine Sprecherin. Der Gerichtshof verfüge jedoch über keine Mittel, um Kunst zu kaufen, das Budget für Kunst decke allenfalls die Versicherungskosten für die noch vorhandenen Werke.

Auch die Bautenverwaltung hat kein Budget für Kunstankäufe – es gibt nur die maximal 1,5 Prozent, die regulär von den Baukosten neuer öffentlicher Gebäude für diesen Zweck abgezweigt werden.

Obwohl die Skulpturen von Moore heute eher konservativ wirken, sind sie dennoch als Zeugnisse der 1950er Jahre-Formensprache sehr interessant. An ihrem Beispiel lässt sich deutlich machen, wer für die Kunst im öffentlichen Raum zuständig bzw. nicht zuständig ist. Und auch das grundsätzliche Problem lässt sich an ihnen ausloten, nämlich welche Bedeutung der Kunst im öffentlichen Raum zukommt – ob als Möblierung des Stadtraumes, Denkmal bis hin zur zeitbegrenzten Intervention. Kunst im öffentlichen Raum kann historische oder aktuelle Bezüge zum Ort herstellen, die Aufmerksamkeit auf aktuelle Themen lenken, die im öffentlichen Interesse stehen. Kunst kann auch die Wichtigkeit des öffentlichen Raumes, der unter den Zwängen der neoliberalen Wirtschaftsstrategien immer mehr verloren zu gehen droht, den Menschen verständlicher machen und sie dazu motivieren, sich wieder mehr an dessen Gestaltung zu beteiligen.

In der Vergangenheit gab es ein paar thematische Ausstellungen im öffentlichen Raum etwa die Serie „Sous les ponts, le long de la rivière“ (2001-2005) sowie „Trans(ient) City“ und die „Urban Landmarks“ im Rahmen des Kulturjahres 2007. Zudem befinden sich in Luxemburg einige staatlich oder privat erworbene Plastiken, darunter Werke von Nikki de Saint Phalle, Richard Serra und Frank Stella. Auf dem Land gibt es die „Sentiers rouges“ mit Installationen von Künstlern aus der Großregion oder die Freilichtskulpturen in Bilsdorf und Lultzhausen. Ansonsten scheint Kunst im öffentlichen Raum – außer bei den von der Fondation de l’architecture kürzlich organisierten Stadtbesichtigungen – kaum mehr ein Thema zu sein. „Skulpturen, die einmal aufgestellt wurden, sollten, sofern sie keine Denkmäler sind, nicht auf unbegrenzte Zeit stehen bleiben, sondern im Rahmen eines demokratischen Prozesses ausgetauscht und in einem Depot gelagert werden“, meint der Kunsthistoriker Hans Fellner, der unter anderem die Stadtbesichtigungen der Fondation organisiert. „Die Werke sind ja auch nicht immer von guter Qualität, und manchmal wurden sie als coup de coeur von einem Politiker bestellt.“ Vor allem nach dem zweiten Weltkrieg gab es die Mode der Drop-Sculptures, die einfach hingesetzt wurden, um den öffentlichen Raum zu möblieren. „Im öffentlichen Raum brauchen wir vieles, Skulpturen sind da nicht meine erste Wahl. Sie sind teuer und stehen dann lange da. Kunst im öffentlichen Raum sollte eher vergänglich, reaktiv und kontextuell sein“, so Fellner. Avis aux amateurs!


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