Sind die Hollericher Fabrikhallen zum Abriss freigegeben? Man weiß es nicht genau, aber auf jeden Fall ist der Umgang der Verantwortlichen mit den alten Gebäuden ein Beispiel für die Inkonsequenz in puncto Denkmalschutz.

Der Komplex der ehemaligen Hollericher Eisengießerei stellt noch heute eine singuläre Architektur im Stadtteil dar.
„Wir empfehlen uns besonders für Ornamentguß, wie Balkone, Geländer, Grabmonumente, Treppen (…) Maschinenteile werden nach eingesandtem Modell aufs schnellste geliefert, und solche, welche ohne Modell nach Zeichnung verlangt werden, werden mit der größten Präzision ausgeführt. Indem wir uns prompte und reelle Ausführung der Bestellungen zur Aufgabe machen, hoffen wir auf geneigte Aufträge des geehrten Publikums“. So heisst es in einer aus dem Jahre 1877 stammenden Anzeige der Hollericher Eisengießerei, die auf der Internetseite „industrie.lu“ gespeichert ist.
Auf eine über 100jährige Geschichte können die Gebäude der Hollericher Eisengießerei entlang der Rue de l’Aciérie mittlerweile zurückblicken. Der heutige Bestand ist der Rest einer weitaus grösseren Anlage, der „Cité ouvrière de l’Union des Aciéries“, die aus Verwaltungsgebäuden, Lagerhallen und einer Reihe parallel hintereinander liegender Fabrikationsstätten bestand. 1877 wurde in Hollerich die Eisen- und Kupfergießerei Woll et Biwer gegründet, die einige Jahre später in den Besitz zunächst der Gebrüder Godchaux, dann des Unternehmers Paul Gredt überging. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde das Unternehmen in die „Vereinigten Stahlwerke Aktiengesellschaft“ überführt. Im Jahre 1911 erstreckte sich das Werk über ein Gelände von 11 Hektar, und sein täglicher Ausstoß betrug rund 60 Tonnen Stahl. 1923 kam es zur Fusion mit der Paul Wurth S.A.; das hierdurch vergrößerte Werk produzierte Stahl bis zum Jahre 1978. Dann wurden die hinteren Fabrikgebäude abgerissen (das „Neie Lycée“ oder „Lycée Ermesinde“ befand sich lange Zeit hier). Übrig blieb nur das historische Ensemble entlang der Rue de l’Aciérie, d. h. das Gebäude, das nun die Fondation de l’architecture beherbergt, sowie die langen Fabrikhallen mit ihren markanten, mit rotem Backstein umrahmten Fenstern. Der Komplex stellt eine singuläre und markante Architektur im Hollericher Stadtteil dar und ist ein bedeutendes Zeugnis seiner sozialen und ökonomischen Geschichte.
So weit so gut. Doch seit dem 10. Februar dieses Jahres schwebt über den alten Gemäuern ein Erlass der Stadt Luxemburg, der den Abriss der „halls dénommés 2 et 3 sur le site de l’ancienne usine de la société Paul Wurth aux abords de la rue de l’Aciérie“ autorisiert.
Beinahe täglich werden in Luxemburg alte Fabrikgebäude, technische Anlagen, Lagerhäuser, Wohnhäuser in Arbeitersiedlungen oder historische Verkehrswege dem Erdboden gleichgemacht und beseitigt. Unwiederbringliche Zeugen der industriellen Vergangenheit verschwinden für immer. Der vielbeschworene Ensembleschutz wird per Salamitaktik um seine Wirkung gebracht. Man denke an die Demontage der Hochofenanlage in Esch Belval oder die Sprengung der Kühltürme in Differdingen – um nur die Fälle zu nennen, die in der Öffentlichkeit diskutiert wurden.
Potential der Industriedenkmäler
Dies ist beklagenswert, da gerade die Industriedenkmäler, dank ihrer Lage im Spannungsfeld von Technik-, Wirtschafts-, Sozial-, Kunst- und Architekturgeschichte und Produktgestaltung, wesentlich zur Erkenntnis der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwicklung des Landes beitragen. Auch ist die Auseinandersetzung mit den erhaltenen Gebäuden längst nicht mehr nur eine Frage der Denkmal- oder Stadtbilderhaltung, sondern eine ökonomische und ökologische Notwendigkeit: In einer Zeit, in der der Bestand nutzbarer Flächen dramatisch abnimmt, ist es in besonderem Maße geboten, auf vorhandene Bausubstanz zurückzugreifen, statt weitere Grünflächen zu zerstören. Umbau- und Sanierungsmaßnahmen werden in naher Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen. So fällt das historischen Ensemble der Rue de l’Aciérie auch in die Bebauungspläne der sogenannten Porte de Hollerich.
Gerade Industriedenkmäler bergen ein ungeheures Potenzial: Es gibt die prominenten Beispiele im Ausland, etwa die Umnutzung der frühen „Bankside Power Station“ in London zum Kunstmuseum „Tate Modern“. Doch auch hierzulande dokumentieren einige Projekte, dass Denkmalschutz – wenn ein kompletter Erhalt nicht möglich ist – auch originelle Lösungen für die Nutzung von Industriebrachen und -gebäuden finden kann. Manche Anlagen sind in einer faszinierenden Einheit von technischer Funktion und architektonischer Formschönheit erhalten geblieben, durch verantwortungsvolles Handeln von Staat und Kommunen, aber auch dank des Engagements von Einzelpersonen und Bürgerinitiativen. Man denke nur an die „Rives de Clausen“, das Gelände der Brauerei Mousel et Clausen, das mit den alten Gebäuden zur modernen Amüsiermeile umfunktioniert wurde. Oder an die alte Bettemburger Molkerei Celula, aus der ein multifunktionelles Wohn- und Arbeitszentrum geworden ist.
Laut Patrick Sanavia, Direktor des „Service des sites et monuments nationaux“, hat auf seiten der Verantwortlichen ein Bewusstwerdungsprozess stattgefunden, so dass nun die Hoffnung besteht, dass die Stadt Luxemburg ihre Abrissgenehmigung zurückzieht – dazu hat sie drei Monate Zeit. Die woxx wollte sich vergewissern, aber die kommunalen Verantwortlichen lehnten es ab, ihrer Informationspflicht gegenüber dem Bürger nachzukommen. Auch Paul Wurth verweigerte eine Stellungnahme.
„Wir haben in der Vergangenheit eine Reihe von Inventaren in diesem Stadtbezirk erstellt. Und es stand immer fest, dass die historischen Gebäudehallen entlang der Strasse bestehen bleiben sollen“, so Sanavia, der über die Abrissgenehmigung äußerst erstaunt war. Bisher sei der Gebäudekomplex nicht klassiert. „Beim Denkmalschutz sind nicht nur die staatlichen Behörden gefordert, sondern auch die kommunalen Akteure“. So sei in der Gesetzgebung zum „Plan d`aménagement général“ (PAG) eindeutig festgelegt, dass die Gemeinden hierbei eine Verantwortung haben. Zudem gäben die PAG’s auch Richtlinien vor, wie der Denkmalschutz konkret umzusetzen sei. Eine Reihe von Gemeinden hätten bereits ihre PAG’s überarbeitet. In der Gemeinde Betzdorf zum Beispiel, wo ursprünglich nur 20-30 Gebäude als schützenswert definiert worden waren, gebe es nach dem Inventar für den PAG in Wahrheit 200.
Nationales Inventar
Die Denkmalschutzbehörde habe mittlerweile von über 90 Gemeinden Auskunft erhalten, wie weit die betreffenden Inventare gediehen sind. Viele Gemeinden kooperierten und hätten beispielsweise gemeinsame Ortsbegehungen organisiert, bei denen weitere schützenswerte Baudenkmäler ermittelt wurden. „Ein Kriterium ist dabei auch die Sozial- und Regionalgeschichte. Hier wissen die Gemeinden oft am besten Bescheid, welches Haus früher welche Funktion hatte und weshalb es schützenswert ist“.
Bis 2013 müssen alle neuen PAG’s umgesetzt sein. „Dann haben wir ein nationales Inventar von Kulturdenkmälern. Und es ist an den Gemeinden, sich in den nächsten Jahren ihrer Aufgabe zu stellen“, so der Denkmalschützer.
Auch in der Stadt Luxemburg seien über 600 Fassaden geschützt. „Das ist sinnvoll, um das Strassenbild zu erhalten. Vergessen wird dabei jedoch oft, dass einige Gebäude auch von innen erhaltenswert sind“, betont Sanavia. Dann wiederum gibt es Strassenzüge wie die Rue Alfred Musset auf Limpertsberg, die kommunal nicht geschützt sind. „Allerdings wollen wir von der Denkmalschutzbehörde nicht unbedingt anfangen, ganze Strassenzüge als nationale Denkmäler zu klassieren – es sei denn, das Allgemeininteresse macht sich in dieser Hinsicht bemerkbar“. Problematisch sei auch oft die Informationspolitik. Allzu oft laufe die Sache folgendermaßen ab: Jemand kauft ein altes Haus, um es abzureissen. Zuvor hat er sich beim Anwalt informiert, der aber keine Bedenken hat. Der Bürgermeister bewilligt den Abriss, der Bagger rückt an, und plötzlich steht der Denkmalschutz vor der Tür. „Dann fragt der Besitzer – und nicht ganz grundlos: Ja, wo waren Sie denn die letzten 20 Jahre?“. Um solche Konflikte zu vermeiden, seien Zusammenarbeit und vorbeugendes Handeln wichtig und lägen durchaus im Interesse des Denkmalschutzes.
Auch bei dem historischen Ensemble der Rue de l’Aciérie scheinen die Verantwortlichen keine klare Sprache im Sinne des Denkmalschutzes zu sprechen. Es ist sehr zu hoffen, dass die Abrissgenehmigung tatsächlich zurückgezogen wird und dass Paul Wurth sich des Potentials seiner Hallen als stadthistorischer Landmark hinreichend bewusst wird.