Maskénada inszeniert Arthur Schnitzlers „Anatol“ und präsentiert beste Unterhaltung auf hohem Niveau, dank hervorragender Schauspieler und einer außergewöhnlichen Bühnenkonzeption: Gespielt wird in einem Möbelhaus.
In medias res, mal anders. Das Publikum findet sich nach Ladenschluss im Eingangsbereich des Möbelhauses ein und wartet gespannt. Man schlendert herum, betrachtet die Ausstellungsobjekte und fragt sich wann es denn losgehen wird, bis einem der elegant gekleidete, attraktive Mann auffällt. Und ist diese Dame mit dem Hut nicht over-dressed für einen Theaterbesuch? So eröffnen Anatol (Markus Bader) und Gabriele (Sascha Ley) den Reigen – pardon, die erste Szene. Arthur Schnitzlers Einakter erzählt lose Episoden aus Anatols turbulentem Liebesleben. Der junge Mann flüchtet von Frau zu Frau (die Damen Ley und Bentz in Doppelrollen) und scheint keine Ruhe zu finden. Anatol ist ein „Typus“, wie er selber sagt: Er ist ein „leichtsinniger Melancholiker“, ein Charmeur und ein Frauenheld. Er projiziert jedoch seine eigene Inkonsequenz auf seine Partnerinnen. Er hat „keine Illusionen“ mehr wenn es um die Liebe geht. So zweifelt er an der Treue der Frauen, weil er selber untreu ist, denn – wie er seinem Freund Max (Nickel Bösenberg) erklärt: „Immer wollen wir uns einreden, die Weiber seien darin anders als wir!“ Aufrichtigkeit ist für die Charaktere ein zentrales Anliegen an dem sie immer wieder zu scheitern drohen, wie schon in Schnitzlers wohl bekanntester Erzählung „Die Traumnovelle“.
Anatol wäre keine Figur Schnitzlers, wenn er nicht auch eine innere Spannung, gar Überreizung, in sich trüge. Seine moralische Zweifelhaftigkeit, seine zahlreichen Liebschaften, seine Melancholie schließlich, machen ihn zum Prototypen des dekadenten Menschen im fin-de-siècle. Doch das Wunderbare an Schnitzlers Text ist, dass sein Anatol auch nach über hundert Jahren, nach einer weiteren Jahrhundertwende, immer noch zeitgenössisch wirkt. Schnitzlers Text ist nicht nur durch seine Figuren erstaunlich frisch geblieben. Er bietet spritzige und temporeiche Dialoge und ist von vielen komischen Momenten durchdrungen. Das Ensemble weiß den Sprachwitz zu würdigen, gar auf hohem Niveau zu halten, auch wenn Triviales passiert. Anatols Abschiedsessen mit Lilly (Alexandra Bentz), bei der die angedachte Trennung nicht ganz so verläuft wie geplant, ist ein wunderbares Beispiel für intelligent gemachte und gespielte Komödie.
Das alles findet also in einem Möbelhaus statt und man bewegt sich für jede Episode zu einem anderen Ausstellungsbereich. Man könnte befürchten die Spannung ginge aufgrund dessen verloren, aber gerade weil es ein Episodenstück ist, stört man sich nicht daran. Ferner sorgt das flotte Spiel des Ensembles für die nötige Konzentration. Viel wichtiger ist die dadurch generierte Nähe zum Spiel: Der Zuschauer wird mehr denn je zum Voyeur. So fühlt er sich nicht anders als Anatols Freund Max, der immer wieder ungewollt in dessen Geschichten miteinbezogen wird.
Nicht zum ersten Mal hat das Künstlerkollektiv Maskénada innovative Wege in Bezug auf Spielstätten eingeschlagen und zur Idee, dieses Stück in einem Möbelhaus zu präsentieren, kann man einfach nur gratulieren. Diese eleganten Stillleben, Konstruktionen einer idealen Welt, könnte man sich denn eine passendere Bühne für ein solches Porträt der menschlichen Eitelkeiten vorstellen?
Anatol von Arthur Schnitzler, präsentiert von Maskénada, am 6., 10., 12., 13., und 17. April im Sichel Home in Luxemburg-Howald.