FILM: Hannah goes Hollywood

Kaum eine politische Theoretikerin spaltete die Gemüter so stark, wie Hannah Arendt mit ihrer Publikation zum Eichmann-Prozess. Margarethe von Trottas Kinofilm lockt mit dem Versprechen, das Denken der Philosophin in den Vordergrund zu stellen, skizziert jedoch allenfalls Aspekte.

Das Profil der rauchenden Philosophin vor der Kulisse New Yorks ziert das Filmplakat. „Ihr Denken veränderte die Welt“, heißt es im Untertitel ohne Scheu vor großen Worten; „HANNAH ARENDT“: der Titel der aufwendigen Produktion, die Margarethe von Trotta mit ihrer Dauerpartnerin Barbara Sukowa in der Hauptrolle realisiert hat. Gedreht wurde in Filmstudios in Jerusalem, Nordrhein-Westfalen und Luxemburg. Und so viel ist sicher – der Film dürfte ein Kassenerfolg werden. Denn von Trotta hat mit ihm Unterhaltungskino à la Hollywood geschaffen (allerdings eher im Fernsehformat), da sie selbstbewusst Klischees eingesetzt hat und die Zuschauer nicht mit Gedanken überfordert.

In der New Yorker Exilanten-Bohême der 1960er Jahre beginnt der Film, zeigt seine Heldin inmitten mondäner, Champagner trinkender, diskutierender Intellektueller. Man sieht „die Arendt“ als ständig rauchende, elegante Frau mit auftoupierter Frisur – wie einer Persilwerbung entsprungen – und mit gerunzelter Stirn (Achtung denkend!) würdig durch ihre Wohnung schreiten, vertieft in gestapelte Prozessakten, gebeugt über ihre Schreibmaschine, ihr Englisch stets mit markant deutschem Akzent sprechend.

Als die jüdische Publizistin Hannah Arendt (1906-1975), die 1937 von den Nationalsozialisten ausgebürgert worden war, für das US-amerikanische Magazin „The New Yorker“ die Berichterstattung über den Eichmann-Prozess in Jerusalem 1961 übernahm, hatte sie ursprünglich die Absicht, einen einzigen Artikel abzufassen. Die Fülle der Prozessdokumente ergab dann jedoch fünf aufeinanderfolgende Essays, die sie 1963 zu dem Buch „Eichmann in Jerusalem“ erweiterte. Statt einer systematischen Schilderung entstand ein wertender Prozessbericht – aus dem unverkennbar hervorgeht, dass es Arendt um eine Gesamtdeutung des Holocaust vor dem Hintergrund eines nicht adäquat geführten Strafverfahrens ging.

„Das Historytainment à la Guido Knopp ist nicht viel anders.“

Denn zum einen hätte sie es lieber gesehen, wenn Adolf Eichmann, der während der NS-Zeit als Leiter des für die Organisation der Deportation der Juden zuständigen ?Eichmannreferats‘ des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) in Berlin mitverantwortlich für die Deportation und Ermordung von sechs Millionen Juden war, voneinem internationalen Gerichtshof verurteilt worden wäre. So aber hatte ihn der israelische Geheimdienst in Argentinien festgenommen und nach Israel gebracht. Zum anderen hegte sie tiefe Skepsis gegenüber dem den Prozess leitenden israelischen Staatsanwalt Gideon Hausner, der selbst ein Auschwitz-Überlebender war. Nach Arendts Überzeugung musste er als befangen gelten. Ihre Skepsis gegenüber einer Verurteilung Eichmanns in Israel – sie befürchtete einen Schauprozess – klingt im Film kurz an. Denn ungefähr da startet er: Hannah Arendt läuft ihrem Mann Heinrich Blücher (Axel Milberg) mit einer Zeitung in der Hand wie ein aufgescheuchtes Huhn entgegen. „Hast Du es schon gelesen? Sie wollen ihn in Israel vor Gericht stellen. – Das können sie doch nicht machen ?“

Im Film sitzt Hannah Arendt im Journalistengraben vor ihrer Schreibmaschine und betrachtet Eichmann verblüfft. Für die Szenen im Gerichtssaal greift von Trotta auf historische Schwarz-Weiß-Aufnahmen des Eichmann-Prozesses zurück. Sie habe sich bewusst dagegen entschieden, Eichmann von einem Schauspieler darstellen zu lassen, denn nur so könne der Zuschauer – wie seinerzeit Arendt – die „Mittelmäßigkeit“ Eichmanns spüren und begreifen, was Arendt sah, erläuterte die Regisseurin bei der Premiere des Films in Toronto. So, wie die Szenen geschnitten sind, muss sie sich aber den Vorwurf gefallen lassen, dass es ihr tatsächlich weniger um Erkenntnis, als um den Gänsehauteffekt des Originalen ging – das Historytainment à la Guido Knopp ist nicht viel anders.

„Starke Frauen“ sind von jeher von Trottas Lieblingssujet. Wie immer in ihren Porträt-Filmen (Rosa Luxemburg, Gudrun Ensslin, Hildegard von Bingen) hat sich die Regisseurin auch bei Hannah Arendt in erster Linie für die selbstbewusste Frau interessiert, doch eher für ihr eigenes, sehr deutsches Bild von ihr: Eichmann-Prozess, Judenräte und Heidegger sind die behandelten Themen; um Arendts „Denken“ insgesamt zu porträtieren, hätte aber noch anderes einbezogen werden müssen. Ihre politische Theorie, ihre historisch-politischen Texte wie etwa „On Revolution“ spielen in dem Film jedoch keinerlei Rolle.

Tatsächlich hätte man aus dem „Mythos Hannah Arendt“ eine ganze Menge machen können. Zum einen zeigen ihre Berichte Adolf Eichmann – entgegen der zeitgenössischen Berichterstattung, in der am Klischee Eichmanns als mächtigem Drahtzieher im Hintergrund festgehalten wurde – nicht als Monster, sondern als mittelmäßigen Schreibtischtäter, als „Nobody“. Zum anderen sah Arendt die historische Bedeutung des Prozesses darin, dass er demonstrieren werde, „in welch ungeheurem Ausmaß die Juden mitgeholfen haben, ihren Untergang zu organisieren“. Dies trug ihr heftige Kritik ein, klang darin doch der Vorwurf an, die Juden hätten gewissermaßen ihr eigenes Grab geschaufelt. Dabei beinhaltete Arendts These der Mitverantwortung der Judenräte in erster Linie eine selbstkritische Reflexion, da sie der Überzeugung war, dass nur mit dem Eingeständnis einer Mitverantwortung am Holocaust ein konstruktiver politischer Neuanfang gelingen könne. Außerdem wandte sie sich gegen die vorherrschende lineare Deutung des Holocaust, als „Durchgangsstufe“ der Geschichte des Antisemitismus. – Diese Lesart hatte sie bereits in „Elementen und Ursprüngen totaler Herrschaft“ in Zweifel gezogen. Der Weg zur Massenvernichtung sei nicht in erster Linie auf die Kontinuität antisemitischer Strömungen zurückzuführen, sondern auf die innere Notwendigkeit des totalitären Systems, ein Feindbild zu entwickeln.

Zwar eigenwillig,
aber unemanzipiert

Drei Grundthesen, die von Trotta versäumt, in ihrer Arendt-Boulevard-Doku klar zu benennen und zu trennen. Natürlich rückt die Regisseurin das griffige Wort der „Banalität des Bösen“ in den Mittelpunkt, erklärt doch dieses Schlagwort zu nicht geringem Teil die ungeheure Ablehnung, auf die Arendts Analyse stieß. Es konnte so erscheinen, als habe sie Eichmann und andere Deutsche entschuldigt, indem sie ihre Taten als „banal“ bezeichnete. Stattdessen konzentriert sich der Film darauf, Hannah Arendt zwar als eigensinnige und mondäne Intellektuelle, ihrem Mann gegenüber jedoch als devote Hausfrau zu inszenieren. Regisseurin von Trotta setzt auf den Knalleffekt der Empörung, die die Veröffentlichung ihrer Publikation auslöste. Bekannt ist, dass Hannah Arendt sowohl an der Universität wie in ihrem Freundeskreis, vor allem jedoch in Israel, auf massive Kritik stieß. Gershom Scholem warf ihr vor, es habe ihr an Liebe zum jüdischen Volke gemangelt, und selbst langjährige jüdische Freunde wandten sich enttäuscht von ihr ab. Dies zeigt der Film ohne Zweifel: In einer Filmszene steigt Germain Wagner als jüdischer Anwalt Moses, ein offizieller Abgesandter der israelischen Regierung, dandyhaft aus einem teuren Auto und fordert sie auf, ihre Publikationen zurückzuziehen. In einer weiteren Szene gegen Ende des Filmes liest ihr ihre Vertraute Lotte (Julia Jentsch) Schmähbriefe vor, in denen sie als „Nazi-Hure“ beschimpft wird.

In einer fulminanten Szene gegen Ende des Films wird sie schließlich, als man ihr ihren Lehrauftrag entziehen will, eine flammende (Verteidigung-)rede vor einem brechend vollen Hörsaal halten. Bei den Verbrechen Eichmanns habe es sich um ein universelles „Verbrechen gegen die Menschheit“ gehandelt. Stürmischer Beifall, durch den ihr Ansehen – zumindest partiell – wiederhergestellt werden sollte. Doch so souverän sich Arendt an der Universität gegenüber ihren Studenten gibt, so unselbstständig und geradezu demütig wird sie von der Regisseurin in ihren Liebschaften inszeniert. Die Szenen mit Martin Heidegger – ihrer, wie es heißt, „nie ganz erloschenen“ Jugendliebe – muten grotesk an. Man sieht „die kleine Hannah“, zu dem großen Philosophen Martin Heidegger (Klaus Pohl) aufschauen. Sieht Heideg-
ger als stilisierten Schwarzwälder, wie er mit lüsternem Blick in ihre Dachkammer stapft und seine Hose aufknöpft. Sieht ihn später, tief in Gesprächen mit seiner Schülerin versunken, in Lederhosen durch den Wald wandern. Und sieht schließlich
Arendts Ehemann Heinrich Blücher, wie er sie liebevoll tätschelt, ihr Klapse auf den Hintern gibt und seine kleine Denkerin lachend mit „Frau Professor“ anredet. Einige Dialoge sind entschieden seicht. „Er [Heinrich] macht sich Sorgen um mich. Er hat Angst, dass mich die finsteren Zeiten wieder einholen,“ erklärt Hannah Arendt etwa ihrem Freund Kurt Blumenfeld, als sie in Israel eintrifft.

So zeigt von Trotta in ihrem Film Hannah Arendt als zwar eigenwillige, doch gänzlich unemanzipierte Frau im Kreuzfeuer der Kritik. Weshalb sie plötzlich von allen Seiten angefeindet wird, wird dem Zuschauer nicht klar. Im Vordergrund stand für Hannah Arendt immer das „theoretische Interesse“ am Begreifen und Analysieren des Unheils. Die Einzigartigkeit des Holocaust erblickte sie im Fehlen jeglicher moralischer Dimension des Geschehens, seiner ausschließlich technokratischen Natur. Adolf Eichmann als stereotyper Bürokrat und „Rädchen im Getriebe“ schien den Schreibtischtäter in einem totalitären System geradezu ideal zu verkörpern. Ihre, von Historikern oft als lückenhaft kritisierte, Gesamtdeutung des Holocaust ist vielleicht kein Meilenstein, doch unbestritten eine wichtige Grundlage für die NS-Forschung über die Wirkungsmechanismen des NS-Systems und seine Psychologie.

Filmstart in Luxemburg am 16. Januar.


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