LUXEMBURGENSIA: Der Gnadenhof

Ja, genau, es herrscht Kater-stimmung, und das nicht erst, seit Passivraucher und „wissenschaftliche Studie? zueinander gefunden haben. „The End of the World as we know it.? Der moribunde „Bopebistro?-Darsteller liegt am Boden und will partout nicht sterben, es ist eine einzige Schmierenkomödie, seit geschätzten 40 Jahren schon ?

Wenn die Kröten zu den Hühnern wandern, dann ist das Bopebistro-Feeling pur.
Hier im Café Losch in Cruchten.

Die altrosa Knautschpackung der lokalen Zigarettenmarke „Maryland“ hat Produktdesign-Geschichte geschrieben, der Wiedererkennungswert hierzulande ist immer noch hoch. Folglich taucht sie als Emblem auf den Plakaten der „Bopebistro-Tour“ auf. Und die „Bopebistro-Tour“ darf – da der „neopuritanische Kontrollstaat“ (Jungle World) gesetzgeberisch um sich greift und nur noch Uraltkanzler Helmut Schmidt ungestraft rauchen darf – nicht wirklich zu Ende gehen. Etwas muss bleiben. Weshalb es seit kurzem ein Buch, ein gut gemachtes, zum Thema gibt.

Rückblick: Der Musiker Serge Tonnar troubatourt mit seiner Band Legotrip durch die Dorfkneipen des Landes. Die charmante Ochsentour nennt sich folgerichtig „Bopebistro-Tour“, ein Begriffsgebrauch, der auch bei der Internet-Generation, die in Lounge-Bars, in denen der Gemütskitsch eines traditionellen Wirtshauses gerne als ironisches Zitat auftaucht, die eine oder andere Assoziation wachruft.

Bei ihrer Tour durch die „Bopebistros“ erlebt man die vier Musiker in Feinripp, Hosenträgern und Dreitagebart am Tresen, wo sie ihre bissig-wehmütigen Lieder singen, darunter das eine oder andere Sperrstunden-Lied, in dem sich zwischen Hëpperdang und Knokke-le-Zoute der große Weltschmerz breitmacht. Traditionswächter sind eben Weltabgewandtheitsweltmeister, es bleibt ihnen nichts anderes mehr übrig. Wer will, kann dieses Liedgut als eine angewiderte Leckt-mich-Antwort auf die hysterischen Sirenen des Zeitgeistes mit seinen fortwährenden Aufgeregtheiten und Skandalisierungen interpretieren.

Schon immer haben die Kulturnomaden von Maskénada – der asbl, die Tonnar im Kulturjahr 1995 mitbegründet hat und die den ganzen Backlash der „Bopebistro-Tour“ orchestriert hat – gerne aufs Land geschaut, d.h. sie haben nicht nur die Kulturtempel der Hauptstadt bedient, sondern, wie bei Claude Mangens Inszenierung von Marcel Reulands „Op der Kirmes“, das als schräges Krippenspiel durch die Scheunen der Landwirte zog, auch den Kontakt zur dörflichen Bevölkerung gesucht.

Vor kurzem erschien also das Buch zur Tour, wie es im Wortlaut des Merchandising heißen muss. Herausgebracht haben es die Editions Saint-Paul unter der redaktionellen Aufsicht der Kulturjournalistin Sonia da Silva in Zusammenarbeit mit Serge Tonnar. Es vereint literarische Texte, Reportagen von Journalisten des Verlagshauses mit Fotostrecken zum Themenkomplex „Bopebistro“ von bekannten Fotografen der jüngeren Generation (Patrick Galbats, Armand Quetsch, Jeanine Unsen, Marc Wilwert).

Während sich die Schriftsteller Nico Helminger, Jean-Michel Treinen und Francis Kirps in ihren „Cartes Blanches“ dem Phänomen „Bopebistro“ in seiner archeytpisch-urigen Gestalt nähern (also auf eine Zeit zurückblicken, in der stabile kollektive Identitäten noch nicht an Glaubwürdigkeit eingebüßt hatten), lässt der Historiker Denis Scuto, der als Knabe die „Oarbechtercafés“ seiner Heimatstadt Esch/Alzette kennenlernte, es ganz unaufgeregt angehen. Er relativiert die gesundheitspolitischen Kreuzzüge der jüngsten Zeit und bedauert, dass im sogenannten Kommunikationszeitalter ausgerechnet die Gesprächskultur sich ihrem (vorläufigen?) Ende zuzuneigen scheint. Aber was genau ist ein „Bopebistro“?

Die Wohnzimmerkombination eines landestypischen „Bopebistro“, ob im Dorf oder an der städtischen Straßenecke, besteht in der Regel aus einer holzvertäfelten, etwas schummrigen Wirtsstube, wo dem Eindringling, sofern er nicht zur knorrig-kauzigen Stammkundschaft zählt, erst einmal dieser unverwechselbare „Bopebistrosgeruch“ in die Nase steigt – so wie es Odysseus in der Höhle des Zyklopen Polyphem angemutet haben dürfte, oder einen „Künstler als junger Mann“ namens James Joyce in einem Dubliner Pub um die vorvergangene Jahrhundertwende.

Passend zu dieser Grundausstattung kommt eine Sitzbank aus Nussbaum hinzu, der Reklamespiegel eines einheimischen Zigarettenherstellers, gerne ein wenig oxydiert, eingerahmte Trinksprüche über verspieltes Vertrauen (Kein Kredit mehr!), Resopal-Tische und, wenn man Glück hat, eine singende Plastikforelle neben dem etwas piefig anmutenden Kasten des lokalen Sparvereins. Auf dem Weg zur Toilette, im schmalen Flur neben dem Treppenhaus: Eine mit Lackfarbe glänzend übermalte Rauhfasertapete, jägergrün oder
neapelgelb, darauf ein etwas staubiges Plakat der Lotterie Nationale aus der Zeichenwerkstatt des Raymond Mehlen sowie ein nach Wasser lechzender Philodendron, den ein barmherziger Samariter irgendwie in die Nähe eines Farbglasfensters und somit ins Licht gerückt hat.

Die seit ewigen Zeiten an einem Hüftleiden laborierende Wirtsfrau (die als Göre schon auf Batty Webers oder eben Marcel Reulands Schoß gesessen haben mag), bewegt sich schnaufend auf den Gast zu und fragt: „Wat däerf et sinn?“

Bistrots dieser Art sind Zeitkapseln, die in einer Übergangsepoche des „End of the World as we know it“ einen schweren Stand haben. Zumindest die journalistischen Beiträge im Buch lassen aber zaghaft durchblicken, dass es, so oder auch anderswie, trotzdem weitergehen könnte mit der Kultur der „Bopebistros“ – wenn man ihnen die doppelte Staatsbürgerschaft zugesteht und den „ethnischen Rahmen“ etwas erweitert. Ein Hoffnungsschimmer!

Auf der dem Buch hinzugefügten DVD werden Feldstudien betrieben: Serge Tonnar im Gespräch mit Wirtsleuten. Die Kamera rollt, es wird „gepotert“, schwarzhumorig und bisweilen recht flott. Wirtsfrau Lill, die unter der Theke gestapelte Fotoalben hervorkramt, mit den Schnappschüssen und Zeitungsnekrologien verblichener Kunden, rührt einem besonders das Herz. Da sind sie alle drauf und drin, die Bremer Stadtmusikanten aus der Welt der „Bopebistros“. Nun, in Schottland soll es einen Pub geben, wo man die Urnen der Stammkunden, sofern sie es wünschen, vor der Theke in einer Nische im Boden aufbewahrt. So weit sind wir hierzulande noch nicht!

Die „melancholische Wut“, von der Serge Tonnar in seinem Vorwort schreibt, ist also folgendermaßen zu verstehen: Je mehr sich das soziale Leben ins Netz zu verabschieden droht, desto engmaschiger erscheint das nach US-puritanischem Vorbild gestrickte Regelwerk ordnungspolitischer Bevormundungen und Verbote; je mehr die Kontroll- und Leistungsgesellschaft auf Verlangen des Kapitals die Handlungsspielräume einengt, Öffentlichkeit privatisiert und monitorisiert, Spielregeln flexibilisiert und dereguliert, desto härter schlagen Tugendterror, Gesundheitshysterie und Regulierungswahn anderswo zu – schließlich gilt es das Humankapital fit zu halten für das globale Unternehmen. Rauschakzeptanz und Laissez-faire wirken da eher störend. Und während wir mit Smartphone-Werbung regelrecht zugemüllt werden, unterstehen zwischenmenschliche Beziehungen fast ausschließlich den Diktaten von Ökonomie und Konsum.

Das alles hat wenig bis gar nichts mit dem Nostalgie-Effekt zu tun, den die Publikation aus dem Hause Saint-Paul sicherlich auch bedient. In einem gewissen Sinne ist das Buch nämlich ein politisches, zum Denken anregendes. Nicht ohne Grund lautet das Motto: „Net ëmmer heescht de Fortschrëtt, dass mer och virukommen.“ – Think about it! Bevor auf den Dörfern die Lichter ausgehen und nur noch die Bewegungsmelder in den Hauseinfahrten für Abwechslung sorgen.

„Bopebistro Buch“, erschienen bei den éditions St.Paul.


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