JULIAN PÖLSLER: Robinsonade mit Hund

Eine Literaturverfilmung ist immer eine heikle Sache. Zumal, wenn es sich bei ihrem Objekt um einen ziemlich verkopften Roman handelt, wie „Die Wand“ nun einmal einer ist. Regisseur Pölsler blieb nahe am Original – zu nahe, um der Geschichte ein kinematografisches Drehmoment zu geben.

Auch hinter der Wand bleiben die ehernen Gesetze der Natur in Kraft.

Marlen Haushofers Roman „Die Wand“ erschien bereits 1963, doch dauerte es ein paar Jahrzehnte, bis dieses Werk den literarischen Widerhall fand, den es eigentlich verdient hätte. Denn dieses ungewöhnliche, und von einer Kinderbuchautorin durchaus unerwartete, Buch ist beklemmend, spannend und irreführend zugleich. Bei der Lektüre mag man sich nicht so recht entscheiden, auf welches Element man sich konzentrieren sollte: auf die mysteriöse Wand, die die Protagonistin von der Welt abschneidet, den Überlebenskampf mit der Natur, den sie tagtäglich zu bestehen hat, oder den Bezug zu den Tieren und sich selbst, der zu ihrem Überlebensmantra wird?

Die Geschichte an sich ist schnell erzählt: Eine junge Frau, die namenlos bleibt, begibt sich mit ihrer Cousine und deren Mann in eine Jagdhütte, irgendwo im oberösterreichischen Wald. Den Grund des Aufenthalts kann man nur erahnen, man weiß nur, dass die Protagonistin sich erholen muss. Am Abend der Ankunft wollen die Cousine und ihr Mann noch einmal ins nahegelegene Dorf und lassen die Frau mit ihrem Hund Luchs allein. Am nächsten Morgen sind die beiden immer noch nicht zurück, und so macht sie sich auf den Weg ins Dorf, um sie zu suchen. Unterwegs geschieht dann das Unfassbare: Sie stößt auf eine ebenso unsichtbare wie undurchdringliche Wand. Und alle Menschen, die sie durch die Wand sehen kann, erscheinen ihr wie versteinert, als sei die Zeit bei ihnen stehengeblieben. Auf ihrer Seite der Wand geht die Zeit jedoch ihren normalen Gang. Die Protagonistin hat nicht viel Gelegenheit, an der absurden Tragik ihrer Situation zu verzweifeln. Sie muss Verantwortung übernehmen, für Luchs, den Hund, der ihr immer von neuem die Kraft gibt, weiterzumachen, für die Kuh Bella, die sich im Wald an sie anschließt, und für die Katzen, die sie adoptiert.

Und so beginnt sie das Leben einer modernen Eremitin, eines weiblichen Robinson, die sich der Wildheit der Natur stellt und erst einmal von sich selbst das Überleben erlernen muss. Zwar versucht sie anfangs immer wieder, Löcher in der Wand zu finden, aber die Sorge um ihre Tiere bringt sie immer wieder zurück in ihre Jagdhütte.

Einer der Hauptgründe, die gegen eine Verfilmung von Marlen Haushofers Roman sprechen, ist sicherlich das Fehlen einer Katharsis im Geschehen. Zwar hat das Ende des Romans einen positiven, hoffnungsvollen Akzent, doch der Huis Clos, in dem sich die Protagonistin befindet, bleibt eben so unaufgelöst wie sein Geheimnis unaufgeklärt. Ein anderer Grund ist die Dichte und Intensität von Haushofers Text, der nur sehr schwer auf die Leinwand zu übertragen ist. Zwar entschied sich Julian Pölsler – der das Projekt schon seit über 30 Jahren verfolgte – für eine Offstimme, die aus den Berichten der Frau vorliest und dabei ganz nah am Originaltext bleibt, doch dieses Stratagem will nicht so recht aufgehen. Und es hat den Nebeneffekt, dass die Hauptdarstellerin Martina Gedeck meist stumm wie ein Fisch durch die Kulissen geistert. Positiv anzumerken sind jedoch die sehr gelungenen Naturaufnahmen, die eindrucksvoll Haushofers minutiöse Beschreibungen in die Wirklichkeit umsetzen. Und auch die Arbeit mit den Tieren, die im Film wie im Buch im Mittelpunkt stehen, ist beeindruckend.

Aber all das macht „Die Wand“ immer noch nicht zu einem herausragenden Film, und man fragt sich, ob es überhaupt sinnvoll war, diesen Stoff für die Leinwand zu adaptieren. Denn schlussendlich ist dabei eher ein Hörspiel mit bewegten Bildern herausgekommen als ein abendfüllender Spielfilm.

Im Utopia.


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