VERBRECHEN DER WEHRMACHT: Der totale Krieg

Die Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht“, die zur Zeit in Esch zu besichtigen ist, beleuchtet die Frage ob die nationalsozialistische Wehrmacht eine „kriminelle Vereinigung“ war.

Als das „tausendjährige Reich“ nach zwölf zu langen Jahren am Boden, Deutschland in Scherben und Europa in Schutt und Asche lagen, installierten die Siegermächte des zweiten Weltkriegs in Nürnberg einen Strafgerichtshof. Auf der Anklagebank saß
die politische Elite der Nazis, sofern sie sich der Gerichtsbarkeit nicht durch Selbstmord entzogen hatte, führende Vertreter der Reichswirtschaft und die wichtigsten Angehörigen der Wehrmacht. Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel als Chef des
Oberkommandos der Wehrmacht etwa, der zusammen mit Generaloberst Alfred Jodl des „Wehrmachtführungsstabes“ schuldig gesprochen und zum Tode verurteilt wurde, da man ihnen die „Ausarbeitung oder Ausführung eines gemeinsamen Plans“ mit dem Ziel, Verbrechen
zu begehen, vorwarf.

Aus formaljuristischen Gründen verwarf das Richterkollegium damals den Antrag der Anklage, die Wehrmacht als „kriminelle und terroristische Vereinigung“ zu erklären, wie man mit Adolf Hitlers „Schutzstandarte“, der SS, verfahren war. Dennoch war
das Urteil eindeutig. Dem Gerichtshof, so heißt es in der Urteilsbegründung, „sei viel Beweisstoff über die Teilnahme dieser Offiziere an der Planung und Führung des Angriffskrieges und an der Begehung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die
Menschlichkeit vorgelegt worden.“

Die Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht – Dimensionen des Vernichtungskrieges“, die jetzt in Esch gezeigt wird, dokumentiert sechs Teilaspekte der Verwicklung der Wehrmacht in Hitlers „Krieg der Weltanschauungen“. Es sind der Völkermord an den
russischen, serbischen und griechischen Juden, die Behandlung von sowjetischen Kriegsgefangenen, der „Ernährungskrieg“ gegen die russische Zivilbevölkerung, Deportationen und der Krieg gegen mutmaßliche oder tatsächliche PartisanInnen mit seinen
Massenhinrichtungen und Repressalien, in der Sprache der Nazis „Bandenbekämpfung“ genannt.

Die bedingungslose Unterwerfung der Wehrmachthierarchie unter das Nazi-Regime hatte lange vor dem zweiten Weltkrieg begonnen. Der „Fahneneid“ von 1934 verpflichtet die Soldaten zu persönlichem, „unbedingten Gehorsam“ gegenüber Adolf Hitler. Wenig später
arbeiteten Offiziere der Wehrmacht interne Richtlinien zur Kriegsführung aus, die bewusst die damals geltende Kriegsrechtsordnung ausser Kraft setzten. Die „Aktion Barbarossa“ genannte Invasion Sowjetrusslands am 22. Juni 1941 ermöglichte die praktische
Umsetzung eines „totalen Krieges“, wie in den Dreißigerjahren General Erich Ludendorff die neue Kriegsführung nannte. Der so genannte „Kommissarbefehl“ sah zum Beispiel die Liquidierung von kommunistischen Kadern vor. Als ein Jahr nach dem Angriff auf
die Sowjetunion bewaffnete Aktionen von PartisanInnen zu einem ernsthaften Problem für die Wehrmacht wurde, ließ sich dieser Befehl auf die gesamte Zivilbevölkerung ausweiten. SS, Polizei und Wehrmacht gingen dazu über, ganze Landstriche in
„Wüstenzonen“ zu verwandeln. Allein in Weißrussland ermordeten die deutschen Besatzer über 300.000 ZivilistInnen. In Griechenland reagierte die Wehrmacht auf den bewaffneten Widerstand mit so genannten „Sühnemaßnahmen“: Für einen
getöteten Wehrmachtsoldaten sollten in der Regel 100 ZivilistInnen als Vergeltung hingerichtet werden. „Zwischen April 1941 und September 1944 ermordete allein die Wehrmacht in Griechenland mindestens 20 000 Zivilisten“, heißt es lapidar auf einer
Schautafel.

Der schnelle Vorstoß in Russland ließ Millionen von überraschten Sowjetsoldaten in die Hände der vorrückenden Wehrmacht fallen. Zur Unterbringung der Kriegsgefangenen fehlte es an allem: an Baracken, Ernährung und Medikamenten. Rund 3,2
Millionen sowjetischer Soldaten starben in deutscher Gefangenschaft. Das Massensterben hatte System: Russen galten auch in den Augen der auf Hitlers „Weltanschauungskampf“ eingeschworenen Wehrmachtsführung als „Untermenschen“, die es entweder
auszuradieren oder, falls erforderlich, als Arbeitssklaven einzusetzen galt.

Bei der Vernichtung der europäischen Juden war die Wehrmacht nicht nur für die Ghettoisierung und Erfassung der Juden verantwortlich. Verordnungen regelten bis in das letzte Detail die Zusammenarbeit zwischen Wehrmacht und „Einsatzgruppen“. Das am besten
dokumentierte Beispiel ist die Ermordung von 33.771 Juden und Jüdinnen in der Schlucht von Babi Jar bei Kiew im September 1941. Die Wehrmachtsbehörde trieb die Juden zusammen und führte sie zu ihrem Hinrichtungsort. Die Erschießungen überließ man freilich
der SS.

Die Ausstellung des „Hamburger Instituts für Sozialforschung“, die mit dem Mythos einer „sauberen Wehrmacht“ aufräumt, hat eine lange und wechselhafte Geschichte hinter sich. Sie wurde am 5. März 1995 in Hamburg eröffnet, und in den darauf folgenden
vier Jahren sahen sie 800.000 BesucherInnen in 33 deutschen und österreichischen Städten. Zu einem Skandal kam es 1997 im Münchener Stadtrat, als CSU-Abgeordnete und Rechtsradikale zusammen gegen die geplante Ausstellung protestierten, da sie Deutschtum
und Wehrmacht diffamiere. Anderenorts folgten den bösen Worten Taten: In Saarbrücken verübten Rechtsradikale einen Bombenanschlag auf die Ausstellung. Kritik kam aber auch von seriöser Seite. Neun der gezeigten Fotos stellten Opfer stalinistischer
Verbrechen dar, ließen sich Historiker vernehmen. Nach einer Expertise einer unabhängigen Untersuchungskommission wurde die Ausstellung neu konzipiert. Um dem Vorwurf einer Pauschalisierung entgegenzuwirken, zeigt ein Ausstellungsraum neuerdings die
„Handlungsspielräume“ von Wehrmachtangehörigen. In den Worten Jan Philipp Reemtsmas des Hamburger Instituts werden dabei sowohl „Handlungen des Widerstandes als auch (…) ein freiwilliges Übersoll an Mord und Vernichtung“ dargestellt. Die Kontroverse um
die Ausstellung findet sich ebenfalls im Ausstellungskatalog, der eine ernst zu nehmende historiografische Deutung der Geschichte des zweiten Weltkriegs vorschlägt.

Jhos Levy

Die Ausstellung ist noch bis Ende Januar 2003 im Centre national de Formation Professionnelle Continue
(22, rue Henri Koch) in Esch/Alzette zu besichtigen.

Ausstellungskatalog: Hamburger Institut für Sozialforschung: Verbrechen der Wehrmacht, 800 S., geb., 30 €, ISBN 3-930908-74-3


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