BERLINALE: Glamour vs. Filmkunst

Zum 64. Mal gingen in Berlin die Internationalen Filmfestspiele über die Bühne, doch tut sich die Berlinale immer noch schwer, in ihre Rolle als „Publikumsfestival“ hineinzufinden. Dieter Kosslick, seit über zehn Jahren Festivaldirektor, versucht, Hollywood-Feeling zu erzeugen, in dem er die großen Stars nach Berlin lockt. Für die eigentlichen filmischen Höhepunkte haben aber auch diesmal andere gesorgt.

Asiaten vor! Den Goldenen Bären gab es für „Bai Ri Yan Huo“ von Diao Yinan. (©Berlinale)

Schon Wochen, bevor das Festival begonnen hatte, kannte die Berichterstattung um die diesjährige Berlinale anscheinend nur einen Namen: George Clooney. Seine neueste Produktion, „The Monuments Men“, bei der er in Personalunion die Hauptrolle gespielt, Regie geführt und am Drehbuch mitgearbeitet hat, wurde praktischerweise im benachbarten Babelsberg und an anderen Orten in Brandenburg gedreht und lief im Wettbewerb außer Konkurrenz. Am Ende des Tages mag George Clooney zwar mit seiner Präsenz den Glam-Faktor des Festivals gesteigert haben, sein Film jedoch fiel bei den KritikerInnen gnadenlos durch. Zuviel Pathos, ein liebloser Umgang mit dem Stoff, flache Charakterzeichnungen – viel Lärm um nichts. Aber braucht die Berlinale denn überhaupt solche Blockbuster?

Der Charme der Berlinale liegt darin, dass in zehn Tagen mehr als 400 einzigartige Filme zu sehen sind. Ihr eklektisches Programm, in dem Filmgrößen sich mit Newcomern aus der ganzen Welt messen müssen, bietet sowohl für Filmkenner als auch für „Anfänger“, für Jung und Alt spannende Erlebnisse. Die Berlinale ist auch wegen ihrer Nähe zum Publikum eines der lebendigsten Filmfestivals – so konnten dieses Jahr rekordverdächtige 330.000 Tickets verkauft werden. Die Auswahl der Filme war allerdings besonders heterogen – ein roter Faden schien schwer erkennbar. Die deutschsprachigen Beiträge befassten sich z.B. mit so unterschiedlichen Themen wie Friedrich Schillers Liebesleben („Die geliebten Schwestern“), dem Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan („Zwischen Welten“) oder dem Alltag in einer österreichischen Flüchtlingssiedlung („Macondo“). Im grandiosen skandinavischen Beitrag „Kraftidioten“ unternahm Stellan Skarsgård einen Rachefeldzug gegen einen veganen Drogenboss; in „71“ geriet das Publikum zwischen die Fronten des nordirischen Bürgerkriegs. Es zeigten sich dennoch zwei Konstanten: Einmal fiel auf, dass in zahlreichen Filmen, Kinder und Jugendliche als TrägerInnen der Handlung auftraten (etwa in „Jack“, „Boyhood“, „Kreuzweg“ oder „La Tercera Orilla“). Die andere war die unübersehbar starke Präsenz des asiatischen Films, mit drei chinesischen und einem japanischen Beitrag. Der chinesische Filmmarkt ist bekanntlich dabei durchzustarten und stellt in puncto Produktivität bereits eine ernsthafte Konkurrenz zum US-amerikanischen Markt dar.

And the winner is …

Es ist daher nicht wirklich erstaunlich, dass der Hauptpreis, der „Goldene Bär“ für den besten Film, dem chinesischen Thriller „Bai Ri Yan Huo“ zuerkannt wurde, dessen Hauptdarsteller, Liao Fan, zugleich den „Silbernen Bären“ für den besten Darsteller gewann. In diesem packenden, und beeindruckend fotografierten Film mischen sich Elemente des Film Noir mit präzisen Beobachtungen der chinesischen Provinz. Der Silberne Bär für Zeng Jian, für die „herausragende künstlerische Leistung“ seiner Kameraarbeit in „Tui Na“, machte den Hattrick für die Volksrepublik komplett. Auch der Silberne Bär für die Beste Darstellerin geht nach Asien: Haru Kuroki begeisterte mit ihrer mitreißenden Darstellung eines Dienstmädchens im Japan der Zwischenkriegszeit in „Chiisai Ouchi“ Kritiker und Jury gleichermaßen.

Der Silberne Bär für das Beste Drehbuch ging an „Kreuzweg“. In vierzehn Tableaus – gemäß dem Kreuzweg Jesu – wird das tragische, aber selbstgewählte Schicksal eines jungen Mädchens (Lea van Acken), erzählt, das seinen Glauben zum Äußersten trägt. Dass der Beitrag von Film-Urgestein Alain Resnais „Aimer, boire et chanter“ ausgerechnet den Alfred-Bauer-Preis „für einen Spielfilm, der neue Perspektiven eröffnet“, gewonnen hat, mag den einen oder die andere überrascht haben, zeigte die Adaptation eines Theaterstücks von Alan Ayckbourn doch im wesentlichen ein biederes Kammerspiel, das einzig durch den Regieeinfall auffiel, die Handlung in Theaterkulissen spielen zu lassen.

Die hochkarätige Jury unter dem Vorsitz von James Schamus, der dieses Jahr u.a. Christoph Waltz, Greta Gerwig und Michel Gondry angehörten, gab sich aber Mühe, ein würdiges, wenn auch für die FachbesucherInnen überraschende Siegerliste zu erstellen. So zeigte die Presse sich sehr überrascht, dass zwei Filme „nur“ mit Silbernen Bären ausgezeichnet wurden. Wes Andersons „The Grand Budapest Hotel“ zählte zu einem der Höhepunkte der diesjährigen Festspiele: Seine Bildersprache ist einzigartig, seine Kamerafahrten atemberaubend, seine Geschichten faszinierend. Auch diesmal entführte Anderson sein Publikum in eine farbenfrohe Meta-Welt, in der sich eine ganze Riege von Stars die Klinke reichen. Immerhin konnte der Film den Großen Preis der Jury einheimsen. Eine noch größere Überraschung dürfte der Silberne Bär für die Beste Regie an Richard Linklater darstellen; lediglich ein Trostpreis, denn mit „Boyhood“ ist Linklater ein sensationelles Kunstwerk gelungen. Dabei wird „nur“ das Leben des jungen Mason (Ellar Coltrane) erzählt. Der Clou: der 170-Minuten-Film begleitet den Jungen und seine Familie (Patricia Arquette, Ethan Hawke, Lorelei Linklater) während zwölf Jahren durch die wichtigsten Stationen seiner Kindheit und Jugend. Gedreht wurde in diesen zwölf Jahren immer eine Woche pro Jahr, mit denselben DarstellerInnen, die somit buchstäblich in ihre Rollen hineinwachsen konnten.

Mehr als nur Wettbewerb

Der diesjährige Wettbewerb zeichnete sich nicht zuletzt dadurch aus, dass einige mit Spannung erwartete Highlights außer Konkurrenz liefen. So stellte Lars von Trier seine lange Version des ersten Teils von „Nymphomaniac“ vor, die 30 Minuten mehr umfasst als die gekürzte Kino-Variante. Es sei verraten, dass die Kürzungen dem Film nicht allzu viel genommen haben. Außer Konkurrenz liefen gleich zwei Studio Babelsberg-Produktionen: der bereits oben erwähnte, sehr enttäuschende Clooney-Schinken „The Monuments Men“ und eine spektakulär misslungene Märchenverfilmung, „La Belle et la Bête“ mit Léa Seydoux und Vincent Cassel. Es mag ja Sinn machen, dass der Filmstandort Babelsberg seine Kreationen im nahegelegenen Berlin zeigen möchte – und bei so hervorragenden Filmen wie Andersons „The Grand Budapest Hotel“, der ebenfalls in Potsdam und Umgebung gedreht wurde, ist eine Teilnahme im Wettbewerb natürlich berechtigt. Doch bei allem Verständnis für die Standortförderung wäre es der Qualitätserhaltung des Festivalwettbewerbs dienlich, künftig weniger überzeugende Beiträge in einer anderen Rubrik laufen zu lassen, wie etwa dem „Berlinale Special“, bei dem u.a. auch „American Hustle“ gezeigt wurde.

Die Berlinale bietet aber mehr als die im Wettbewerb konkurrierenden Filme – in den weiteren Rubriken Panorama, Forum und Generation lassen sich filmische Kleinodien entdecken, die leider viel zu selten den Weg in die Kinos finden. Diese Beiträge zeichnen sich meist dadurch aus, dass sie sowohl inhaltlich als auch formal experimenteller Natur sind und Sehgewohnheiten durchbrechen wollen. In einer dieser Sektionen lief die österreichisch-luxemburgische Koproduktion von Amour Fou, Elfi Mikeschs mitreißendes, autobiographisch inspiriertes „Fieber“, wahrscheinlich der persönlichste Film der renommierten Regisseurin und Kamerafrau. Er erzählt fiktional verfremdet die Geschichte ihres Vaters bzw. ihrer eigenen Kindheit. Franziska (Eva Matthes) begibt sich auf eine Reise nach Novi Sad, um den Erzählungen ihres Vaters (Martin Wuttke) näher zu kommen. Erinnerungen an den Vater wechseln sich in traumähnlichen Sequenzen mit surrealen Erlebnissen in der Jetzt-Zeit ab. Kenner der Luxemburger Schauspielszene freuten sich, u.a. Sascha Ley, Luc Feit und Nicole Max im Cast zu entdecken. Elfi Mikesch wurde übrigens dieses Jahr bei den TEDDY Awards – dem Filmpreis für LGBT-Filme im Berlinale-Programm – für ihr Lebenswerk ausgezeichnet.

Das Internationale bleibt also großgeschrieben bei den Berliner Filmfestspielen – und das ist auch gut so. Dass dem Westen immer noch so viel gehuldigt wird, vielleicht sogar unnötigerweise, mag dem Standort Berlin-Brandenburg helfen. Kosslick und sein Team sollten aber ihr Augenmerk auf den aufstrebenden asiatischen bzw. chinesischen Markt beibehalten. Denn in der Spannung zwischen Zensur und der Ambition, zum neuen Paradigma in der Filmbranche zu werden, entstehen dort die zurzeit aufregendsten Projekte.


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