In „Zwei Leben“ zeichnet Georg Maas auf, wie beide deutsche Diktaturen – die Nazis und die DDR – Kapital aus einem der perversesten Kriegsverbrechen aller Zeiten schlugen.
Der „Lebensborn“-Verein der national-sozialistischen SS ist eines jener faschistischen Projekte, die einen tiefen Einblick ermöglichen in den Wahn, mit dem die Nazis den Kontinent überzogen. Ging es in den Konzentrationslagern darum, „unwertes“ Leben zu vernichten, so war „Lebensborn“ genau das Gegenteil: Hier war das Heranzüchten der neuen arischen „Herrenrasse“ das Ziel der Operation, und für diesen Zweck war jedes Mittel recht. Kam es in einem besetzten Land zwischen Soldaten und dort ansässigen Frauen zur Zeugung von Kindern, so galten diese – zumal in den von den Nazis als „rassisch rein“ eingestuften Gebieten – als rassisch wertvoll. In Norwegen kamen schätzungsweise 11.000 solcher Kinder zur Welt, von denen 250 als „schützenwert“ eingestuft und dann in das Heim „Sonnenwiese“ in Sachsen überführt wurden. Nach dem Krieg wuchsen diese Kinder, von denen die meisten nicht wussten, dass sie norwegische Wurzeln hatten, in der DDR auf. So erging es auch Kathrin Evensen, die erst mit 18 Jahren von ihrer wahren Herkunft erfuhr.
Um ihre Mutter kennenzulernen, begeht sie „Republikflucht“, eines der Kapitalverbrechen in der DDR. Über Dänemark gelangt sie nach Norwegen, doch mit dem, was ihr dort widerfährt, kann sie unmöglich gerechnet haben: Auch der Stasi waren die „Lebensborn“-Kinder bekannt, spätestens, als mehrere von ihnen Ausreiseanträge nach Norwegen bewilligt bekamen. Und die Schnüffler erkannten eine einmalige Gelegenheit, auf besonders zynische Art Agenten im Westen zu platzieren …
„Zwei Leben“ ist mehr als die Geschichte vom Zerbrechen einer Frau, die ihre ganze Existenz mitsamt der ihrer Familie auf einer Lüge aufgebaut hat. Denn die „falsche“ Kathrin Evensen, eine gebrandmarkte Nachkriegswaise, die in einem Heim aufwuchs, wurde dort von der Stasi einer regelrechten Hirnwäsche unterzogen und zur Agentin – oder „Aufklärerin des Weltfriedens“ im DDR-Jargon – ausgebildet. Doch aus dem Lügengebilde wird mit der Zeit eine Realität, die ihr Liebe, Geborgenheit und eine eigene Familie beschert, lauter Dinge, die ihr bis dahin verwehrt geblieben waren.
Georg Maas‘ Film basiert – zum Teil – auf einer wahren Geschichte und hat den Vorteil, weder zu dramatisch zu sein noch zu polarisieren. So ist die Figur der Agentin, die sich in das Leben einer norwegischen Familie einnistet, so gehalten, dass der Zuschauer die ganze Palette ihrer komplexen Gefühlswelt empathisch nachempfinden kann. Auch die Aufbereitung und der Erzählrythmus des Films stimmen mit dem spannenden Stoff überein. Der Regisseur hat dabei – zumal mit der Hauptdarstellerin Juliane Köhler – auf ausgezeichnete Schauspieler gesetzt und auf ästhetisch wirkungsvolle, aber nie zu gefühlvolle Bilder. Das Pathos, das man bei einem Film, der gleich zwei deutsche Diktaturen in einer Fiktion verarbeitet, eigentlich erwartet hätte, fehlt gänzlich. „Zwei Leben“ gelingt es, das Menschliche im Unmenschlichen mit der Kamera einzufangen. Und der Regisseur scheut auch nicht davor zurück, den „Bösewichtern“ ein humanes Antlitz zu geben. In deutlichem Gegensatz zu Geschichtsfilmen à la „Der Untergang“ geht Georg Maas nicht auf eine künstliche – und respektvolle – Distanz zu den schwärzesten Kapiteln europäischer Geschichte, sondern ermöglicht es dem Publikum, ihr auf Augenhöhe zu begegnen.
Im Utopia.