KOHL IM BILD: Ein Bild und tausend Worte

Helmut Kohl durfte sich vergangene Woche endlich die schwulstigen Lobeshymnen einer Handvoll ausgelesener Statisten anhören und dabei in Selbstgefälligkeit schwelgen.

Totgesagte leben länger. Damit das so bleibt, lässt die Bundesrepublik seit ihrer Entstehung ihre verdienten Staatsoberhäupter für die Ahnengalerie im Kanzleramt porträtieren. Heuer war es an der Reihe eines weiteren Totgesagten, sich auf 130 mal 110 Zentimeter verewigen zu lassen. Die Einweihung des Helmut-Kohl-Porträts wäre an sich nicht mal der „Bild“-Zeitung eine Meldung wert gewesen, wenn nicht die Inszenierung verdächtig nach einem Rehabilitierungsversuch des seit der Spendenaffäre vollends diskreditierten Oggersheimer ausgesehen hätte.

Nun war Helmut Kohl bekanntlich nie lichtscheu gewesen. Aber spätestens seit er glücklos versucht hatte, seiner Partei in der letzten Bundestagswahl mit markanten Aussagen beizustehen – etwa dem Vergleich von Bundespräsident Thierse mit Reichspropagandaminister Goebbels -, musste er einsehen, dass er die politische Bühne allenfalls noch über den Lieferanteneingang erreichen würde. Wer jedoch dachte, der „birnenförmige Pfälzer Provinz-Generalist“ (Titanic) würde sich schmollend in Saumagen und Riesling Kabinett ergeben, sollte das Denken andern überlassen: „Ich müßte mein Leben umsonst gelebt haben, wenn ich mich jetzt in die Ecke setzen und sagen würde: Ich bin ein Oldtimer!“ (Hamburger Morgenpost) Sprach’s und tuckerte mit Volldampf in die Hauptstadt.

Dort werkelte er fortan mit der ihm eigenen Bauernschläue an seiner Denkmalsetzung. Als Porträtist musste ein „Ostmaler“ her; das war sich der „Kanzler der Einheit“ schließlich schuldig, und beauftragte flugs den Heisig-Schüler Albrecht Gehse, bekannt für seine expressiv-realistischen Porträts und wohl auch seine Gefügigkeit. Als Nächstes galt es, den passenden Rahmen ausfindig zu machen. Mit Unterstützung des Berliner CDU-Bonzen Christoph Stölzl und des Generaldirektors der Staatlichen Museen zu Berlin, Peter-Klaus Schuster, wurde dem nach später Genugtuung Heischenden Einlass in den heiligen Tempel der Neuen Nationalgalerie gewährt. Dort lief gerade – was für ein glücklicher Zufall – der Publikumsmagnet „Kunst in der DDR“, dessen implizite Zielsetzung ebenfalls eine Neubewertung war, nämlich die der ostdeutschen Praxis in den bleiernen Jahren. Dass ausgerechnet Gehse im Repertoire der hier zur Schau gestellten Ostler fehlte, lieferte dem „elder statesman“ das gewünschte Alibi, sich in einen symbolträchtigen Kontext einzunisten.

Autor, Hauptdarsteller und Regisseur zugleich, durfte der gewichtige Rentner sich vergangene Woche endlich die schwulstigen Lobeshymnen einer Handvoll ausgelesener Statisten anhören und dabei in Selbstgefälligkeit schwelgen. Die Wiedergutmachung schritt zünftig voran. Als erstes versuchte Parteifreund Stölzl ein ¬Bildnis des Kanzlers als Kulturfreund« zu zeichnen, und legte dabei eine Bauchlandung hin, die seiner gescheiterten Berliner Opernreform in nichts nachstand. Weil dieses vermeintliche Bildnis sich auf zwei schmierige Anekdoten beschränkt, wich der ansonsten redegewandte Schöngeist auf eine ästhetische Rehabilitation der Birne aus: „Mit Kohl, der in keines der zeitgenössischen Medienformate passt, haben die Bildermacher und Bilderbetrachter immer Schwierigkeiten gehabt.“ Weiter sprach er von der wohlbekannten „Ratlosigkeit der Zeitgenossen vor der ganz buchstäblich zu nehmenden Sprengung des Rahmens durch die physische Erscheinung Helmut Kohls“, eine Ratlosigkeit, die ihn wohl auch beim Schreiben jener Zeilen überfallen haben muss.

Wie anders ließe sich erklären, dass der gestandene Kulturhistoriker beim Anblick der „karolingischen Statur“ von Gefühlswallungen übermannt wurde: „Wen sehen wir vor uns? Ein Gesicht und Hände in den glühendsten Farben des menschlichen Fleisches, der menschlichen Haut. Rubens und Kokoschka haben so gemalt, wenn sie Leidenschaft, die heiße Flamme des Eros ins Bild setzen wollten.“ Mit quasi revisionistischem Trotz prophezeite er schließlich: „Später also wird zwischen der Wahrheit von Gehses Kohl und der allgemeinen Bewertung seiner Ära kein Unterschied mehr sein.“

Nur, wie sieht die Wahrheit von Gehses Kohl aus? Glaubt man dem Gastredner Christoph Tannert, Leiter des Künstlerhauses Bethanien, der den Werdegang des Sachsen malerisch erläuterte, dann „torkelt der Gefühlsüberschuss […] von rabenschwarzer Melancholie bis in höllische Revolten“. Oder: „Mal säuselt der Pinsel aquarellzart über den Grund, dann wieder sticht er durch Farbwogen.“ Von soviel Seemannsgarn sichtlich benommen, spielte der zum Vorzeige-Ossi der Berliner Kunstinstitutionen avancierende Tannert wagemutig auf die Speisegewohnheiten des Kostgängers an: „Schluss mit der Zeit, als Schmalhans in der Kunst Küchenmeister war. Nach dem After-Eight-Gefühl in den Videolounges und multimedialen Entwöhnungsprogrammen verlangt es die Genießer wieder nach deftiger Kost, zirzensisch umrahmt. Ein Kompott gegen die Sülze!“ Ob da wohl ein Jägermeister hilft?

Und was meinte der so heftig Gepriesene zu alldem? Gewohnt schnoddrig ließ der am Rednerpult verankerte Kanzler a.D. verlauten, er habe überhaupt keine Meinung zum Bild. An der Lieblosigkeit dieser und ähnlicher Bekundungen ließ sich seine ganze Geringschätzung einer Zunft erkennen, die letztlich höheren, sprich: Kohlschen Zwecken zu dienen hat. Zum Abschluss noch ein fettiger Seitenhieb auf den Nachfolger im Kanzleramt, dazu die ewige Reminiszenz an die Historie und seinen Freund „Fronzua Mitterong“, und schon durfte der „Cincinnatus vom Pfluge“ (Stölzl) den Applaus der von derart offen zur Schau getragenen Plumpheit und Arroganz Betörten entgegen nehmen. Ein süßlicher Pfälzer und Brezeln ohne Senf vollendeten die Bauernposse, eine gelungene Mischung aus Bonner Mief und Berliner Provinz.


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