Erziehung: Allein gegen alle

Ob Grund- oder Sekundarschule: Claude Meisch prescht vor und stellt alle anderen vor vollendete Tatsachen. Eine Politik, die nicht aufgehen kann.

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seinem Charme wohl widerstehen können? (Foto: Wikimedia)

Erziehungsminister zählen in der Regel nicht zu den beliebtesten Mitgliedern einer Regierung. Zu groß und zu vielfältig sind die Möglichkeiten, sich Feinde zu machen. Findet ein Vorstoß in der Erziehung bei einem der vielen Akteure der Schule Anerkennung, löst er bei anderen Unmut aus, und umgekehrt. Aber doch nur selten kommt es vor, dass ein Erziehungsminister es schafft, die Akteure des Schulwesens in ihrer Gesamtheit gegen sich aufzubringen. Claude Meisch hat dazu ein knappes Jahr gebraucht.

„Im Sekundarschulunterricht werden in Zukunft nur noch die Stunden bezahlt werden, die auch reell geleistet wurden“ verkündete Xavier Bettel in seiner Rede zum Budgetentwurf für 2015. Eine Aussage, die vor allem auf Lehrer von Abschlussklassen abzielte. Während das Schuljahr vom 15. September bis zum 15. Juli dauere, sei dies bei LehrerInnen von „Premières“ oder „Treizièmes“ anders, hieß es aus dem Erziehungsministerium: Da sei in aller Regel schon Mitte Mai Schluss. Die ab da nicht geleisteten Arbeitsstunden sollen also nicht mehr vergütet werden, oder – alternative Möglichkeit -, die betroffenen LehrerInnen sollen, über das Jahr verteilt, zusätzliche Stunden ableisten. 74 Posten von „Chargés de cours“ könnten durch diese Maßnahme eingespart werden.

Ein Sturm der Entrüstung brach daraufhin bei den Gewerkschaften los. Aussagen wie die von Bettel, die unterstellten, dass bisher Lehrer für nicht geleistete Arbeitsstunden bezahlt werden, seien eine Attacke seltener Art gegenüber einer Berufsgruppe, erklärte das Syndikat Erziehung und Gewerkschaft (SEW) später hierzu. Die SekundarschullehrerInnen hätten schon 2007 mit der Erhöhung der Arbeitszeit ihren Teil zur Sanierung der Staatsfinanzen beigetragen, so der SEW. Außerdem leisteten viele LehrerInnen regelmäßig sehr stark besteuerte und somit eigentlich unterbezahlte Überstunden.

Vor allem LehrerInnen aus spezialisierten Schulen wie dem LTPES oder dem LTPS, die Klassen ab 12e und damit verhältnismäßig viele Abschlussklassen betreuen, schlagen Alarm: Eine Maßnahme wie die von der Regierung vorgeschlagene würde sie besonders hart treffen und die Arbeitszeit radikal erhöhen.

Joker im Ärmel

Bei einem Treffen mit der Feduse (Fédération des universitaires au service de l’Etat) zeigte sich Claude Meisch jedoch hinsichtlich der Sparmaßnahmen unnachgiebig. Allerdings hatte er noch einen Joker im Ärmel: Im Gegenzug zu den Einschnitten sollten in Zukunft über das Jahr verteilte mündliche Prüfungen als Arbeitszeit gelten und die Vergütungen von Examenskorrekturen nach oben angepasst werden. Was der Minister als Ausgleich für die Kürzungen ankündigte, ging den SekundarschullehrerInnen aber nicht weit genug: Während durch mündliche Prüfungen im Durchschnitt 24 Arbeitsstunden im Jahr anfielen, würden die Ausgleichsmaßnahmen nur neun von diesen auffangen.

Am 7. November fand dann ein Treffen zwischen Meisch und einer Delegation des SEW statt, nach dem die Gewerkschaft harte Worte für den Minister fand: Der sei ausschließlich an Einsparungen interessiert, verfüge aber über keinerlei Kenntnisse der realen Situation auf dem „Terrain“. Vor allem die Vorgehensweise der Regierung, die ohne jegliche Rücksprache mit den Gewerkschaften Entscheidungen treffe, stieß auf Kritik. Auch bei den Maßnahmen im Grundschulbereich suche Meisch keineswegs den Dialog. Sein Treffen mit den Präsidenten der Schulkomitees diene einzig dem Zweck, die verschiedenen Akteure gegeneinander auszuspielen. Es sei noch zu früh, um über Änderungen in der Grundschule zu reden, habe der Erziehungsminister erklärt – drei Tage vor seiner Ankündigung, die Stundenpläne in der Grundschule vereinheitlichen zu wollen.

Boykott der Abschlussexamen?

Bei der Generalversammlung der Lehrerkomitees am 17. November wurde laut RTL-Informationen beschlossen, den eigenen Forderungen Nachdruck zu verleihen: Die Komitees von 24 Schulen lancierten einen Aufruf, die Abschlussexamen 2015 zu boykottieren. LehrerInnen, die für die Examenskommissionen, bei denen u.a. die Zuständigkeit für die Korrekturen der Examensarbeiten liegt, nominiert sind, werden aufgerufen, zurückzutreten, beziehungsweise die Nominierung abzulehnen. Eine Information, die noch nicht für die Presse bestimmt war: Aus Lehrerkreisen heißt es, die Lehrerkomitees wollten erst einmal abwarten, wie viele LehrerInnen sich gegebenenfalls an einer solchen Aktion beteiligen würden. Die Feduse habe ihre Unterstützung für einen Boykott bereits zugesichert, bei der Apess (Association des professeurs de l’enseignement secondaire et supérieur) halte man sich bisher zurück – und warte lieber die Reaktion der anderen Gewerkschaften ab.

„Junge Leute, um deren Zukunft es geht, in Geiselhaft zu nehmen, ist kein guter Stil“ reagierte Xavier Bettel am Mittwoch beim Regierungsbriefing auf die Drohung der Lehrerkomitees.

Anfang dieser Woche erfolgte dann die nächste Ankündigung des Erziehungsministers: Die Stundenpläne in der Grundschule sollen vereinheitlicht und abgeändert werden. 26 Schulstunden à 55 Minuten soll es, geht es nach Meisch, in Zukunft geben. Für Dienstag und Donnerstag ist eine Unterrichtsdauer von morgens acht bis mittags zehn nach zwölf, mit einer halben Stunde Pause, vorgesehen. Nachmittagsunterricht soll es am Montag und am Mittwoch geben – montags von 14 bis 17 Uhr, mit zehn Minuten Pause, mittwochs von 14 Uhr bis zehn vor vier, ohne Pause. Am Montag und am Mittwoch ist die letzte Unterrichtseinheit für eine vom Klassenlehrer abzuhaltende Hausaufgabenhilfe bestimmt.

Auch dieser Vorstoß stößt auf entschiedene Kritik. Der SEW rechnet vor, dass Grundschullehrer durch die Umstellung bei den Stundenplänen drei Stunden pro Woche mehr arbeiten müssen. Es verkürze sich zwar die vorgesehene Zeit für Beratungsgespräche („Concertation“) von anderthalb auf eine Stunde, zugleich aber bewirkten die Verlängerung von elf Unterrichtseinheiten um fünf Minuten, die Umwandlung des „Appui pédagogique“ in feste Unterrichtseinheiten und die Verdoppelung der Aufsichtsaufgaben eine Verlängerung der Gesamtarbeitszeit.

Eine Kritik, die Claude Meisch nicht gelten lässt. So erklärte er gegenüber RTL, der Arbeitsaufwand für die LehrerInnen werde sich nicht ändern. Eine Verlängerung der Arbeitszeit an einer Stelle werde durch eine Verringerung des Aufwands an anderer Stelle ausgeglichen. Es gehe vor allem darum, den schulischen Problemen der Kinder besser begegnen zu können.

Weitreichende Konsequenzen

Die Analyse des Erziehungsministers können die Gewerkschaften nicht nachvollziehen. Der SNE (Syndicat national des enseignants) kündigte an, sich mit „allen gewerkschaftlichen Mitteln“ gegen eine Erhöhung der Arbeitszeit zu wehren. Das Syndikat Gesundheit und Sozialwesen des OGBL schließt sich dem an: Ein neuer Stundenplan für die Grundschule hätte „weitreichende Konsequenzen für die außerschulischen Betreuungsstrukturen“, wie zum Beispiel „Änderungen in der Organisation und der Personaldotation“. Ob die Regierung auf diesem Weg Personalkosten in den Betreuungsstrukturen einsparen wolle, fragt sich das Syndikat. Vor allem aber wird wiederum die Dialogbereitschaft der Regierung in Frage gestellt: „Das Syndikat Gesundheit und Sozialwesen (…) bedauert, dass bei dieser Maßnahme erneut nicht mit der größten Vertretung der Beschäftigten im Sozialsektor gesprochen wurde.“

Jean-Claude Reding hieb anlässlich einer Pressekonferenz des OGBL in die gleiche Kerbe: „Wie sollen beispielsweise Maisons Relais sich jetzt organisieren? Was sind die Auswirkungen auf Sport- und Kulturvereine?“ fragte der OGBL-Präsident. „Es gibt ein Gremium, das ‚Conseil supérieur de l’Éducation nationale` heißt und in dem alle Akteure des Sektors vertreten sind“, erklärte er, „Dort sollten Reformpläne eigentlich diskutiert werden – es gab aber keine Diskussion dazu in dem Gremium!“

Bislang beschäftigte sich lediglich die Fapel mit den Auswirkungen der angestrebten Änderungen auf die Schüler: Ob es nicht sinnvoller sei, die Hausaufgabenhilfe samstags abzuhalten, fragt der Dachverband der Elternvereinigungen. Bei Kindern, die bis 17 Uhr in der Schule bleiben müssen, könnten leicht Konzentrations- und Lernschwierigkeiten entstehen.

In einem Punkt stimmen wohl alle Kritiker überein: Von der vor den Wahlen verkündeten Dialogbereitschaft und Transparenz der Regierung ist bisher herzlich wenig zu sehen. Statt im Gespräch mit allen Beteiligten Kompromisse zu möglichen Veränderungen zu suchen, werden Beschlüsse gefasst und dann den Betroffenen mitgeteilt. Wie lange es wohl noch dauert, bis sich alle Akteure ohne den Minister an einen Tisch setzen und eine gemeinsame Antwort auf dessen Null-Dialog-Politik formulieren?


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