Norbert Jacques, Erschaffer des Dr. Mabuse, personifiziert das Dilemma des Luxemburger Literaten zwischen der Enge der Heimat und der politischen Vereinnahmung durch Nazi-Deutschland.
Er gehört zur Kategorie der Nestbeschmutzer, die in Luxemburg meist mit der ungemein effizienten Waffe des Schweigens eliminiert werden: Norbert Jacques, der Erschaffer des „Dr. Mabuse“. Umso effizienter, als der 1880 geborene Jacques wahrscheinlich immer noch der im Ausland mit Abstand erfolgreichste Luxemburger Schriftsteller ist. Von den Verkaufszahlen seiner zahlreichen Exotikromane, Krimis und Reisereporte können zeitgenössische AutorInnen nur träumen.
Der Grund ist ein ernstzunehmender, wenn auch kein akzeptabler: Norbert Jacques positionierte sich sowohl im Ersten als auch im Zweiten Weltkrieg auf Seiten Deutschlands. Nicht gerade ein Vorzeige-Luxemburger also, doch die jahrzehntelange Nichtbeachtung durch die Literaturwissenschaft war wohl nicht nur ein Akt kultureller Resistenz. Sie ersparte Luxemburg eine Auseinandersetzung mit der Tatsache, dass das Konzept der nationalen Identität bis zum Zweiten Weltkrieg auf wackligen Füßen stand: Nicht nur Jacques zweifelte an der politischen Daseinsberechtigung des Kleinstaates, es gab in der Luxemburger Gesellschaft insgesamt recht starke germanophile, aber auch frankophile Strömungen. Umschifft wurde aber auch die Tatsache, dass es außer
Jacques eine Reihe Luxemburger Literaten gab, die sich entweder erst spät vom Nationalsozialismus distanzierten, oder die wie er zwischen Arrangement und Kollaboration lavierten.
Gerade deswegen gebührt dem Nationalen Literaturarchiv und der Saarländischen Universitäts- und Landesbibliothek das Verdienst, den „Fall Norbert Jacques“ einer breiteren Öffentlichkeit näherzubringen. In diesem Rahmen erschien soeben eine Neuauflage seiner Memoiren. „Mit Lust gelebt: Roman meines Lebens“ war nicht nur das letzte ernstzunehmende Werk Norbert Jacques‘, sondern bietet eine Fundgrube an Informationen über die deutsche und europäische Literaturszene der Zwischenkriegszeit. Der Band ist zudem reich illustriert und detailliert erläutert. Darüber hinaus – und das ist besonders für Luxemburg von Interesse – ist der Memoirenband die zwar äußerst subjektive, aber wertvolle Fallbeschreibung eines Exil-Luxemburgers, der schreibend versucht mit der alten und der neuen Heimat klarzukommen – und dabei scheitert.
Hafen Deutschland
Seine Flucht als 21-jähriger aus dem provinziellen Luxemburg nach Deutschland begründete Norbert Jacques 1908 in der Neuen Rundschau so: „‚Toteninsel‘ – es war eine Befreiung, als wir, noch Knaben dieses Wort für unsere kleine luxemburgische Heimat gefunden hatten. Wie konnten wir, Pubertätsrevolutionäre, in den eng gezerrten Grenzen ihrer Verhältnisse das Leid unserer jungen trüben Zeit überall eckig herumstoßen. Wie konnten wir schimpfen auf die kleinen Räume, und wie sehnsüchtig bauchte sich rundum und groß und frei die Welt! Wir saßen auf dieser kleinen Insel festgeankert, auf dieser Toteninsel.“
Schon in der Erzählung „Der Hafen“ von 1910 rechnete Jacques mit einer Luxemburger Gesellschaft ab, der Schriftstellerei als Beruf an sich schon suspekt erscheint und die seine Deutschland-Begeisterung ablehnt. Solche Töne, die sich mit ironischer Kritik an der Rolle von Kirche und Dynastie paarten, riefen eine heftige Polemik in der lokalen Presse hervor. Die späteren Versuche, seine Luxemburger Kulturszene zurückzuerobern, ernteten umso mehr Misstrauen, als sie sich mit Aktionen abwechselten, die auch Luxemburger Freunde vor den Kopf stoßen mussten, wie etwa seine Haltung im Ersten Weltkrieg. Er wurde zum konservativen Propaganda-Journalist und Spionage-Anwärter mit gefälschtem Pass – weswegen sich sogar das Luxemburger Parlament mit dem Fall befasste.
Doch Jacques Hin- und Herschwanken zwischen Heimatverbundenheit und heftiger Kritik ließ sich nicht auf ein Jugendphänomen reduzieren. Als die Naziherrschaft anbrach, tat er zwar alles, um die Emigration seiner jüdischen Frau und seiner beiden Töchter zu einem glücklichen Ende zu bringen. Doch er blieb in Deutschland – trotz der Verfolgung seiner jüdischen Bekannten, trotz brutaler Erfahrungen am eigenen Leib: Verbrennung bzw. Verbot einiger seiner Bücher, Repressalien, Verhaftung und kurzer Gefängnisaufenthalt. Fast nicht nachvollziehbar erscheint seine anschließende Bereitschaft, sich für das Reichspropagandaministerium einspannen zu lassen. Die Sorge um das finanzielle Überleben mag dabei sicher die Hauptrolle gespielt haben, aber auch der Glaube an das politische Überleben des Regimes. In diesem Kontext übertrat Jacques dann definitiv die Grenze zum literarischen Kollaborateur: Er begrüßte die Annexion Luxemburgs ans Reich, trat auch in Luxemburg bei Veranstaltungen der gleichgeschalteten „Gesellschaft für Literatur und Kunst“ zu Vorlesungen auf und ließ seine Erwägung, sich wieder in Luxemburg niederzulassen, von der gleichgeschalteten Presse ausschlachten. Der nach dem Ersten Weltkrieg noch löcherige Boykott Jacques‘ in Luxemburg wurde daraufhin nach dem Zweiten absolut.
„Kindliche Brasilianer“
Etwas schade ist es schon, dass im recht kurzen Nachwort zu den neu aufgelegten Memoiren die zuweilen sehr subjektiven Darstellungen Jacques‘ gerade über
den Luxemburg-Deutschlandkonflikt nur oberflächlich erörtert werden. Genügt es, Jacques‘ Arrangement mit dem Nazi-Regime als „persönliches Dilemma“ des „für Repressalien jetzt besonders Anfälligen“ zu bewerten? Germaine Goetzinger, Mitherausgeberin und Direktorin des Centre national de littérature, erklärt das mit einem Abwägen der „verschiedenen Interessen und Sichtweisen“, vor allem aber mit Platzmangel. Sie verweist auf die im Herbst auch in Luxemburg gezeigte Ausstellung, zu der das Buch den Katalog bildet, in der solche Aspekte stärker beleuchtet würden. Die Tatsache, dass Jacques ein Mitläufer gewesen sei, müsse beim Namen genannt werden, dürfe aber den Blick auf den Schriftsteller nicht versperren.
Dem definitiven Bruch Luxemburgs mit Norbert
Jacques entspricht in Deutschland das Verdrängen: Jahrzehntelang in der Literaturforschung kaum beachtet, taucht der Name eines der erfolgreichsten deutschen Exponenten von Reise- und Tropenliteratur erst wieder mit dem neu aufkommenden Interesse am literarischen Exotismus wieder auf. Vielleicht, weil auch die deutsche Kolonialpolitik Jacques‘ begeisterte Unterstützung fand – wenn er sich auch im Detail immer wieder kritisch über „Auswüchse“ vor allem der britischen und französischen Kolonialherren auslässt, oder die „Entzauberung“ der fremden Kulturen bedauert. Von den „kindlichen Brasilianern“ (1911) bis zu den afrikanischen Dienern mit ihren „guten, naturhaft klaren Tierschnauzen“ (1936), – Jacques bleibt einem „unerschütterlichen deutschen Überlegenheitsgefühl“ und einer „hierarchischen Völkerbetrachtung“ (Günter Scholdt in: „Der Fall Norbert Jacques“) verhaftet.
Der Hang zum Exotismus, der sich anfangs in Reiseberichten und in durchaus beachteten expressionistischen Erzählungen, später in flachen Abenteuerromanen äußert, reproduziert erneut das Hin- und Hergerissensein zwischen den Kulturen, das Jacques schon zwischen seiner Heimat Luxemburg und Wahlheimat Deutschland empfand: Wie Luxemburg die stets unerfüllte Sehnsucht nach Annahme und Anerkennung der Seinigen symbolisiert, so stellt die Fremde die ebenso unerfüllte Utopie eines „Aufgehens“ in einer zwar primitiveren aber freieren Welt dar.
Das Schwanken zwischen den Ausdrucksformen – exotischer versus Heimatroman, tiefschürfende Schiller-Biographie neben schablonenhaften Mabuse-Romanen – und sehr früh schon das Privilegieren von platten, aber einträglichen Auftragsarbeiten gegenüber künstlerischer Qualität, führten recht schnell zur Abwertung Jacques‘ in der literarischen Rezeption. Die Unbeständigkeit, die nicht nur
Jacques‘ Werk, sondern auch sein Wesen charakterisierte, und die ihm schließlich zum Verhängnis wird, beschreibt Scholdt so: „Er [Ù] wünscht sich (bäuerliche) Sesshaftigkeit und wird gleichzeitig von Reiselust und Fernweh geplagt, bricht aus der provinziellen Enge Luxemburgs aus und flüchtet sich in die ländliche Idylle des Bodensees.“
Norbert Jacques‘ Memoiren unter dem Titel „Mit Lust
gelebt: Roman meines Lebens“ sind im Rahmen der gleichnamigen Ausstellung, die vor kurzem in Saarbrücken zu sehen war, neu erschienen – in einer kommentierten Ausgabe von Hermann Gätje, Germaine Goetzinger,
Gast Mannes und Günter Scholdt. Vom 14.10.
bis um 18.12. wird das Centre national de Littérature die Ausstellung übernehmen.