In „Furcht und Wohlstand des Luxemburger Landes“ im Kasemattentheater haben Luxemburger AutorInnen ihre unterschiedliche Wahrnehmung der Migration verarbeitet. Ein buntes Kaleidoskop von Integration und Ausgrenzung.
Fremd ist immer der andere. Aber wer ist überhaupt der andere, in einem Land, in dem Menschen aus rund 168 Nationalitäten Tür an Tür leben? Mit einem Ausländeranteil von gut 45 Prozent liegt Luxemburg an der Spitze der EU-Mitgliedsstaaten. In der Hauptstadt sind sogar zwei Drittel der Einwohner keine Luxemburger. Täglich pendeln etwa 155.000 Grenzgänger aus Belgien, Deutschland und Frankreich ins Land. Werden sie als Konkurrenten auf dem Arbeitsmarkt wahrgenommen? Und wie ist der Blick der Luxemburger auf die hier eingewanderten portugiesischen Gastarbeiter? Oder auf die Menschen, die bereits Ende des 19. Jahrhunderts herkamen, um in der Stahlindustrie und später im Bausektor zu arbeiten. Gibt es heute überhaupt ein Zusammenleben, herrscht friedliche Koexistenz, oder ist das Verhältnis zwischen Luxemburgern und Ausländern nicht vielmehr von Misstrauen bestimmt? Und ist der Anspruch der Mehrheitsgesellschaft gegenüber Minderheiten, dass diese sich anzupassen haben, überhaupt gerechtfertigt? Das Ausländerwahlrecht spaltet die luxemburgische Gesellschaft und rückt die Frage nach Partizipation und Ausgrenzung im Vorfeld des Referendums in den Vordergrund.
Doch das für Luxemburg so charakteristische Phänomen der Migration ist nur selten auf der Bühne behandelt worden. Deshalb hat das Kasemattentheater nun bekannte Luxemburger Schriftsteller gebeten, ihre spezifische Sicht auf das Thema szenisch zu verarbeiten. Texte von Guy Helminger, Nico Helminger, Marc Limpach, Claudine Muno, Nathalie Ronvaux, Sandra Sacchetti, Elise Schmit und Ian de Toffoli sind so in „Furcht und Wohlstand des Luxemburger Landes“ eingeflossen und ergeben ein Gesamtbild, das so bunt und vielschichtig ist wie das Phänomen der Migration selbst.
Auf der Bühne wird Luxemburgisch, Französisch, Deutsch und Englisch gesprochen. Nur Portugiesisch, das man im Alltag überall hört, vermisst man. So trägt die Sprachenvielfalt im Stück der Vielfalt Luxemburgs Rechnung.
Vielschichtiges Gesamtbild
Kaum eine Kulisse könnte hier besser passen als die eines Schrebergartens mit Gartenzwergen – eine universelle Chiffre für Spießigkeit, die überall funktioniert. Diese künstliche Idylle wird im Stück durch „Fremde(s)“ durchbrochen. Der ausländische Asyl-Antragsteller, Arbeit- oder Wohnungssuchende prallt an den Mauern der Bürokratie ab. Er hat es mit bornierten Beamten zu tun, die akribisch ihre Akten sortieren; persönliche Schicksale werden auf einen Vorgang reduziert. „Sie tun uns Leid, Monsieur, aber es gibt Regeln …“, lautet die Abfuhr an den Bittsteller, bevor die Beamtin resolut die prall gefüllten Ordner zusammengeklappt. Denn die Erlaubnis, hier zu arbeiten und zu wohnen, ist an knallharte Bedingungen geknüpft, so die unmissverständliche Botschaft der Autorin Nathalie Ronvaux.
Einen nostalgischen Blick auf seine Familiengeschichte wirft Ian de Toffoli in seinem narrativen Beitrag. Zwei Figuren erinnern sich an die Ankunft ihrer Großeltern in Luxemburg und rekapitulieren erste Eindrücke und Erfahrungen. „An dem Tag, an dem mein italienischer Großvater sein erstes luxemburgisches Gehalt bekam, änderte sich schlagartig sein Leben. Von nun an aß er jeden Tag Fleisch, konnte seiner Frau eine Uhr schenken…“ De Toffoli gibt Erinnerungen wieder, durch seine Anekdoten werden die „Arbeitergeschichten“ seiner italienischen Vorfahren plastisch. Zugleich wirft seine Erzählung die Frage auf, ob frühere Generationen sich für die nachkommenden aufgeopfert haben.
Auf witzige Weise nähert Claudine Muno sich dem schwierigen Thema. In ihrer Erzählung begibt sie sich auf die Suche nach der Herkunft eines Fernsehers. Nach der langen Fahrt von Südkorea übers Meer ist das Gerät nun in Europa angekommen und erleidet hier eine Identitätskrise. „Ich fühl mich desorientiert“, tönt es aus dem Kasten. „Es war eine lange Reise übers Meer – beste Aussichten wurden uns versprochen – uns wurde gesagt, dass wir zu Leuten kommen, die uns wertschätzen, und stattdessen wurden wir nur zusammengepfercht.“ Raffiniert hat Muno die Doppeldeutigkeit in ihrem Text herausgearbeitet. Der Vergleich des Schicksals eines Fernsehgeräts mit den von mittelosen Migranten liegt auf der Hand.
Guy Helminger inszeniert in seinem Text dagegen ein Fußballspiel, in dem er den geballten Ressentiments der Luxemburger Prolls freien Lauf lässt. Beim Spiel (in der Minette?) geht es derbe zu, und die Vorurteile fliegen einem nur so um die Ohren.
So spiegelt sich der spezifische Zugang eines jeden Autors in den Texten wider. Man bemerkt zudem, dass die Autoren aus verschiedenen Disziplinen kommen, wie Regisseurin Carole Lorang erklärt. „Es ging uns darum, das Thema in seiner Vielfalt zu zeigen“, und natürlich habe man die meisten Texte noch kürzen müssen – wodurch die Aussagen aber auch zugespitzt worden seien. Es sei schwierig gewesen, einen roten Faden auszumachen, denn jedes Stück funktioniere für sich. Lorang hat dies dadurch gelöst, dass sie die Texte jeweils querlesen ließ. Hierbei wurden zuweilen Bezüge deutlich, die die Autoren dann in ihre eigenen Texte einflochten.
Luxembuger Sicht auf Migration
Die meisten Texte sind aus der Sicht von Luxemburgern geschrieben. Allein Marc Limpachs Beitrag nimmt die Sicht von außen ein. Leila Schaus spielt in der Szene eine überdrehte Amerikanerin, die sozusagen Integrationstipps gibt. Sie erklärt Ausländern Luxemburg. Die Ironie dürfte vor allem deswegen funktionieren, weil Schaus den Text fast atemlos vorträgt. Die Sätze sprudeln förmlich aus ihr heraus. „Luxemburg ist eines der Länder mit dem höchsten Pro-Kopf-Einkommen, aber über Geld spricht hier keiner“ erklärt sie etwa. Das Land ist noch immer katholisch geprägt, aber der Premier und der Vizepremier sind offen homosexuell. Der Vizepremier ist zwar Sozialist, fährt aber einen Rolls Royce“ benennt sie die Widersprüche. Und trotz aller Freundlichkeit blieben die Luxemburger dann doch am liebsten unter sich: „Ich war in meinem ganzen Leben noch nie so allein, wie in Luxemburg!“
Die Realität für viele Migranten ist aber eine andere: lange Fluchtwege, schickanierende Prozeduren und am Ende die Abschiebung in Länder, die die EU für sicher erklärt. Einen ungeschönten Blick darauf zeigt eine Szene, die die Abschiebung einer Kosovarin dokumentiert. Zwei Mädchen berichten in dem auf Zeugenberichten basierenden Text über die Abschiebung in den Kosovo. Die transkribierten Berichte konfrontieren einen mit der bitteren Realität von Asylbewerbern. So wird das Publikum eben nicht nur bespaßt, sondern auch mit einem Ausschnitt aus der Realität konfrontiert. Die Szene lebt von ihrer Authentizität, denn sie hätte sich – so wie sie erzählt wird – überall in den Asylunterkünften Luxemburgs zutragen können. In anderen Szenen hilft gerade die plakative Darstellung von Klischees, diese aufzubrechen. Gerade deshalb hat Lorang die Kulisse als Schrebergarten angelegt; dass in vielen Szenen Bier getrunken und gefrotzelt wird, trägt nur dazu bei, das Lokalkolorit noch zu verstärken. Durch die Vielfältigkeit der Autorenansätze wird außerdem klar, dass es die eine, gültige Sicht auf das Phänomen der Migration nicht gibt.
Letztlich tragen die Rollen, in die die Schauspieler schlüpfen, auch zu ihrer eigenen Reflexion über Migration und Fremdenfeindlichkeit bei. „Wenn man die Sprache erlernt, hat man schon eine Chance, sich zu integrieren, meint etwa Eugénie Anselin, und Leila Schaus gibt zu bedenken, dass die meisten Ausländer dann doch in ihrem Milieu bleiben und es weitgehend geschlossene Gesellschaften seien – auch die Luxemburger blieben ja unter sich. „Im Grunde genommen sind wir hier alle Ausländer“, bringt Raoul Schlechter die multikulturelle Realität Luxemburgs auf den Punkt.
„Rassimus hat primär etwas mit den sozialen Schichten zu tun und mit dem Wohlstand des Landes“, resümiert Regisseurin Lorang. Kommt es wieder zu einer Krise, wird sich der Rassimus wahrscheinlich verstärken.“ Und da die nächste Krise vor der Tür steht, bleibt nur zu hoffen, dass die szenisch kluge Reflexion über Migration von vielen wahrgenommen wird. Denn nicht nur bei den französischen Nachbarn gedeiht der Rechtsextremismus; in diesen Tagen kommt er aus der Mitte der Gesellschaft. Nur allzu deutlich macht das Theaterstück klar: Auch ein Zwergenstaat wie Luxemburg ist gegen Xenophobie nicht gefeit. In diesem Sinne kann das Stück auch als Warnung begriffen werden. Denn Toleranz war vielleicht schon gestern. Während Dornröschen schläft, regen sich die eifrigen Zwerge und verteidigen nach Kräften ihre Privilegien und ihren Wohlstand. Und dann?
Premiere am 17. März um 20 Uhr; Weitere Spieltermine: 20., 24., 26., 27. und 30. März um 20 Uhr im Kasemattentheater.