THEATER: Espresso mal 4

Kaffee, Zigaretten und Reisen mit dem Pappkoffer: Der Schauspieler Daniel Plier ist immer unterwegs – sogar wenn er still sitzt.

Schauspieler Dan Plier: „Ich möchte den Anderen möglich machen.“

Espresso N`1:

Aus dem ersten Film, den er sich jemals im Kino angesehen hat, blieb Daniel Plier vor allem ein Bild im Kopf:
Aldo Maccione führt seinen Freunden vor, wie man Mädchen am Strand bezirzt. Er lässt die Muskeln spielen und paradiert an den Schönheiten vorbei. „Immer wenn ich mir vorstelle, dass ich für eine Rolle Männchen machen müsste, dann denke ich an Aldo Maccione am Strand“, sagt der Schauspieler. Er könne das nicht, also lasse er es lieber gleich. Der Espresso wird serviert, den Keks verfüttert er an einen Hund, der den Gästen um die Beine schleicht.

Neben Daniel Plier scheint es, als würden sich alle Menschen in Zeitlupe bewegen. Er raucht Zigaretten schneller, als andere ihre Feuerzeuge zücken. Kaum zu glauben, dass er den John Merrick in der Maskénada-Produktion „Elephant Man“ so behäbig und bedacht spielen konnte, mit verzerrtem Mund und verkrümmten Körper – eine Pose, die allein beim Zuschauen Muskelkrämpfe verursachte. „Manchmal ist es schön, wenn eine Rolle einen Zwang auferlegt“, sagt Plier.

Im Theater ja, aber im „richtigen“ Leben ist der Schauspieler ein Ausbrecher. Während seine MitschülerInnen für das Abitur büffeln, schleicht er nachts durch die Straßen und rezitiert Baudelaire. „Das war meine depressive Phase“, grinst er und es scheint, als könne er sich im Nachhinein köstlich amüsieren über die Absurdität des Korsetts aus Konventionen, in das die Menschen immer wieder bereitwillig schlüpfen. Mit der Hoffnung, dass auf der Universität alles anders sei und StudentInnen als selbstständig denkende Wesen anerkannt würden, geht er nach Straßburg, um Französisch und Theaterwissenschaft zu studieren. Aber alles bleibt beim Alten. „Morgens musstest du im praktischen Teil versuchen, so frei wie möglich zu sein und mittags solltest du wieder die Schulbank drücken und brav notieren, was der Dozent erzählte.“ Bis zur „Licence“ hält er durch, dann fasst er einen Entschluss. „Ich hockte eines Abends über meinen Büchern und dachte, entweder du gehst jetzt durch diese Tür oder durchs Fenster.“ Er fährt zu einem Freund nach Brüssel. Der ist nicht da, Daniel Plier wartet die ganze Nacht, kommt dann zurück nach Luxemburg. Straßburg ist abgehakt. Als nächstes geht die Reise mit einem Pappkoffer nach Paris.

Espresso N`2:

„Ich habe mir heute neue Schuhe gekauft“, erklärt Daniel Plier. Das sei aufregend, denn mit neuen Schuhen gehe man ganz anders. Auch Theaterspielen ist ein wenig wie neue Schuhe einlaufen. „Manchmal fühlst du dich in einem Paar gerade wohl, du könntest noch meilenweit gehen und dann nimmt man dir sie wieder weg.“

In Paris begegnet er dem Theaterregisseur Pierre Debauche. Der hält es mit Caesar: „Lieber der Erste im Dorf, als der Zweite in der großen Stadt.“ Plier ist dabei, als sich Pierre Debauche mit seiner Truppe im Théâtre du Jour in Agen, im Lot-et-Garonne niederlässt. Dort wechselt der Spielplan jeden Monat, die Vorstellungen finden täglich statt. Die DarstellerInnen machen alles selbst, „von der Hauptrolle bis zum Toilettenputzen“. „Ich bin es gewöhnt mich selbst um meine Accessoires zu kümmern. Aber wenn ich in Trier spiele, gibt es plötzlich Leute, die bezahlt werden, um das zu tun“, wundert sich Daniel Plier. Obwohl er sich bei Pierre Debauche wohl fühlt, verspürt er den Wunsch nach einem Wechsel.

In Luxemburg wartet „Mäcbess“ auf ihn. Nachdem der Vorhang gefallen ist, „klunscht“ Plier vorerst in Luxemburg herum, kann bei seinen Eltern wohnen und spart so die Miete. Langsam trudeln die Angebote ein. Er spielt unter der Regie von Frédéric Frenay und Jean-Paul Maes. An Luxemburg stört ihn nur ein gewisses Schubladendenken. Allzu schnell ist man auf einen bestimmten Part festgelegt. „Et geet kee méi dru schrauwen“, sagt Plier.

Vielleicht ist das Theater in Luxemburg nicht so gut wie es sein könnte. Da die meisten Akteure semi-professionell arbeiten und oft auch noch einem „richtigen“ Beruf nachgehen, bleibt nicht genug Zeit zum Experimentieren. „Du musst Zeit haben, um Zeit verlieren zu können.“

Da es hier keine festen Truppen gibt, ist das Überleben für einen freien Schauspieler noch ein Drahtseilakt. „Es schmerzt am meisten, wenn man ein interessantes Projekt ablehnen muss, einfach weil das Angebot zu spät kommt und man bereits anderweitig verpflichtet ist.“ Nebenher wirkt Dan Plier auch mit bei einer Therapie für Aggressionsbewältigung. Als Schauspieler reizt er dort die TeilnehmerInnen bis aufs Blut. „Es ist interessant mit Menschen zusammenzuarbeiten, die eigentlich sich selbst spielen.“

Espresso N°3:

Dan Plier erzählt den Witz von einer Schauspielschülerin der Lee-Strasberg-Schule, die bei einem Seminar in
Mexiko die Stella aus „Endstation Sehnsucht“ spielen soll. Allein, sie findet keinen richtigen Zugang zu ihrer Rolle. „Stell dir einfach vor“, sagt der Regisseur, „du hättest eine unglaublich schöne Erfahrung gemacht.“ Wiederholte Versuche. Und dann plötzlich trifft sie den richtigen Ton. „Was hast du dir vorgestellt?“ fragt der Regisseur. „Letztes Jahr am Strand hatte ich ein Eis gegessen, und das war sehr schön. Dann aß ich noch eins und das war herrlich“, antwortet die Schauspielerin.

Kritiken nimmt sich Plier manchmal zu Herzen, aber eigentlich hat er nach der Aufführung ohnehin noch nicht die rechte Distanz. „Nach der Premiere geistere ich mit einem milden Lächeln durch die Menschen, irgendwie sind wir nicht im gleichen Raum.“ Am 2. Okotober feiert er mit Adel Hakims Monolog „Exécuteur 14“ unter der Regie von Frédéric Frenay im Escher Theater Premiere. Es geht um den Krieg und darum, wie sich ein Mensch durch diese Erfahrung verändert und wie er den ZuschauerInnen seine Entwicklung vermitteln kann. „Ich nehme sie an die Hand“, sagt er. Theater soll unterhalten, aber hat auch die Mission auf das Andere aufmerksam zu machen. „Ich möchte den Anderen möglich machen.“

Espresso N°4:

Daniel Plier würde gerne auch eigene Stück schreiben. Oder Regie führen. „Es gibt in jedem Stück, das ich spiele, immer wieder Fährten, die ich weiter verfolgen könnte.“ Die Zigarettenschachtel fällt herunter, er erwischt sie auf halbem Wege. Für Daniel Plier ist eine gute Darstellung vor allem eine Frage des Timings. Deshalb mag er Slapstick und auch Farcen. „Sie haben eine inhärente Logik.“ Er denkt dabei an Tex Avery. Die glubschäugigen Figuren mit den Gummi-Extremitäten, unbelehrbar und unverwüstlich. „Sou laang wéi’s de net mierks, dass de an der Loft stees, fälls de och net erof.“

„Exécuteur 14“ ist ein Monolog des ägyptischen Schauspielers, Autors und Regisseurs Adel Hakim. Der Erzähler findet sich inmitten des Konfliktes zwischen zwei verfeindeten Völkern wieder, den Adamiten und den Zeliten. „Si on est Zélite, les Adamites te tuent. Si on est Adamite, les Zélites te tuent.“ Die einzige Frage, die offen bleibt, ist die des Überlebens.

Inszenierung: Frédéric Frenay. Mit: Daniel Plier. Regieassistenz: Valérie Bodson. Dekor: Do Demuth. Licht: Karim Saoudi. Am 2., 7., 8., 9., 11. und 12. Oktober im Escher Theater.


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