MUSIK: Hausmusik

Ob Elektro aus dem Heimstudio oder Jamsessions
in der Garage – Marcel Wennmacher folgt dem Motto: Hauptsache, mensch tut was.

„Ich bin ein Klangmensch“ – der Musiker Marcel Wennmacher.

Er hat die zwanzig Titel, die es nicht auf seine Platte „plugged or not to be“ geschafft haben, sicherheitshalber von seiner Festplatte gelöscht. Damit er nicht doch noch in Versuchung kommt, wieder daran rumzubasteln. „Jetzt ist es wieder Zeit für etwas Neues“, sagt Marcel Wennmacher, hauptberuflicher Baumpfleger und Feierabend-Musiker aus Leidenschaft. Unter dem Pseudonym Phonopticum hat er sich fünf Jahre lang ganz allein an seinem Computer ausgetobt und nur neun Stücke für die Veröffentlichung ausgewählt. 500 Exemplare gibt es von „plugged or not to be“, viele davon hat Wennmacher verschenkt. Über Geld freut er sich, aber Feedback ist ihm noch lieber. „Für mich ist die Platte eigentlich bereits Vergangenheit.“

Die meisten Menschen proben irgendwann in ihrem Leben den Aufstand gegen die Konventionen. Der 39-Jährige versteht sich noch immer oder schon wieder als Aussteiger. „Ich war eine Zeit lang Teil des Systems“, sagt er. Als gelernter Elektrotechniker arbeitete er zunächst in einer Autowerkstatt, bevor er den Schritt aus der sozialen Absicherung heraus wagte. Von seiner Lehre ist ihm die Leidenschaft fürs Lampenbauen geblieben. Aber dafür hat er momentan aber kaum noch Zeit. Musik ist seine Priorität, und die Natur.

Auszeiten

Außerdem gibt es da auch noch den kleinen Sohn, um den er sich abwechselnd mit seiner Frau Malou kümmert. „Als ich Vater wurde“, sagt er, „war das erst einmal eine kalte Dusche.“ Er fühlte sich sozial isoliert, fand erst nach längerem Suchen seinen Platz in der neuen Familie. Das Musizieren wurde zur „Kellerarbeit“, spät abends, wenn der Kleine im Bett lag. Wennmacher möchte als Vater nicht der Buhmann sein, „deen no der Aarbecht granzeg heem kennt“. „Ich weiß nicht, ob mein Sohn später mein bester Freund wird, aber ich möchte, dass er das Gefühl hat, dass er zu mir kommen kann, wenn er ein Problem hat.“

Erst jetzt nimmt sich Wennmacher wieder Zeit, er telefoniert herum, um Freunde zum Jammen einzuladen. In die heimische Garage, die er sich zum Proberaum umfunktioniert hat. Das erlaubt ihm eine Auszeit von der einsiedlerischen Soundbastelei. Es geht ihm nicht um die Melodie, sondern um die Atmosphäre. „Ich bin ein Klangmensch.“ Die Stücke auf „plugged or not to be“ fließen ineinander: Percussion, sich hypnotisch im Kreis drehende Song-Fragmente, viel Synthesizer mit dem Didgeridoo als einzigem, nicht verfremdetem Instrument. „Yes I Do“ ist eine Art tribaler Tanz, auf „Cycle of Mine“ erinnert der monotone Gesang mit ökologischer Message stellenweise an Peter Gabriels letztes Opus.

Am Gelungensten ist „Es ist“, mit seinem wunderlichen Text („Aufrechte Gestalten betreten die Wiesen / Sie werden bebellt von dürren Hunden“). Das Stück ist
auch Wennmachers Favorit. „Christmas Tree“, eine Auseinandersetzung mit der Idealvorstellung einer Familienidylle, klingt wie System of a Down im Technogewand. Das musikalische Kleid ist manchmal ein wenig zu spärlich, besonders die Drummachine lässt das Ganze stellenweise eher kalt und mechanisch wirken.

Wennmachers Anspruch ist es, die Maschine immer weiter zu humanisieren, um die künstlichen Sounds auf das Wesentliche zu beschränken. Für mögliche spätere Liveperformances verfeinert er seine Beats so lange, bis die ZuhörerInnen eigentlich nur noch ein Geräusch wahrnehmen. Die Komposition als Kulisse. In Zukunft möchte er akustische Musik und Zutaten von der Festplatte so weit ineinander verweben, dass daraus ein einheitlicher Klangteppich entsteht. Oder besser gesagt, eine Soundlandschaft.

In der Luxemburger Musikszene vermisst er manchmal den Mut zum Minimalismus, zum Tiefgang. Er bewundert die Post-Rock Truppe Chief Mart’s, mit denen er schon einige Male auf der Bühne stand. Sonst pflegt er kaum Kontakte zur hiesigen Elektro-Szene, die von Steve Kaspar bis Sugrcane eigentlich ziemlich viel Abwechslung zu bieten hat. „Ich weiß gar nicht, wie ich da hineinpasse“, bemerkt er. Und es scheint ihn auch nicht wirklich zu kümmern.

Jahreszeiten

Wennmachers musikalische Vorbilder kommen vor allem aus Skandinavien. Jazz nur mit Perkussion, Stimme und vielleicht noch Kontrabass. „Das ist die richtige Musik für den Winter“, erklärt er, im Sommer greift er dann gerne auch mal zu House und härteren Tönen.

Er beschäftigt sich eingehend mit den Zyklen, so wie er sie in der Natur wahrnimmt. Nicht umsonst heißt ein Titel auf seiner Platte „La cinquième saison“. Er nimmt sich ein Beispiel an den Tieren, die in den kalten Monaten im Winterschlaf versinken. Auch er muss im Dezember und Januar eine berufliche Zwangspause einlegen. Sein Job als Baumpfleger erlaubt es ihm Freiräume zu schaffen, er kann davon leben, auch wenn große Sprünge nicht möglich sind. Von Karriere und Geldscheffeln mit seiner Musik träumt er nicht. Wenn es wirklich sein müsste, „dann würde ich eben auf Hochzeiten singen“. Denn ganz nebenbei studiert er auch noch klassischen Gesang. Musikunterricht nahm er erst mit 35, um sich ein paar Grundkenntnisse anzueignen, die er dann später vielleicht auch an den Sohn weitergeben möchte. Aber zu viel Theorie ist ungesund, „soss geet deng Musek futti.“

Wennmacher scheint fast schon ungewöhnlich ruhig, so als könnte ihn nichts erschüttern. „Man muss lernen loszulassen.“ Wenn der Computer abstürzt und die Arbeit von mehreren Wochen verloren geht – kein Grund zur Aufregung, vielleicht sollte es so sein.

Von seiner Warte aus wirft er einen äußerst kritischen Blick auf das hektische Treiben der Gesellschaft. In
seinen Texten geht es um Entfremdung, ökologischen Raubbau und den Umgang mit der Tradition. Er ärgert sich über das „Duck-dich-Prinzip“, das den SchülerInnen noch immer eingeimpft werde. Doch als Anarchist versteht er sich nicht. „Ich bin ein friedliebender Mensch.“ Seinem Sohn möchte Wennmacher eine „gesunde Autorität“ vermitteln – er hat gelernt, dass es nicht immer ratsam ist, im Dienst der Harmonie mit seinen Gefühlen hinter dem Berg zu halten.

Als er vor zehn Jahren anfing Musik zu machen, mit Belladonna in der „Zeltstad“ im Kulturjahr 1995, traute er sich kaum seine Meinung zu sagen. Aber mensch fühlt sich einfach besser, wenn er die Gewissheit hat, seinen Standpunkt verteidigt zu haben. „Et deet virun allem och manner wéi“, sagt er. Als wirklich gesprächig möchte er sich jedoch noch immer nicht bezeichnen. „Ich drücke mich eher durch meine Musik aus.“

Er weiß, dass seine Einstellung nicht für jeden verständlich ist. Immer wieder trifft er auf Menschen, die ihn für einen naiven Ökofritzen halten, aber das macht ihm wenig aus. „Von der Natur können wir sehr viel lernen“, meint er ernsthaft und zuckt die Schultern: „Aner Leit soen ‚du spenns‘, mee dat ass mir egal.“

Phonopticum, „plugged or not to be“, Chick’n’mo Productions, in den Plattenläden.


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