Schön anzusehen und weit weg, das zeichnet Utopien aus. Eine Zeitmaschine ermöglicht es, die besseren Welten aus der Nähe zu betrachten.
Was ist das Besondere an Zeitreisen? Anders gefragt: Sind nicht die meisten Science-Fiction-Geschichten Zeitreisen in dem Sinne, dass sie die LeserInnen in eine mehr oder weniger ferne Zukunft entführen? Doch wenn eine Zeitmaschine zur Verfügung steht, mit der man in die Zukunft und wieder zurück reisen kann, tun sich neue Möglichkeiten auf. Eine Romangestalt, die mit eigenen Augen gesehen hat, wie der Versuch, eine politische Utopie umzusetzen, in eine Sackgasse führt, wird bei ihrer Rückkehr versucht sein, der Geschichte ins Rad zu greifen. Erstaunlich, dass noch kein Verfasser der Figur Wladimir Iljitsch Lenin eine 50-Jahre-Zeitreise spendiert hat, um sie nach ihrer Rückkehr ins Jahr 1917 die kommunistische Partei auflösen zu lassen. Science-Fiction-AutorInnen sind eben eher an künftigen als an vergangenen Irrwegen interessiert.
Schon in der Novelle „The Time Machine“ von H. G. Wells befördert die Großmutter aller Zeitmaschinen ihren Erfinder in eine problematische Zukunftswelt. Keine Fabriken, kein Geld, keine Privatwohnungen mehr, aber die BewohnerInnen dieser Welt, ferne Nachkommen des Homo sapiens, sind schwächliche Wesen mit verkümmerten intellektuellen Fähigkeiten. „Kommunismus“, stellt die Hauptfigur fest – damals, 1895, noch eine verheißungsvolle und wenig erforschte Utopie. Die Menschheit hat sich die Erde untertan gemacht, hat Blut, Schweiß und Tränen ausgetilgt wie Krankheiten. Nun, im Jahre 802.701, verkümmert sie körperlich und geistig, weil alle ihre Bedürfnisse befriedigt sind, so der erste Eindruck des Zeitreisenden. Diese erschreckende Vorstellung wird im Laufe der Geschichte zwar relativiert. Doch die Erkenntnis, dass die dunklen Facetten der menschlichen Gesellschaft keineswegs verschwunden sind, sondern nur übertüncht wurden, hat nichts Erfreuliches.
Alles vorbestimmt?
Als die Zeitmaschine ihn nach London zurückgebracht hat, erzählt der Reisende seinen Freunden von der unerfreulichen Zukunft der Menschheit und worin er die Gründe dafür sieht. Er meint auch, die ersten Anzeichen für diese Entwicklungen in der Gesellschaft des ausgehenden 19. Jahrhunderts erkennen zu können. Doch eine Partei zur Verhinderung der falschen Menschheitsentwicklung gründet er nicht. Im Gegenteil, er beschließt, weiterzureisen, und ward nicht wiedergesehn.
In der klassischen Kurzgeschichte „By his Bootstraps“ von Robert Heinlein dagegen versucht die Hauptfigur Bob durchaus, Einfluss auf die Zukunft zu nehmen. Durch eine in der Luft hängende graue Scheibe – ein mechanisches Zeittor – gelangt er in eine ferne Zukunft und kehrt wieder zurück. Zwar ist Bob in erster Linie um sich selbst besorgt, doch in seiner Oberflächlichkeit, seiner Faszination für die Technik und seiner Lust an der Macht kann man eine Metapher der Schwächen unserer Spezies sehen. Bob erkennt nach und nach, dass er in eine Zeitschleife geraten ist. Doch in dem Maße, wie er versucht aus der Vorbestimmtheit der Geschichte auszubrechen, trägt er zu ihrem Fortgang bei. Am Ende zieht er sich, wie es der Titel suggeriert, an den eigenen Haaren – in den Sumpf.
Auch wenn sie in dieser Geschichte kunstvoll umgesetzt ist: Die Idee, dass am Ende doch alles vorbestimmt sei, hat etwas Bequemes. Andere AutorInnen spinnen die Möglichkeit aus, bei einem Zeitsprung rückwärts Einfluss auf die eigene Zukunft zu nehmen. In Gérard Kleins „Les seigneurs de la guerre“ gewinnt die Menschheit schrittweise die Kontrolle über die vierte Dimension. Corson, einziger Überlebender einer menschlichen Militäroperation gegen das Uria-Imperium, wird bei einem Unfall mehrere tausend Jahre in die Zukunft geschleudert. Er gelangt in die Stadt Dyoto, deren EinwohnerInnen bereits über die Fähigkeit verfügen, mehrere Minuten in die Zukunft zu blicken. Für sie ist es kein Problem, den herum fliegenden Raumgleitern auszuweichen, doch Corson muss höllisch aufpassen, um nicht überfahren zu werden.
Später kommt der Held der Geschichte in Kontakt mit Wesen, deren Kontrolle über die Zeit noch weiter fortgeschritten ist. Ihr Ziel ist es, vereinfacht dargestellt, rückwirkend die menschliche Geschichte von Katastrophen und Kriegen zu säubern. Corson wird in dem Roman das seine dazu beitragen. Dabei gilt es, vorsichtig vorzugehen, weil ein zu brutaler Eingriff in die Vergangenheit die Zeitzusammenhänge auseinander reißen könnte. Ganz verschwinden soll der Krieg allerdings nicht: Die Wesen der Zukunft haben eine Art Reservat geschaffen, den Planeten Aergistal, auf dem dauernd Krieg ist. Zum einen, um den Soldaten die Lust am Kämpfen zu nehmen. Zum anderen weil, wie es in dem Roman heißt, „der Krieg Teil des Lebens ist“. Und Utopien, das wusste schon H. G. Wells, müssen sich mit dem Leben arrangieren.