Bodenschutz: Auf wackligem Grund

von | 18.12.2025

Am 16. Dezember ist erstmals ein EU-Gesetz zur Überwachung der Bodenqualität in Kraft getreten. Sowohl die Artenvielfalt als auch landwirtschaftliche Betriebe hängen von der Gesundheit der Böden ab.

Bodenprofil in Luxemburg. Gesunde Böden sind für die Ernährungssicherheit, eine nachhaltige Landwirtschaft und die Anpassung an die Folgen der Klimakrise unverzichtbar. (Copyright: Ministère de l’Agriculture)

Guter Boden will Weile haben. Bis zu tausend Jahre braucht die Natur, um zwei Zentimeter Boden zu produzieren. Hunderttausende vergehen, bis einige Meter Boden entstehen. Diese bilden die Grundlage für 95 Prozent unserer Nahrung und sind beim Kampf gegen die Klimakrise unumgänglich. In weniger als ein paar Minuten können diese Schichten jedoch beschädigt werden. Im Gegensatz zu Wasser oder Luft stehen Böden in Luxemburg allerdings nicht unter Schutz – die Mehrheit der Bevölkerung würde dies laut einer 2021 vom Umweltministerium in Auftrag gegebene Umfrage befürworten.

Vergangene Versuche für ein Bodenschutzgesetz in Luxemburg sind bisher gescheitert, gesetzliche Bestimmungen fokussieren hierzulande nur einzelne Aspekte wie Raumplanung oder Abfall. Am Dienstag, dem 16. Dezember ist nun eine neue EU-Richtlinie in Kraft getreten, die den Bodenschutz fördern soll und den Weg für ein nationales Gesetz vorgibt. Das kommt genau rechtzeitig, denn der Druck auf Böden steigt. Einem jüngsten Bericht der Welternährungsorganisation (FAO) zufolge befinden sich mehr als zehn Prozent der globalen Landfläche in einem schlechten Zustand. In Europa sind mindestens 63 Prozent der Böden degradiert.

In Luxemburg beheimaten Böden rund ein Viertel der Artenvielfalt. Allein im obersten Kubikmeter der Erdoberfläche tummelt sich eine Vielzahl an winzigen Lebewesen wie Bakterien, Pilze, Würmer, Tausendfüßer und Käferlarven. Eine Studie der europäischen Umweltagentur (EEA) stufte 2024 das Risiko, diese zu verlieren, als „mittel bis hoch“ ein. „Die Bedeutung der Priorisierung der Bodengesundheit kann nicht hoch genug eingeschätzt werden“, so die Autor*innen der EU-weiten Studie.

Momentan arbeite die hiesige Umweltverwaltung an einer landesweiten Analyse der Luxemburger Böden. „Das Monitoring läuft noch bis 2027. Ein Bericht wird voraussichtlich im Laufe von 2028 veröffentlicht werden“, so eine Sprecherin des Umweltministeriums gegenüber der woxx. Die Böden seien hierzulande von sechs Degradationsprozessen betroffen: „Es handelt sich hierbei um die Erosion, den Verlust von organischem Kohlenstoff, die Verdichtung, den Rückgang von der Biodiversität, der Kontamination und der Artifizialisierung der Böden.“ Es mangele an Analysen, die Folgen auf die Bodenqualität seien deshalb „unterschiedlich gut zu bestimmen“, so das Ministerium.

Verschlechtern sich Böden, führt dies zu einem direkten Verlust dieser Artenvielfalt, aber auch zu geringeren Ernteerträgen, einer Verringerung der Luft- und Wasserqualität. Außerdem verschwinden die im Boden enthaltenden Minerale und Nährstoffe. Von den 18 essenziellen Mineralen, die Pflanzen zum Wachstum benötigen, liefern fruchtbare Böden ganze 15. Jetzt schon hat deren Degradation direkte Folgen auf die Ernährungssicherheit: Jährlich gibt es deswegen weltweit allein beim Weizen Ernteausfälle in Höhe von 3 Millionen Tonnen.

Sieht nach wenig aus, doch entspricht immerhin mehr als 21.700 Fußballfeldern: Rund sechs Prozent der Landesfläche waren 2018 laut einer Studie vom Energieministerium versiegelt. (Copyright: DATer 2021)

Gefährdetes Ökosystem

Versalzt, versauert, vertrocknet, kontaminiert, verdichtet und versiegelt: Die natürliche Wiederherstellung des Bodens kommt den Verschlechterungen nicht schnell genug hinterher. Der erhöhte Grundwasserverbrauch, die übermäßige Nutzung von Dünger und Pestiziden und die Versiegelung von Böden, etwa durch Asphalt oder Beton, setzt der Bodenqualität immer weiter zu. Zwischen 2007 und 2018 sind im Durchschnitt pro Tag rund 2.500 m² versiegelt worden, wie aus einer Studie vom Energieministerium von 2022 hervorgeht. 2018 waren etwa sechs Prozent der gesamten Fläche von 2.586 km² des Landes versiegelt. Das entspricht mehr als 21.700 Fußballfeldern. Der mögliche Impakt sei nicht zu unterschätzen, sagt der Bodenbiologe David Porco gegenüber der woxx: „Die biologische Aktivität der Böden wird dadurch unterbunden. Ohne diesen Funktionsablauf gehen die Leistungen verloren, die uns der Boden erbringt, wie beispielsweise der Abfluss von Regenwasser durch Versickerung“, so der Forscher des wissenschaftlichen Zentrums des Nationalen Museums für Naturgeschichte (MNHN).

„Ein gesunder Boden zeichnet sich durch einen hohen Gehalt an organischer Substanz aus, die etwa zur Hälfte aus Kohlenstoff besteht. Je höher dieser Anteil, desto fruchtbarer und ertragreicher ist der Boden“, schreibt die Plattform „Meng Landwirtschaft“ in ihrem „Plädoyer für eine gerechte und zukunftsfähige Agrarpolitik“. Hierzulande liege dieser Gehalt mit knapp 24 g/kg unter dem EU-Durchschnitt. Grund hierfür sei die starke Belastung durch intensive Düngung, was zu einer Anreicherung von Stickstoff und zu Ammoniakemissionen führen kann. Zusammen mit anderen Luftschadstoffen bilden sie etwa gesundheitsschädlichen Feinstaub und versauern Böden. Geht der pH-Wert im Boden zurück, kann sich dies auf die landwirtschaftliche Produktivität und die Artenvielfalt auswirken.

In Luxemburg sind laut der Asta (Administration des services techniques de l’agriculture) vor allem Flächen im Norden des Landes von Bodenversauerung betroffen. Stickstoff sickert ins Grundwasser und entweicht in die Atmosphäre. Dazu kommen die Folgen der Klimakrise, sagt Porco: „Hohe Temperaturen beschleunigen die Bodenzersetzung, was zu einer schnelleren Freisetzung von Kohlenstoffvorräten führt.“ Je trockener ein Boden, desto geringer ist seine Kapazität, Wasser und CO2 zu speichern. „Ist ein Boden gesund, kann er – je nach Zusammensetzung – bis zu 3.750 Tonnen Wasser pro Hektar speichern. Mit jedem Gramm, das der Boden an organischer Substanz verliert, kann er Schätzungen zufolge bis zu 10 Gramm Wasser weniger speichern“, so die deutsche „Heinrich-Böll-Stiftung“ in einem Bericht. Wüstenbildung könnte deshalb auch bald in Westeuropa ein Problem werden. Luxemburg verliere pro Hektar rund zwei Tonnen Boden durch von Wasser verursachte Erosion, heißt es in dem Papier. Europaweit sind es jährlich rund eine Milliarde Tonnen. Wie aus Angaben des Bodenlabors der Asta zu entnehmen ist, ist das Erosionsrisiko besonders im Süden des Großherzogtums hoch. „Die Hälfte der landwirtschaftlichen Flächen besteht aus Grünland und ist somit von einer permanenten Vegetationsdecke geschützt. Die Erosion wirkt sich auf ungeschützte oder gepflügte Böden aus“, erklärt Porco.

Solche Zahlen bildeten „nur einen Schnappschuss der dramatischen Situation der Böden in Europa“, warnte eine Gruppe von 51 Umweltschutz-NGOs, die sich Mitte Oktober in einem offenen Brief an die Abgeordnete des europäischen Parlaments wendeten: „Viele dieser Prozesse, insbesondere wenn sie das Bodenleben betreffen, sind für uns unsichtbar und werden nicht ausreichend überwacht.“

Zweiter Anlauf

In ihrem Brief forderten die NGOs, unter denen sich auch luxemburgische Organisationen wie „Natur & Ëmwelt“ befinden, eine ambitiöse Umsetzung des Gesetzesentwurfes zum Schutz der Böden, den die EU-Kommission im Sommer 2023 vorgestellt hatte. Es handelte sich nicht um den ersten Versuch: Schon 2006 schlug die EU-Kommission einen ersten Gesetzestext vor, um die weitere Degradation der Böden zu verhindern. Doch im EU-Rat konnten sich die Mitgliedstaaten nicht einigen, es blockierten Deutschland und Frankreich. 2014 wurde der Text zurückgezogen. Luxemburg fuhr auf eigene Faust fort, aber nicht sehr erfolgreich: 2018 stellte die damalige Umweltministerin Carole Dieschbourg einen Entwurf für ein nationales Bodenschutzgesetz vor (woxx 1461, „Bodenschutz: 12.000 Altlasten“). Auch dieser wurde auf Eis gelegt, die Regierung wolle lieber auf eine EU-Direktive warten, wie Dieschbourgs Nachfolgerin Joëlle Welfring dem Online-Magazin Journal sagte. Zwar hatte die EU-Kommission wenige Jahre darauf ihre erste Bodenstrategie präsentiert. Auf einen neuen EU-Gesetzesentwurf wartete Luxemburg jedoch bis 2023. Das auch vergeblich, denn ein Gesetz zum Bodenschutz ist das neue „Soil Monitoring Law“ schlussendlich nicht.

Statt auf dem Schutz und der Wiederherstellung der Böden, liegt der Schwerpunkt der Richtlinie auf deren „Überwachung und Bewertung“, also der Erfassung von Daten. EU-Mitgliedstaaten sollen in den nächsten Jahren die Bodengesundheit und Schadstoffe wie Pestizide und PFAS klassifizieren und kontaminierte Standorte identifizieren. Dank einer EU-weiten einheitlichen Datenbasis sollen die Daten zwischen den Ländern vergleichbar sein. Zudem sollen Regierungen da, wo der Boden verschmutzt ist, eingreifen und mitunter Landwirt*innen besser beim Bodenschutz unterstützen.

Von den EU-Abgeordneten stimmten 341 für das Gesetz. Grüne und linke Politiker*innen zeigten sich erleichtert, bildet die Abstimmung für ein solch „grünes“ Gesetz doch einen der wenigen Erfolge für den Umweltschutz auf EU-Ebene in letzter Zeit. „Die Datenerhebung wird für die künftige Boden- und Umweltpolitik von entscheidender Bedeutung sein, und ich bin zuversichtlich, dass wir in Zukunft auf diesem Rahmen aufbauen können“, reagierte etwa der deutsche „Die Linke“-Abgeordnete Martin Günther. Bei vielen Umweltschutz-NGOs und einigen Landwirtschaftsverbänden fiel die Freude allerdings gemäßigter aus. „Es wurden weitreichende Kompromisse eingegangen, die den Anwendungsbereich der Richtlinie einschränken“, so das in Brüssel basierte NGO Pesticide Action Network (Pan Europe).

Die Bodendegradation im europäischen Vergleich. Die Böden seien hierzulande von insgesamt sechs Degradationsprozessen betroffen, darunter Erosionen und Verschmutzungen, gibt eine Sprecherin des Umweltministeriums gegenüber der woxx an. (Copyright: EUSO, European Environment Agency, 2024)

Bedenken an Gesetz

Was einen gesunden Boden ausmacht und wie genau ein verschmutzter Standort zu sanieren ist, darf jedes Land nämlich selbst entscheiden. Keine der vorgesehenen Maßnahmen sind rechtlich verpflichtend, auch nicht das festgelegte Ziel von gesunden Böden, das laut Text bis 2050 erreicht werden soll. Während der Verhandlungen wurden zudem Maßnahmen zur nachhaltigen Bodenbewirtschaftung und zur Verringerung des Flächenverbrauchs gestrichen. Forderungen, beispielsweise vonseiten des deutschen Umweltbundesamtes, zu Entschädigungsverpflichtungen, Reduktionszielen für Neuversiegelung oder der Einrichtung von Schutzgebieten wurden ignoriert. Landwirt*innen und Agrarkonzerne, deren Lobbygruppen wie Copa-Cogeca starken Druck gegen den Entwurf machten, werden nicht in die Pflicht genommen. „Das ist fatal: Es ist in unser aller Interesse, gesunde Böden zu erhalten und Degradation zu minimieren”, kritisierte die Böll-Stiftung den schwachen Text. „Pestizide und andere Bodenverschmutzungen sollten nicht nur gründlich überwacht, sondern dringend und ambitioniert reduziert werden. Angesichts des ernsten Zustands unserer Böden ist das Fehlen von Ambitionen in dem Abkommen erschreckend“, bemängelte auch Pan Europe in einer Mitteilung.

Es ist zu bezweifeln, dass die Mehrheit von rechtskonservativen und neoliberalen Politiker*innen im EU-Parlament eine Richtlinie zum Schutz der Böden akzeptiert hätte. Wie schon vor mehreren Jahren stellten sich auch dieses Mal vor allem deutsche Abgeordnete aus der EVP-Fraktion gegen das Bodengesetz. Gerade eben weil die Richtlinie den Fokus auf die Überwachung setzte, statt auf verpflichtende Vorschriften für Industrie und Landwirtschaft, konnte das Gesetz wohl verabschiedet werden. Von den luxemburgischen Abgeordneten stimmte nur Fernand Kartheiser (ADR) dagegen.

Vor allem visiert die Richtlinie mit der Bestandsaufnahme der Bodengesundheit die großen Wissenslücken, die europaweit und auch in Luxemburg bestehen. Das Gesetz sei deshalb „trotz seines offensichtlichen Mangels an Ambitionen von entscheidender Bedeutung“, reagierten weitere Umweltschutz-NGOs. Einzelne Messungen erfassen nur einen Bruchteil der Lage. Ein umfassendes und EU-weites Überwachungsprogramm sei demnach „lange überfällig“, so Pan Europe. Wer mehr über den Zustand der Böden wisse, könne sie auch später besser schützen.

Nachhaltige Bewirtschaftung nötig

Ist die Nutzung von Pestiziden und Düngemitteln in der Landwirtschaft neben bestimmten Industrieaktivitäten und der Versiegelung von Flächen an der Degradation der Böden mit verantwortlich, tragen viele landwirtschaftliche Betriebe aber auch zum Schutz der Böden bei. Eine Studie, die die Universität Louvain 2020 gemeinsam mit der Landwirtschaftsverwaltung Asta durchgeführt hat, analysierte verschiedene umweltfreundliche Landwirtschaftspraktiken und deren Auswirkung auf den Gehalt von organischem Kohlenstoff. Dieser ist ein wichtiger Indikator für einen gesunden Boden. Das Ergebnis: Felder mit reduzierter Bodenbearbeitung und Grünland wiesen einen höheren Kohlenstoffgehalt auf. Der „Erhalt von Dauergrünland spielt in diesem Zusammenhang eine zentrale Rolle für den Klimaschutz, da über diese Flächen in Luxemburg erhebliche Mengen Kohlenstoff entweder gebunden oder – je nach Bewirtschaftungsweise freigesetzt werden“, erklärt auch „Meng Landwirtschaft in ihrem Plädoyer. Darüber hinaus bietet diese permanente Bodenbedeckung Schutz vor Bodenerosion, von der andere Arten der landwirtschaftlichen Bodennutzung wie Ackerbau und Weinbau betroffen sind.

In anderen Ländern, etwa in Frankreich, verbreitet sich der Einsatz von Dauerdeckpflanzen, in die verschiedene Kulturpflanzen direkt ausgesät werden. „Es ist ein dauerhafter Schutz vor Erosion und ermöglicht, ein gewisses Maß an Bodenfunktionalität aufrechtzuerhalten, insbesondere im Hinblick auf die Bindung und Erhaltung von Kohlenstoffvorräten“, sagt der Biologe Porco. „Diese Deckfrüchte umfassen häufig Hülsenfrüchte, die in Verbindung mit stickstofffixierenden Bakterien eine Grunddüngung ermöglichen, wodurch weniger Düngemittel eingesetzt werden müssen, aber auch die Rückhaltung von Substanzen wie Pestiziden und Mineraldüngern verbessert wird“, so der Experte. Obwohl sie auch die Grundwasserqualität und die finanziellen Erträge der landwirtschaftlichen Betriebe in diesem Land verbessern könnten, würden sie in Luxemburg noch nicht eingesetzt.

Laut Berichten der Vereinten Nationen könnte eine nachhaltige Nutzung der Böden weltweit bis zu 58 Prozent mehr Nahrung produzieren. Dies ist etwas mehr als der Nahrungsmittelbedarf der Menschheit im Jahr 2050 laut einem neuen FAO-Bericht. Projekte zur Verringerung des Flächenverbrauchs wie das 2.000 m²-große Projekt „Weltacker“ in Kockelscheuer weisen den Weg (woxx 1801: „Agriculture durable : 2.000 m² pour manger“). Ob sich die EU-Mitgliedstaaten für den Schutz der Böden noch einige Jahrzehnte Zeit lassen oder ihrem natürlichen Wiederherstellungsprozess schneller unter die Arme greifen wollen, wird sich bei der Umsetzung der EU-Richtlinie in nationale Gesetze zeigen. Dafür haben die EU-Länder bis Ende 2028 Zeit. 2031 sollen die ersten Berichte der Mitgliedstaaten zur Gesundheit der Böden vorliegen. Auf Nachfrage der woxx, ob die Regierung die Direktive ambitiöser umsetzen würde, etwa mit verpflichtenden Zielen, so wie es Umweltschutz-NGOs fordern, gab eine Sprecherin des Umweltministerium an, die Umsetzung werde gemäß der Richtlinie erfolgen. Immerhin: Das Ziel eines nationalen „adäquaten Kaders zum Schutz unserer Böden“ verfolge das Ministerium weiterhin.

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