Alan Balls Dramedy „Uncle Frank“ zerlegt Identitäten und stellt die Tragweite verinnerlichter Homofeindlichkeit dar. Ein starker Film mit pappsüßem Ende.
Ende der 1960er-Jahre sitzt Frank (Paul Bettany) mit verwegenem Haar, schlichter Lesebrille und Polohemd im Wintergarten seiner Eltern in South Carolina. Er ist Literaturprofessor in New York, wohin ihm seine Nichte Beth (Sophia Lillis) wenige Jahre später folgt. Beth und Frank grenzen sich von ihren konservativen Verwandten ab, die sich voller Respekt um den Patriarchen Daddy Mac (Stephen Root) scharen. Die Dramedy des Regisseurs Alan Ball (unter anderem beteiligt an „American Beauty“, „Six Feet Under“) nimmt ihren Lauf als Daddy Mac unerwartet stirbt.
Zu dem Zeitpunkt weiß Beth um Franks Beziehung zu Wally (Peter Macdissi). Beth, die die Hand über ihren Onkel hält, hat mit dessen Homosexualität kein Problem. Frank kämpft hingegen schon sein ganzes Leben gegen Homofeindlichkeit und Schuldgefühle an. Daran ist nicht zuletzt sein Vater Daddy Mac schuld.
Ball schickt Beth, Frank und Wally auf einen Roadtrip von New York nach South Carolina. Zwischen Motels und Wäldern tun sich Franks Abgründe auf. Die alten Wunden platzen mit jedem Kilometer, den die drei der Trauergemeinschaft näher kommen, weiter auf: Erinnerungen an einen sonnigen Nachmittag am See, an nackte Körper unter der Bettdecke in einem Jugendzimmer und an die vernichtenden Worte von Daddy Mac kommen hoch. Frank erhielt als Jugendlicher Morddrohungen von seinem Vater, der seine sexuelle Orientierung als Perversion verstand. Er schreit ihm seinen Hass über den Tod hinweg ins Gesicht. Ball erzählt in Rückblenden von den fatalen Folgen von Daddy Macs Homofeindlichkeit.
Der Regisseur verknüpft dieses Thema mit weiteren wichtigen Aspekten, die das Leben marginalisierter Personengruppen ausmachen. Wally stammt aus Saudi-Arabien. Er flüchtete aus Angst vor Enthauptung aufgrund seiner Homosexualität nach Amerika. Beth, die man in South Carolina Betty ruft, darf die Etikette nicht verletzen: Als Frau wird sie mit sexistischen Flirtversuchen und Anstandsregeln konfrontiert, die sie schlagfertig abwehrt. Frank empfiehlt ihr mehrmals Gustave Flauberts Madame Bovary – hoffentlich mit einer Lesehilfe, die Emma Bovary vom Stigma der hysterischen, unzufriedenen Ehefrau und ihren Gatten Charles aus der Opferrolle befreit.
Balls Spiel mit der Selbst- und Fremdwahrnehmung der Charaktere sorgt für Tränen und für Lacher. Ihre Identität – auch die der Verwandten aus dem Südstaat – verändert sich mit den Orten, an denen sie sich befinden, und durch die Begegnung mit ihrem Gegenüber. Das ist interessant, bis Ball auf die Tränendrüse drückt und nicht mehr damit aufhört. Er romantisiert in dem Zuge toxische Beziehungen, wie die zwischen Wally und Frank. Besonders Wally, der den Selbsthass hinter Franks Beleidigungen und seinen Faustschlägen erkennt, leidet unter der Beziehung. Wallys Aufopferung und Hingabe wird als Liebe und Loyalität verkauft, statt hinterfragt.
Die „Erlösung“ am Ende, von der die Filmkritikerin Susan Vahabzadeh in ihrer Rezension über den Film in der Süddeutschen Zeitung schreibt, ist am Ende nur dann gegeben, wenn man Franks Leben von außen betrachtet. Frank findet in der Rolle des Onkels, in jener des Sohnes und des Bruders, ein Stück weit Frieden. Als homosexueller Mann bleibt er jedoch der Außenseiter und mit lästigen Vorurteilen behaftet, die er lächelnd hinnimmt. Erlösung und ein glückliches Ende sehen anders aus, auch wenn Ball das Publikum glauben lassen will, dass vor dem Abspann jede*r zur richtigen Zeit am richtigen Ort zusammensitzt.