Ausstellung „Babel heureuse?”: Raus aus der eigenen Sprachbubble

Sprachenreichtum – manchmal ein Hindernis, vor allem aber eine Chance. Die Ausstellung „Babel heureuse?“ bespiegelt das Thema der Vielsprachigkeit in all seinen Facetten.

Der Turm zu Babel wird erbaut. Das aus dem Umfeld von Lukas van Valckenborch stammende Ölgemälde entstand ungefähr 1620. (© GrandPalaisRmn, photo Jean-Gilles Berizzi)

„Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“, sagte der Philosoph Ludwig Wittgenstein. Als multidimensionale Kommunikationsvehikel sind Sprachen Brücken, die Menschen über die Trennungslinien von Nationalstaaten hinweg miteinander verbinden und eine Verständigung ermöglichen. Mithilfe von Sprachen können aber zum Zwecke der Abschottung oder der Herstellung ungleicher Machtverhältnisse Mauern errichtet werden, man denke zum Beispiel an das kommunistische System unter Josef Stalin, in dem einerseits die dominante russische Sprache gefördert, andererseits ethnische Minderheitensprachen zurückgedrängt wurden.

Man muss natürlich nicht auf ein solches historisches Beispiel zurückgreifen, um zu verdeutlichen, dass Sprache und Politik eng verzahnt sind und es zu delikaten Situationen kommt, wenn in Ländern oder Kulturräumen gleich mehrere Sprachen aufeinandertreffen und es zwischen ebendiesen Sprachen Statusunterschiede gibt. Die Vorherrschaft einer oder mehrerer Unterrichtssprache(n) kann zum Beispiel dazu führen, dass Schüler*innen mit unzureichenden Sprachkenntnissen benachteiligt werden (Stichwort Sprachbarriere), während ihre sprachlich versierten Mitschüler*innen bessere Chancen auf einen erfolgreichen Bildungsweg haben – ein Problem, das für das mehrsprachige, vornehmlich zwischen Deutsch und Französisch mäandernde Luxemburger Bildungssystem eine zentrale Herausforderung darstellt.

Babylonische Sprachverwirrung

Doch mitnichten ist Vielsprachigkeit per se ein Problem, vielmehr ist sie als Chance zu begreifen – das ist der Gedanke, der als Basso continuo die gesamte Ausstellung „Babel heureuse? Plus d’une langue“ im Lëtzebuerg City Museum durchzieht. Die Schau sei ein Plädoyer für Sprachendiversität, unterstreicht Kurator Gilles Genot gegenüber der woxx. Denn dort, wo mehrere Sprachen koexistierten, berührten und durchmischten sich auch unterschiedliche Denkweisen. „Sofern keine Sprache unterdrückt wird“, ergänzt der Historiker. Ein Punkt, der sich schon in dem mit einem Fragezeichen versehenen Titel der Schau widerspiegelt. Denn was braucht es tatsächlich für die Entstehung eines glücklichen Babels? Wie können sich Menschen, die unterschiedliche Sprachen sprechen, verstehen und auf Augenhöhe begegnen?

„Babel heureuse?“ ist eine durchaus auch philosophische Perspektiven mit einbeziehende Ausstellung, die Kunst und Geschichte gleichermaßen abdeckt. Auf historische Marksteine wie zum Beispiel die erste Simultanübersetzung, die während der Nürnberger Prozesse durchgeführt wurde, wird genauso ein Schlaglicht geworfen wie auf technische Erfindungen – unter anderem die als „mechanisches Gehirn“ bekannte elektromechanische Übersetzungsmaschine, die vom Ingenieur Georges Artsrouni in den 1930er-Jahren erfunden wurde und als Vorläuferin der KI gilt.

Wurde Eva aus der Rippe Adams erschaffen oder wurde sie ihm nur an seine Seite gestellt? Auf dieser Keramikschale (um 1600) ist der Schöpfungsmythos so dargestellt, wie er aufgrund einer Übersetzung allgemein verstanden wird. (© Musée d’art et d’histoire, Ville de Genève, B. Jacot-Descombes)

Die Ausstellung transzendiert den kulturellen Kontext Luxemburgs, konzentriert sich weder auf die hiesige Mehrsprachigkeit noch auf die Entwicklung der luxemburgischen Sprache. Vielmehr umschließt sie – was den geografischen Raum angeht – mehr oder weniger den gesamten Globus, spricht zum Beispiel vom Austausch, der sich ab dem späten 17. Jahrhundert zwischen dem Westen und China etablierte. Ausgestellt wird auch eine Nachbildung des berühmten „Stein von Rosetta“, das archäologische Artefakt, mithilfe dessen die Hieroglyphen entziffert wurden. In der Zeit wagt die Schau den Blick weit zurück, beleuchtet zwei biblische Erzählungen, die sich in ihrer Sicht auf Vielsprachigkeit diametral gegenüberstehen: der Turmbau zu Babel und die Herabkunft des Heiligen Geistes auf die Jünger Jesu, auf der das Pfingstfest beruht. Im ersten Fall wird der Sprachenreichtum als Strafe Gottes für die Hybris der Menschen begriffen – die Entstehung vieler Sprachen zerreißt die menschliche Gemeinschaft auf unwiderrufliche Weise. Im zweiten Fall werden die Apostel vom Heiligen Geist erfüllt und beginnen in verschiedenen Sprachen zu reden, oder genauer: Jede*r Zuhörer*in hört die Worte, die sie sprechen, in seiner*ihrer Sprache. In diesem Sinne wird hier die Möglichkeit einer Einheit trotz sprachlicher Vielfalt in Aussicht gestellt.

Von einer Sprache in die andere

Im Lëtzebuerg City Museum erfährt man mehr über Sprichwörter, die sich von Sprache zu Sprache unterscheiden, und die historische Herabsetzung derer, die man nicht verstand und deswegen mit dem lautmalerischen Wort „Barbar“ bedachte. Darüber hinaus werden zwei Sprachsysteme vorgestellt, die für eine Erleichterung der internationalen Kommunikation sorgen sollten, nämlich die vereinfachte Form des Englischen, genannt „Globish“, sowie die neu konstruierte Sprache „Esperanto“. Weder die eine noch die andere konnte sich letzten Endes als universelles Kommunikationsmittel durchsetzen.

Ein Schwerpunkt von „Babel heureuse?“ liegt auf der kniffligen Kunst des Übersetzens. Dass wir heutzutage zum Beispiel denken, nach der biblischen Schöpfungsgeschichte sei Eva aus einer Rippe Adams entstanden, hat damit zu tun, dass der entsprechende Satz in der Bibel auf bestimmte Weise übersetzt wurde – diese Entscheidung hatte erhebliche, bis in die Gegenwart reichende Konsequenzen für die religiös geprägte und gesellschaftlich etablierte Sicht auf Frauen.

(© GrandPalaisRmn, photo Gerard Blot)

Interessanterweise geht die Schau auch konkret auf die Übersetzung von Gedichten ein – die wohl schwierigste Ausprägung der sprachlichen Übertragungskunst. Als Beispiel wird Edgar Allan Poes berühmtester lyrischer Text „The Raven“ genannt – ein Poem, das in über 40 Sprachen übersetzt wurde, unter anderem durch Lex Roth ins Luxemburgische. Gleichzeitig gilt das Gedicht als eigentlich unübersetzbar. Damit gesellt es sich zu anderen kanonisierten Texten wie „Daddy“ von Sylvia Plath, das ebenso gut die Wand eines der Museumsräume hätte schmücken können.

Welche Bedingungen zur Genese eines glücklichen Babels erfüllt werden müssen, verrät „Babel heureuse?“ den Besucher*innen am Ende nicht. Die Ausstellung positioniert sich jedoch klar zum Thema der Sprachvielfalt, die sie trotz des Risikos fehlschlagender Kommunikation vor allem als Quelle gedanklicher Flexibilität und Kreativität begreift. Interkulturelle Verständigung, Integration und Zusammenhalt fußen auf einem regen sprachlichen Austausch, der die Gesprächspartner*innen dazu veranlasst, eine gemeinsame Basis zu finden. So können Grenzen – die Grenzen der einzelnen Sprache, die Grenzen der einzelnen, individuellen Welt – langsam erweitert oder aufgehoben werden.

Die Ausstellung „Babel heureuse? Plus d’une langue“ läuft noch bis zum 13. Juli 2025 im Lëtzebuerg City Museum. Alle Informationen finden Sie auf: www.citymuseum.lu.

 


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