
Was bedeutet Mannsein? Um diese Frage dreht sich die Ausstellung „Les vrais hommes“. (Foto: Chris Lauer/woxx)
Im Rainbow Center kann man zurzeit die Ausstellung „Les vrais hommes“ besichtigen. Eine Schau, die wichtige Themenbereiche ausspart und vor allem offene Türen einrennt.
Härte, Aggressivität, Konkurrenzdenken – männliche Rollenbilder sind nach wie vor von stereotypen Vorstellungen geprägt, die Männlichkeit mit emotionaler Kälte und Dominanz assoziativ verketten. Darunter leiden nicht nur nicht-männliche Personen, sondern auch Männer selbst. Sie sterben deutlich häufiger an Suizid, Herzkreislauferkrankungen und risikobereitem Verhalten als Frauen, auch weil sie deutlich weniger dazu bereit sind, sich ärztliche oder psychotherapeutische Unterstützung zu holen.
Trotz dieser Tatsachen, die verdeutlichen, dass es Zeit wird, endlich mit rückschrittlichen Geschlechterklischees aufzuräumen, wird antiemanzipatorisches Gedankengut zurzeit besonders in Internetforen und über soziale Netzwerke propagiert. Durch Pick-Up-Artists, Incels und „Manfluencer“ wie Andrew Tate fanden Konzepte wie das des „Alpha-Mannes“ (ein selbstbewusster, tatkräftiger und körperlich fitter Anführer als männliches Idealbild) starke Verbreitung – mit besonders schwerwiegenden Folgen für junge Männer, die in Zeiten gesellschaftlichen Wandels verstärkt nach fixen Vorbildern suchen (siehe woxx 1846: „Patriarchale Männlichkeit: Jung, männlich, toxisch?“).
Mit ihrer Ausstellung „Les vrais hommes“, die man bis Anfang November besichtigen kann, versucht die Vereinigung „InfoMann“, ein Schlaglicht auf diese schädlichen Männlichkeitsstereotype zu werfen. „InfoMann“, deren Sitz sich in Hollerich befindet, bietet unter anderem soziale und psychologische Beratungen für Männer an, die von partnerschaftlicher oder familiärer Gewalt betroffen oder selbst gewaltbereit sind – dies ausgehend vom Leitgedanken der als Ziel zu verfolgenden Geschlechtergerechtigkeit.
Enormer Leistungsdruck
Die Ausstellung besteht aus insgesamt vierzehn Schautafeln, auf denen jeweils ein männerspezifisches Geschlechtervorurteil in drei Sprachen aufgeführt wird. Komplementiert wird die Aussage durch eine einprägsame Illustration im Comicstil, die das Absurde und Gefährliche der Behauptung unterstreicht. Auf einer Tafel kann man zum Beispiel lesen: „E richtige Mann opfert sech fir seng Aarbecht“ (zu Deutsch: „Ein richtiger Mann opfert sich für seine Arbeit auf“). Während im Vordergrund des Bildes ein Mann pfeifend den Boden wischt, ist hinter ihm ein menschliches Skelett zu sehen, das an einem mit Dokumenten vollgepackten Schreibtisch sitzt.

Dass auch Männer unter Geschlechterklischees leiden, macht die Schau deutlich. (Foto: Chris Lauer/woxx)
Viele der Statements, um die die Ausstellung kreist, spielen auf den hohen Leistungsdruck an, dem Männer ausgesetzt sind, ob dieser nun ihre finanzielle Situation, ihre Körperkraft oder ihren an den Beruf gekoppelten sozialen Status betrifft. Der ebenfalls an Rollenklischees gebundene Performancedruck, dem Männer in ihrem Intimleben ausgesetzt sind, wird dabei jedoch ausgeklammert – eine der Schautafeln spielt lediglich auf das Phänomen der „Compulsory heterosexuality“ (zu Deutsch: Zwangsheterosexualität) an, das heißt die Tatsache, dass die Gesellschaft Heterosexualität noch immer als erwünschte Norm voraussetzt. So wird allgemein angenommen und erwartet, dass „richtige Männer“ auf „große Melonen stehen“ – wie es in der Ausstellung salopp formuliert wird –, sich also von Frauen mit ausgeprägten sekundären Geschlechtsmerkmalen angezogen fühlen.
Auf die eingangs erwähnten negativen Auswirkungen von Social Media spielt eine Tafel indirekt an, indem das Thema durch die bildliche Gestaltung vermittelt wird, während der Text einen anderen Punkt berücksichtigt: „E richtege Mann ass vun Natur aus gewalttäteg“ („Ein richtiger Mann ist von Natur aus gewalttätig“) steht hier. Das dazugehörige Bild zeigt ein Baby, das einen Mann nachahmt, der in einem Handyvideo einen anderen Mann drangsaliert.
Was nicht zur Sprache kommt
Was weder auf dieser Tafel noch auf einer anderen thematisiert wird, ist aber der digital virulent gewordene antifeministische Diskurs, der – das zeigt die neulich im Luxemburger Wort publizierte Streitschrift von Gérard Schockmel – immer weitere Kreise zieht. Eine Ausstellung, die einen klaren Aufklärungsgedanken verfolgt und um toxische Männlichkeit kreist, hätte unbedingt auf die Gefahren eines Frauen schadenden, gesellschaftlichen Rollbacks aufmerksam machen müssen. Die Ausklammerung dieser Bedrohung ist ein eklatantes Versäumnis, das in starkem Kontrast zur pädagogischen Zielsetzung von „Les vrais hommes“ steht; dieser fast paradox anmutende Gegensatz wird leider zu keinem Moment aufgelöst.
Hinzu kommt, dass der Inhalt mancher Tafeln tatsächlich verwundert. So ist auf einer vermerkt: „E richtege Mann behandelt dech ëmmer mat Res- pekt“ („Ein richtiger Mann behandelt dich immer mit Respekt“). Die direkte Nebeneinanderstellung von schädlichen Glaubenssätzen wie jenem, dass ein richtiger Mann „sich nicht um sich kümmert“, und die für ein demokratisches Miteinander nötige Haltung, anderen Menschen respektvoll zu begegnen, wirkt unpassend. Die irritierende Divergenz zwischen diesen entgegengesetzten, von der Ausstellung in den Fokus gerückten Aussagen bleibt ihrerseits ebenfalls bis zuletzt bestehen.
Auch eine andere Tafel fällt ins Auge. „E richtege Mann opfert sech fir säi Kand“ (übersetzt: „Ein richtiger Mann opfert sich für sein Kind auf“) ist hier zu lesen. Obgleich Väter sicherlich Druck hinsichtlich der Kindererziehung und Sorgearbeit verspüren, fällt dieser jedoch bei Weitem geringer aus als der, dem Mütter nach wie vor ausgesetzt sind. Die aktuellsten verfügbaren Zahlen auf der Website des Ministeriums für Gleichstellung und Diversität aus dem Jahr 2016 besagen, dass während Männer sich rund acht Stunden pro Woche um den Haushalt kümmern, Frauen doppelt so lange in zur Reproduktionsarbeit gehörende Haushaltsarbeiten investieren. Traditionell wird von Männern erwartet, eine gewisse Härte und Strenge an den Tag zu legen; Väter, die sich liebevoll um ihre Kinder kümmern, müssen sich daher mitunter den Vorwurf gefallen lassen, „nicht männlich genug zu sein“. Nach wie vor ist die aufs Materielle beschränkte Versorgerrolle eine prägende Dimension von Vaterschaft, ein Thema, das die Ausstellung anschaulich aufgreift.
Zuletzt noch eine Anmerkung, die das Setting von „Les vrais hommes“ betrifft. Die Ausstellung kann man nämlich im Rainbow Center, Zentrum für queere Kultur, besichtigen. Es drängt sich die Frage auf, ob die Personen, für die die Auseinandersetzung mit dem Sujet der Ausstellung am förderlichsten wäre, diesen Ort überhaupt zufällig oder intentionell aufsuchen würden. Wahrscheinlicher ist, dass man hier Menschen erreicht, die sich ohnehin bereits von toxischen Rollenbildern emanzipiert beziehungsweise sich nie mit ihnen identifiziert haben. Leider läuft damit die Intention, die Öffentlichkeit für ein wichtiges und aktuelles Thema zu sensibilisieren, ein stückweit ins Leere.

