Ausstellung „Xanti Schawinsky: Play, Life, Illusion – a Retrospective“: Von Spektakeln und Steppmaschinen

In das Gesamtwerk des Künstlers Xanti Schawinsky kann man derzeit im Mudam eintauchen – über eine Ausstellung, die vor Kurzem noch nicht möglich gewesen wäre.

Der schweizerisch-amerikanische Künstler experimentierte unter anderem mit dem Element Feuer – hierbei entstanden die „Smoke Paintings“. (FOTO: Mareike Tocha)

Das Lebenswerk des schweizerisch-amerikanischen Künstlers Alexander „Xanti“ Schawinsky war aufgrund eines Rechtsstreits bis vor Kurzem unzugänglich. Nun aber werden unter dem Titel „Xanti Schawinsky: Play, Life, Illusion – a Retrospective“ die in viele künstlerische Richtungen ausstrahlenden Kunstwerke im Museum für zeitgenössische Kunst in Luxemburg (Mudam) gezeigt.

Es ist die erste Retrospektive des Malers und Fotografen außerhalb der Schweiz. Die von Raphael Gygax kuratierte Schau führt über hundert Gemälde, Fotografien, Bühnenbilder, Zeichnungen und Grafikdesigns von Schawinsky zusammen. Ein großer Teil davon wird seit dem Tod des Künstlers im Jahr 1979 erstmals öffentlich ausgestellt – insofern lädt die Ausstellung dazu ein, das Werk des Bauhaus-Künstlers (neu) zu entdecken.

Mensch und Maschine

Schawinskys Schaffen umspannt insgesamt sechs Jahrzehnte – eine lange wie produktive Zeit, die von den großen, teils globalen Geschehnissen des 20. Jahrhunderts geprägt wurde: dem Zweiten Weltkrieg zuvorderst, aber auch zum Beispiel von der faschistischen Herrschaft Mussolinis. Der Lebensweg Schawinskys sei auf ganz eigene Weise von den Umbrüchen des vergangenen Jahrhunderts beeinflusst worden, erklärt Koordinator Christophe Gallois. Er besitze so eine emblematische Dimension.

Schawinsky, 1904 als Sohn jüdischer Eltern geboren, wuchs in der Schweiz auf, bevor er 1924 an das Bauhaus in Weimar ging. Als frisch gegründete, multidisziplinäre Kunstschule brachte das Bauhaus Kunst und Handwerk zusammen; künstlerische Disziplinen wie Architektur, bildende Kunst, Theater und Design wurden hier gelehrt. Während seiner Bauhaus-Jahre arbeitete Schawinsky, der zeitlebens versuchte, unterschiedliche Künste miteinander zu verknüpfen, zum Beispiel an seinem Konzept des „Spectodramas“, einer frühen Form des Totaltheaters. In diesen Theaterstücken interagierten Schauspieler*innen auf der Bühne mit geometrischen Figuren. Formen, Farben, das Spiel aus Licht und Schatten sowie Musik wurden bei diesen meist kurzen Einaktern auf ganz neue, expressive Weise zusammengebracht. Die Ausstellung im Mudam zeigt etliche Schwarz-Weiß-Fotografien, auf denen Szenen dieser Stücke abgebildet sind. Was dabei auffällt, ist der in Schnappschüssen eingefangene pantomimenhafte Charakter der Darbietungen; die sehr distinkte Gestik der Schauspieler*innen, die sich in die von scharfen Linien, Kanten und Rundungen bestimmten Bühnenbilder einfügen.

Ein anderes Grundthema, das sich ebenfalls während Schawinskys Bauhaus-Ära herauskristallisierte und sein gesamtes Werk durchziehen sollte, ist der Konflikt beziehungsweise der Dialog zwischen Mensch und Maschine. Im Mudam ausgestellte Bilder wie „Stepptänzer versus Steppmaschine“ (1924), in dem sich ein futuristischer Tanzapparat und ein mit starrer Körperhaltung gezeichneter Mann gegenüberstehen, verdeutlichen dieses ambivalente Verhältnis zwischen dem Menschen und der modernen Technik.

Schawinsky floh 1933 vor dem NS-Regime nach Mailand, wo er drei Jahre blieb, bis er aufgrund von Mussolinis Diktatur, die sich Nazi-Deutschland immer stärker annäherte, noch einmal die Flucht ergriff. Nach einem kurzen Aufenthalt in London verließ der Künstler den europäischen Kontinent und wanderte in die USA aus, wo er 1939 nach seiner Ankunft die amerikanische Staatsbürgerschaft erhielt. Das Mudam stellt aus dieser Post-Bauhaus-Zeit einige Werbeposter und -anzeigen aus, die Schawinsky, der sich als Graphikdesigner verdingte, als Auftragsarbeiten gestaltete. Wie in dem Begleitheft zur Ausstellung vermerkt ist, trug der Schweizer Künstler durch seine innovative, von der Bauhausschule beeinflusste Herangehensweise an Fotografie und Typografie zu einer Erneuerung der visuellen Werbung in Italien bei.

Gesichter des Krieges

Bei der Ausstellungseröffnung wurde die Installation von Monster Chetwynd als Kulisse für eine Performance mit zehn Teilnehmer*innen genutzt, die sich an das Prinzip der Datingshows im Fernsehen anlehnte. (Foto: Makoto C. Ôkubo)

Nach seiner Flucht in die USA unterrichtete Schawinsky, der sich für den Performance-Charakter von Kunst interessierte, am experimentellen und transdisziplinären Black Mountain College in North Carolina. An dieser Kunstschule zirkulierten Ideen, aus denen später die Aktionskunst und deren Spielart des Happenings erwachsen sollten. 1938 zog der Maler und Fotograf nach New York weiter. Die Schau zeigt die bekannte Bilderserie „Faces of War“ (1942), die im „Big Apple“ entstand – zu der Zeit, als der Künstler auch Camouflage-Muster für die U.S. Air Force designte. Die Bilder, eine Mischung von Zeichnung und Aquarell, zeigen roboterhafte Gesichter, die sich aus Panzer, Kriegsschiff oder Fallschirm zusammenfügen. Auch anhand dieser hybriden Por- träts wird letztlich deutlich, dass sich Schawinsky weiterhin mit der Beziehung zwischen Mensch und Maschine beschäftigte.

Zwischen 1949 und 1979 experimentierte Schawinsky mit verschiedenen künstlerischen Methoden, bei denen die performative Dimension der Malkunst einen hohen Stellenwert einnahm. Er stellte zudem Gemälde her, die ganz ohne Farbe und herkömmliche Maltechniken auskamen. Die Retrospektive zeigt einige Werke aus dieser letzten Periode, die illustrieren, wie sehr sich Schawinsky bei der Schaffung von Kunstwerken von seiner Neugierde und seinem Erfindungsreichtum leiten ließ. So arbeitete er bei den sogenannten „Smoke Paintings“ (1964) zum Beispiel mit Feuer und ließ Flammen komplexe Muster auf Faserplatten zeichnen. Bis zuletzt experimentierte Schawinsky mit Formen und kreativen Verfahrensweisen, dabei nahm er – das zeigen futuristische Bilder wie „Untitled (Architecture)“ – ästhetische Entwicklungen, die später auch bei anderen Künstler*innen eine große Rolle spielen sollten, in seinem Schaffen vorweg.

Schritt in die Gegenwart

Entlang der genannten biografischen Etappen und künstlerischen Schaffensphasen, die Schawinskys Leben bestimmten, führt die Retrospektive im Mudam die Besucher*innen durch zwei sich gegenüberliegende Galerien. Sie werden von einem zeitgenössischen Kunstwerk wie von einem Scharnier zusammengehalten: nämlich der großen Installation „Xanti Shenanigans“ der Künstlerin Monster Chetwynd. Dass die Schau auch ein aktuelles Kunstwerk beinhaltet, ist laut Gallois kein Zufall. Immerhin sei das Mudam ein Museum für zeitgenössische Kunst, das auch historische Kunstwerke – und die Vergangenheit allgemein – immer aus der heutigen Zeit heraus betrachte. Die Installation besteht aus einer Modelleisenbahn, die, beladen mit in bemaltes Papier eingewickelten Figuren, unablässig durch das Foyer fährt, sowie Skulpturen und Bildschirme, auf denen eine Performance abgespielt wird.

Damit greift das Kunstwerk der ebenfalls transdisziplinär arbeitenden Londoner Künstlerin zentrale Elemente von Schawinskys Arbeit auf und transponiert sie in die Gegenwart: Die Auseinandersetzung mit Technik sowie die humoristische Note und der Aktionscharakter von Kunst werden hier hervorgehoben. So bringt die Retrospektive Gegenwärtiges und Vergangenes auf einzigartige Weise zusammen und ermöglicht dem Publikum zudem einen vertieften Einblick in das Schaffen eines Ausnahmekünstlers des vergangenen Jahrhunderts.

„Xanti Schawinsky: Play, Life, Illusion – a Retrospective + Monster Chetwynd: Xanti Shenanigans“, Mudam Luxembourg (3, Park Dräi Eechelen, L-1499 Luxembourg-Kirchberg) Eintritt: 10 Euro für Erwachsene, Di. 10 – 18 Uhr, Mi. 10 – 21 Uhr, Do. – So. 10 – 18 Uhr. Bis zum 5. Januar 2025.

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