Zum 75. Mal jährt sich dieser Tage in Luxemburg und Belgien die Befreiung von der nationalsozialistischen Besatzung. Doch viele der Befreiten wurden das, was sie bis dahin erdulden mussten, ihr ganzes Leben lang nicht mehr los. Für den Horror, den sie durchlebten, steht nicht zuletzt die Festung Breendonk unweit von Brüssel.
Es ist eine beachtliche Kolonne an Militärfahrzeugen, die sich an diesem 3. September über die Esplanade des Park Cinquantenaire in Brüssel schiebt: Panzer, Kettenfahrzeuge, Lkw, Motorräder und Jeeps. Zahlreiche Schaulustige sind zusammengelaufen, sie beobachten und staunen.
Wie mittlerweile vielerorts an den entsprechenden Jahrestagen üblich, wird auch in Belgien dem 75. Jubiläum der Befreiung von der nationalsozialistischen Besatzung unter anderem mit einem „Reenactment“-Spektakel gedacht. In amerikanische, belgische und britische Militäroutfits der damaligen Zeit gekleidet und mit Fahrzeugen des belgischen „War Heritage Institute“ ausgestattet, erinnern Angehörige der belgischen Armee an die Befreiung des Landes.
So wie Eric Adam, der eigentlich als „adjudant“ beim belgischen Heer in Bastogne dient, heute jedoch nicht ohne Stolz in einer historischen Uniform der 101. US-Airborne Division auf einem Sherman-Panzer sitzt, wie er auch in Luxemburg mancherorts als Symbol der Befreiung ausgestellt ist. In Belgien hatte diese am 2. September 1944 mit dem Grenzübertritt der alliierten Truppen ihren Anfang genommen. Schon einen Tag später hatten zunächst die Briten die belgische Hauptstadt erreicht. „Auch Luxemburger waren damals dabei“, wie Adam versichert.
Gerne wird in diesen Tagen an den kecken Humor erinnert, mit dem die Brüsseler Bevölkerung das freudige Ereignis zelebrierte. „Die Einwohner der Marolles haben schon wenige Tage nach der Befreiung eine Pseudo-Beerdigung von Hitler organisiert, um den für die Brüsseler so charakteristischen und alles überragenden Widerstand und spöttischen Humor zu demonstrieren“, so etwa Rudi Vervoort, der sozialistische Ministerpräsident des Brüsseler Regionalparlaments.
„Nicht mehr heimisch in der Welt“
Viele Menschen hat jedoch das, was sie während der knapp viereinhalb Jahre andauernden deutschen Besatzung durchleiden mussten, ihr Leben lang begleitet – und nicht wenige von ihnen kamen nur schwer oder gar nicht darüber hinweg. Einer der berüchtigtsten Orte des Besatzungsregimes war die Festung Breendonk, wo der historische Fahrzeugkonvoi am Freitag dieser Woche halt machen wird.
Breendonk liegt auf halbem Weg zwischen Brüssel und Antwerpen. Hierher wurden die Menschen gebracht, die von den Nazis der Résistance zugeordnet wurden. Und hier wurden bei Beginn der antijüdischen Maßnahmen auch alle als Juden Verfolgten eingesperrt, ehe 1942 für die zur Deportation in die Vernichtungslager Bestimmten in Mechelen die Kaserne Dossin als sogenanntes „Sammellager“ eröffnet wurde.
Misshandlung, Folter und Mord waren in der „Hölle von Breendonk“ an der Tagesordnung. Auch der österreichisch-jüdische Schriftsteller und Philosoph Jean Améry war hier als Widerstandskämpfer inhaftiert. Was er erlebte, hat er in seinem Text „Die Tortur“ beschrieben: „Wer der Folter erlag, kann nicht mehr heimisch werden in der Welt.“
Heute ist die Festung eine Gedenkstätte. Die woxx hat den einstigen Schreckensort der nationalsozialistischen Herrschaft besucht und mit Dimitri Roden, dem historischen Leiter in Breendonk, sowie mit Laurence Schram, Historikerin an der Gedenkstätte Kaserne Dossin, gesprochen. Von den insgesamt 3.600 während der Naziherrschaft in Breendonk inhaftierten Personen sind laut Dimitri Roden 301 dort gestorben. „Das erscheint ‚wenig’“, sagt Roden. „Dennoch hat nur rund die Hälfte der Breendonk-Häftlinge den Krieg überlebt.“ Denn wenn sie Breendonk verließen, so der Historiker, „waren sie in einem so schlechten Zustand, dass ihre Chancen, das Konzentrationslager, in das sie deportiert wurden, zu überstehen, nicht mehr sehr groß waren.“