Ein Radikaler an der Spitze der Labour-Partei, die LSAP diskutiert über TTIP und Steuerreform – das verdankt die Sozialdemokratie ihrem linken Flügel. Beneidenswert, wer frei davon!
Alles in Butter bei der LSAP? Danach sieht es aus, nach dem Treffen zwischen „Frondeurs“ (Aufständischen) und Parteileitung am vergangenen Dienstagabend. Ähnlich wie in Frankreich hatte die Parteilinke vor dem Sommer die Regierungslinie kritisiert (woxx 1329), allerdings zunächst mit mehr Erfolg als im Nachbarland. In ganz Europa werden Stimmen laut, die die Sozialdemokraten – und manchmal auch die Grünen – dazu drängen, wieder sozial fortschrittliche Positionen einzunehmen. Das ist kaum verwunderlich angesichts der Finanz- und Wirtschaftskrise und der verstärkten Skepsis gegenüber dem liberal-kapitalistischen Wirtschaftssystem. Die Sozialdemokraten hätten guten Grund, hierauf einzugehen. Selbst wenn die innere Einsicht fehlt, so müsste doch der Selbsterhaltungstrieb sie dazu bringen, vom Schmusekurs mit dem Neoliberalismus abzugehen.
Ob die Wahl des altlinken Politikers Jeremy Corbyn zum Labour-Parteivorsitzenden nach 20 Jahren „New Labour“ in der LSAP-Debatte eine Rolle spielen wird, ist unklar. In Luxemburg hat ihn offiziell zur seiner Wahl nur „Déi Lénk“ beglückwünscht, seine eigenen sozialdemokratischen Kameraden haben sich nicht gerührt. Symbolwert hat die Wahl aber in jedem Fall: Corbyn steht für alles das, was „Modernisierer“ wie Tony Blair, Gerhard Schröder oder Étienne Schneider hinter sich lassen wollten: Nähe zu den Gewerkschaften, Ablehnung von Privatisierungen, Vertrauen auf keynesianische Wirtschaftspolitik statt Austerität. Außerdem ist der Brite Pazifist, Vegetarier und Radfahrer, der nicht einmal ein Auto besitzt.
Klar ist, dass Labour mit Corbyn als Vorsitzendem wieder stärker sozialistische Akzente setzen wird. Genau das, was die luxemburgischen „Frondeurs“ in ihrem offenen Brief im Juli angemahnt hatten. Dabei hatten sie die Themen Griechenlandkrise, TTIP und Steuerreform in den Vordergrund gestellt. Die beiden letzteren sollten in innerparteilichen Foren und Konferenzen ausdiskutiert werden; für die Steuerreform fordert die Parteilinke immer noch einen Sonderkongress. Die Kritik am Umgang mit Griechenland dagegen scheint vom Tisch zu sein. Auch die Idee der Parteileitung, die Steuerreform bei Gelegenheit der anstehenden Sommerakademie abzuhaken, wurde fallengelassen – am Samstag werden die Parteimitglieder stattdessen über eine gerechtere Wohnungspolitik diskutieren.
„Corbyn steht für alles das, was die ‚Modernisierer‘ hinter sich lassen wollen.“
Rumort es wirklich in der europäischen Sozialdemokratie? Wird die Wahl von Jeremy Corbyn zum „Ansporn für alle Völker Europas, insbesondere die Opfer der brutalen neoliberalen Ideologie“, wie Déi Lénk hofft? Fakt ist: Nicht nur in Luxemburg konzentriert sich die Begeisterung für den britischen Linksruck auf die politischen Kräfte links von der Sozialdemokratie. In Frankreich wurde Corbyns Wahl vor allem auf der „Fête de l’Huma“ gefeiert. Beim traditionellen Fest des PCF zeigten sich nicht nur die Kommunisten entzückt, sondern auch Gäste wie Jean-Luc Mélenchon (Parti de gauche), Benoît Hamon („Frondeur“ PS) oder Julien Bayou (linker Flügel der Grünen), wie „Libération“ berichtet. Auch auf der Website von „Die Linke“ gibt es mehrere lobende Beiträge zu Corbyn, wohingegen sich www.spd.de zu ihm ausschweigt.
Doch was soll sich die Sozialdemokratie mit ihrem linken Parteiflügel herumärgern, in aller Öffentlichkeit Grundsatzdiskussionen führen und sich damit zum Gespött der anderen Parteien machen? Auf ihrer Rentrée-Pressekonferenz zeigten „Déi Gréng“, dass es auch anders geht. Zur Steuerreform – eigentlich ein grünes Essential – weigerte sich Parteisprecherin Christian Kmiotek, mehr zu sagen, als dass man konstruktiv an ihr mitarbeite. Dass es in seiner Partei keine „Fronde“ gibt, führte er darauf zurück, dass nach der Spaltung und Wiedervereinigung in den 1980ern die radikaleren Positionen nicht mehr in der Partei vertreten seien. Als dann die Sprecherin Françoise Folmer bezüglich der Verkehrspolitik betonte, die Grünen wollten nicht „zurück auf die Bäume“ – es solle durchaus jeder ein Auto haben – war man gewillt, den Erklärungen ihres Vorredners Glauben zu schenken.