Craig Gillespie:
 Aufs Eis gefallen


Die wechselnden Perspektiven, die Vernachlässigung der Figur Nancy Kerrigans und die selbstreflexive Distanz machen es schwer, sich auf „I, Tonya“ einzulassen – und nachzuvollziehen, was Regisseur Graig Gillespies und Drehbuchautor Steven Rogers uns eigentlich erzählen wollen.

Nicht gerade eine Eiskunstlauf-Prinzessin – Tonya Harding geht es um den Sport, nicht um die Outfits.

Es muss etwas ganz Besonderes gewesen sein, es live mitzuerleben, als die aus der arbeitenden Klasse stammende Tonya Harding (Margot Robbie), erst 1992, dann 1994 die Vereinigten Staaten von Amerika bei den Olympischen Winterspielen im Eiskunstlauf vertat. Qualifiziert hatte sie sich vor allem durch einen Sprung: Als erste US-Amerikanerin meisterte sie nämlich 1991 einen Dreifach-Axel in einem Wettbewerb. „I, Tonya“ interessiert sich in erster Linie für den Aufstieg und Fall dieser Sportlerin, für sie als Mensch leider nicht so sehr.

Die Erzählung des Films setzt in Portland Oregon an, als die (im wortwörtlichen wie im übertragenen Sinne) schlagfertige Kellnerin LaVona Golden (Allison Janney) stur auf die Teilnahme ihrer Tochter Tonya in einem Eiskunstlaufverein beharrt. Eigentlich ist das Mädchen noch zu jung, doch ihr Talent ist unverkennbar. Während Tonya im Laufe der Jahre immer erfolgreicher wird, muss sie stets gegen das Establishment der Eiskunstlaufwelt und dessen Vorstellungen ankämpfen. Und so tut sich die Jury schwer, sie trotz ihrer beeindruckenden Leistungen mit der vollen Punktezahl zu bewertet. Tonya repräsentiert einfach nicht das, was eine Eiskunstläuferin sein sollte. Um Geld zu sparen hat sie sich ihre Kostüme nämlich mehr schlecht als recht selber zusammengenäht und wenn sie nicht gerade trainiert, hackt sie Holz, geht auf die Jagd, trinkt und spielt Billard.

„I, Tonya“ basiert auf realen Interviews mit Harding und ihrem Ex-Mann Jeff Gillooly (Sebastian Stan). Von Anfang an ist klar, dass der Fokus nicht auf eine Perspektive, sondern auf die unterschiedlichen, sich teils wiedersprechenden Schilderungen gelegt wird. Vor diesem Hintergrund scheint nicht nur der Titel des Films schlecht gewählt – durch die chaotische Erzählweise bleibt die Handlung oberflächlich.

Dieser Eindruck wird durch die humorvolle, selbstreflexive Distanz zum Geschehen verstärkt, die sich durch den ganzen Film zieht. Egal ob ruhige oder dramatische Szene: Immer wieder sprechen die Figuren direkt in die Kamera und damit zum Publikum. „My storyline is disappearing right there. What. The. Fuck?“, beschwert sich LaVona an einer Stelle. Diese Figuren sind sich bewusst, dass gerade ein Film über sie gemacht wird und sind bereit, sich dafür zu inszenieren. Das passt zwar zu ihren Charakteren – jede*r beharrt auf der Richtigkeit ihrer oder seiner Version –, der Erzählung dient es allerdings nicht. Wie soll man zum Beispiel die Darstellung extrem brutaler, häuslicher Gewalt ernst nehmen, wenn die misshandelte Figur währenddessen einen abgeklärten Kommentar ans Publikum abgibt?

Der Höhepunkt der Geschichte stellt „the incident“ dar: Kurz vor den Qualifikationsrunden zu den Olympischen Winterspielen 1994 wird Hardings größte Konkurrentin Nancy Kerrigan bei einem Angriff am Knie verletzt. Harding wurde am Ende wegen Behinderung der Ermittlungen verurteilt. Spätestens in diesem Teil verliert der Film gänzlich seinen Fokus. Es geht weder um das Verhältnis zwischen Kerrigan und Harding – zu diesem Zweck hätte erstere Figur stärker ausgebaut werden müssen –, noch um das Erleben letzterer. Hier rückt stattdessen plötzlich die Perspektive von Jeff und seinem Kumpel Shawn (Paul Walter Hauser) in den Vordergrund, die beide hinter der Attacke steckten.

Das alles trägt dazu bei, dass „I, Tonya“ nicht nur ungleichmäßig ist, sondern Harding tendenziell sogar in ein negatives Licht rückt. Als Konsequenz verfügt der Film über keinerlei Sympathieträger*in. Immerhin die hervorragenden Schauspielleistungen können einiges wettmachen. Neben Margot Robbie, die in der Rolle Tonya Hardings glänzt, beeindruckt vor allem Allison Janney als LaVona. Wäre sie prominenter im Film, hätte sie Robbie glatt die Show gestohlen. Sebastian Stan als Jeff wirkt fehlbesetzt, seine fortwährenden Wutausbrüche will man ihm nicht so recht abkaufen. Alles in allem fühlt sich „I, Tonya“ wie eine verpasste Chance an.

Im Utopia und Scala. Alle Uhrzeiten finden Sie hier.

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