Der letzte linke Kleingärtner, Teil 21: „Lebbe geht weider“

Unser Kolumnist ist ein Mann der Praxis; eine Perspektive, die ihm in der Coronakrise derzeit zu kurz kommt. Als Frontschwein des Kleingartens bekommt er es dieses Mal außerdem mit Taubeneiern zu tun.

Endlich Regen, freut sich unser Kleingärtner, nur leider kommt der auch jenen Pflanzen zugute, die er als Unkraut beschimpft. Foto: Pixnio

Na also. Kaum habe ich in der letzten Kolumne wie ein weinender selbstgefälliger Schoßhund mein kleingärtnerisches Klagelied über den bis dato ausgebliebenen Regen angestimmt, schon hat es ordentlich gegossen. Drei Tage lang kam ausgiebig Wasser von oben und durchnässte den furztrockenen Boden. Da jubeln wir Kleingärtner all around the world und unsere mentalen Kumpels, die Bauern, im Chor.

In weiser Voraussicht hatte ich kurz zuvor mit Geschick und Raffinesse meine vierteilige Wasserspeicheranlage installiert und sie mittels filigran ausgesteuerter manueller Technik mit dem Regenfallrohr am Haus verbunden. So sammeln sich bei mir nun bis zu 1.500 Liter bestes Regenwasser, womit ich meinem Garten in Zeiten großer Trockenheit ausreichend und nachhaltig Wasser spenden kann, damit er niemals auf dem Trockenen sitzt. Trockenheit ist des Kleingärtners größte Sorge; neben vielen anderen.

Freude und Leid gehen auch mit dem Regen Hand in Hand. So sehr ich mich freue, dass meine Pflanzen nun einen ordentlichen Wachstumsschub hinlegen, durchdringt mich doch der Welten Trübsal, weil jetzt auch das Unkraut so üppig wächst. Was für ein Mist. Warum kann es keinen Regen geben, der einfach nur meinen Samen erreicht und einen Bogen um die nicht erwünschten Pflanzen macht. Man müsste den Regen gentechnisch verändern. Das muss ich mir mal durch den Kopf gehen lassen. Gentechnisch veränderter Regen, von mir erfunden. Da bin ich jetzt schon beeindruckt.

Und noch etwas Gravierendes ist seit der letzten Kolumne passiert: Lothar (Nachname: Wieler) ist weg. Hatte ich ihm dort noch mit meinen Versen der Bewunderung und Dankbarkeit ob seiner einfachen Erklärungen in der Corona-Krise das ihm gebührende Denkmal gesetzt und ihn gar mit „unserem Loddar“ (Nachname: Matthäus) auf eine intellektuelle Stufe gestellt, so hat er direkt nach der Veröffentlichung meiner Kolumne das Weite gesucht und hält jetzt seinen coolen Verein, das RKI (Robert Koch Institut), die meiste Zeit aus dem medialen Blickfeld heraus. Auch wenn mir damit etwas fehlt, bin ich doch beeindruckt von der Wirkmächtigkeit meiner Zeilen. In meinen Texten laufen regelrecht die Fäden der Welt zusammen.

Man müsste den Regen gentechnisch verändern.

Trotzdem ist der Abgang von Lothar ein Verlust. Es wird sein Geheimnis bleiben, warum seit Beginn der Corona-Krise eigentlich nur die Professoren am Mikrophon stehen und Interviews geben aber das einfache medizinische Fußvolk – die Hausärzte – außen vor bleiben. Mich erinnert es an den eigentlich gar nicht so unsympathischen aber eben sehr neoliberal daherkommenden Macron, der schon früh von „La guerre“ gesprochen hat. Die Lagebesprechungen in Kriegen finden – das wissen wir aus den Filmen – an großen Tischen statt, wo die Generäle mit großen Landkarten hantieren und die Welt erklären. Dabei verschieben sie elegant die Bataillone und gewinnen natürlich ihre Schlachten.

Auf dem Papier. Das einfache Fußvolk hat im Krieg andere Aufgaben. Es hat zu arbeiten und nicht zu gestalten. Und würde manches vielleicht anders beurteilen, weil es andere Erfahrungen macht. Fragt sich daher, ob das autoritär-patriarchale Getue der Generäle oder eben RKI-Strategen die richtigen Abzweigungen und Wege in der doch arg komplexen Welt diesseits und jenseits von Corona auch wirklich finden hilft. Bei der Suche hilft kein Navi und kein Google. Es könnte sich rächen, die Kreativität des Fußvolks außen vor zu lassen.

Weg ist nicht nur Lothar, weg sind auch zwei Taubeneier. Wie das? Ein Taubenpärchen baute im Giebelbereich meines Daches ein Nest. Zumindest wollten sie das. So richtig gelang es nicht. Ich also die Leiter an die Hauswand gelehnt, flugs hochgeklettert und siehe da, der Nestbau war in der Tat nicht richtig gelungen, dafür lagen aber zwei kleine „süße“ Taubeneiner auf dem blanken Stein. Richtig, sie lagen dort. Jetzt liegen sie nicht mehr dort. Ich nahm sie in meine Obhut und vertraute sie dem Mülleimer an.

Und bevor jetzt irgend ein sensibler Öko mit kullernden Tränen auf seinem Bäckchen einen heulenden und kreischenden Nachruf anstimmt, dem sei gesagt: Wer sich bereit erklärt, sechs Monate lang mein Dach und das Drumherum von dem Taubendreck zu säubern, der während der Brutzeit entsteht, darf mir gerne mit seinem Geheule und sonstigen Formen degenerierter Naturverbundenheit kommen. Ansonsten: Klappe halten.

Nach der Entsorgungsaktion legte ich aus Gründen der Trauer und gärtnerischen Anteilnahme den pfiffigen Georg Kreisler Song „Taubenvergiften im Park“ auf. Und nein, ich verstecke mich nicht hinter dem toten Kreisler und missbrauche ihn nicht als Kronzeuge. Aber mit Kreisler im Kopf verflüchtigen sich die sonst unvermeidlichen Gewissensbisse und meine kleingärtnerische Welt ist wieder in Ordnung. Als schöner Nebeneffekt verdrückte sich das Taubenpärchen und sah ein, dass ich hier der uneingeschränkte Chef bin.

Fassen wir zusammen: Der Regen kam, aber Lothar und die Tauben gingen. „Lebbe geht weider“ meinte einmal der serbische Fußballtrainer Dragoslav Stepanovic, nachdem er mit Eintracht Frankfurt denkbar knapp die Meisterschaft verpasst hatte. Da ist etwas dran.


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