Der letzte linke Kleingärtner, Teil 22: Jauchzen und Jäten

von | 22.06.2020

Auch der letzte linke Kleingärtner schwelgt in seiner neuesten Kolumne ganz im Übermut des Déconfinement. Und träumt schon wieder vom letzten Gefecht.

Bocken, bis die Milch schäumt: So stellt sich der letzte linke Kleingärtner eine gelungene Party vor. (Foto: Flickr)

Von Hühnern und Rindern kann man einiges lernen. Wer schon mal zugeschaut hat, was passiert, wenn Rinder im Frühjahr nach ein paar Monaten Stallaufenthalt auf die Weide gelassen werden und welche Sprünge sie dabei vollführen, begreift, was Lebensfreude sein kann. Das ist Genuss pur. Da kann ich minutenlang zusehen, ohne dass mir beim Anblick dieser ungelenken Hoppelei langweilig wird.

Ähnlich verhält es sich bei den Hühnern. Jeden Tag aufs Neue, wenn sie früh morgens von unsereinem vom Stall ins Gehege gelassen werden. Dann laufen, picken und scharren sie im Gelände, als sei ihre letzte Minute auf Erden angebrochen, bevor sie in den Kochtopf wandern. Das hat aber noch Zeit und in den Kochtopf wandern sie bei mir sowieso nicht, da sie auf Eierlegen gezüchtet wurden, was zu sehr wenig Fleischansatz führt. Schlachten lohnt sich also nicht. Noch extremer ist es bei den Hühnern, wenn ich ihnen ein neues Gehege gesteckt habe. Dann jagen sie erst mal „mit heraushängender Zunge“ eine lockere Stunde realen oder vermuteten Schnecken und deren Eiern hinterher, scharren den Boden frei und versuchen an diese Filetstücke heranzukommen.

Rinder wie Hühner erinnern mich mit ihren freudigen Tänzen manchmal an linke politische Gruppen, die pausenlos damit beschäftigt sind, das letzte Gefecht zu führen. Irgendwie ist das schön anzusehen. Die Rinder allerdings fechten – oder soll ich sagen: inszenieren – ihr letztes Gefecht nur einmal im Jahr.

Die Hühner sind da schon näher am linken Politzirkus dran. Bei ihnen gibt es diese Aufführung ebenfalls täglich. Dafür haben sie auch eine geringere Lebenserwartung. So schön es auch ist, für das Gute zu kämpfen, also je nachdem Nazis oder Schnecken zu jagen, so sehr ermüdet es auf Dauer die jeweiligen Zweibeiner und ihre Beobachter.

Die einen springen instinktgesteuert durch die Welt- oder Gartengeschichte, die anderen machen dasselbe mit mehr Hirn. Nicht selten kommt trotzdem fast dasselbe dabei heraus. Hauptsache man bleibt der Sieger und fährt ordentlich Punkte fürs eigene Lager ein. Aber jeden Tag und damit nonstop emotionale Höchstleistung zu erbringen, das bekommt noch nicht mal der austrainierteste Sportler gebacken. Mir soll es Recht sein, solange die affektgesteuerten Hühner Tag für Tag fleißig ihre Eier legen. Sollen sie dies als ihr letztes Gefecht betrachten. Mir reicht das als emotionaler Bezugspunkt. Von den anderen Zweibeinern halte ich mich dann lieber fern. Auch der größte aller Kleingärtner kann nicht auf jeder Hochzeit tanzen.

Rinder wie Hühner erinnern mich mit ihren freudigen Tänzen manchmal an linke politische Gruppen.

Ich hoffe doch sehr, dass den mit mehr Gehirn gesegneten Zweibeinern der entscheidende Sieg im letzten Gefecht gelingt und sie dann eine Anstellung für mich übrig haben. Ich könnte den Gefängnisgarten betreuen und die Gefangenen aus der besiegten alten Welt, deren es reichlich gibt, mit meinen Hühnern bespaßen und irgendwelche pädagogischen Betreuungsprojekte mit übriggebliebenen NGOs machen. Das wäre dann wieder die von mir so geschätzte win-win-Situation: für die politisch Korrekten, für meine Hühner, für die Gefangenen und natürlich für mich.

Ansonsten findet das letzte Gefecht aktuell meist digital statt – bei den allseits beliebten Telefon- und Videokonferenzen. Wenn sich dann am Ende das Gros der Teilnehmenden wieder verabschiedet hat und ich als einziger mit der Pausenmusik übrig bleibe, poppt fast schon eine heimattümelnde Sehnsucht auf und der Jackson Browne Song „I hear your heart beating everywhere. Everywhere I go“ wabert durchs Gemüt. Ein schöner Song.

Neben den Videokonferenzen gedeihen auch die Kartoffeln vorzüglich. Die dümmsten Bauern haben die dicksten Kartoffeln, meint der Volksmund und irrt auch hier. Anbau ist kein Zauberwerk und das Ergebnis ist abhängig von der Qualität des Saatguts, vom Regen zur rechten Zeit und einer intelligenten Pflege, womit dann wieder ich im Spiel wäre. Ein bisschen ärgerlich ist allerdings, dass die Knollengewächse uneinheitlich das Licht der Welt erblicken. Das erschwert das Jäten und Freihalten der Beete von unerwünschten Pflanzen, die es wie Sand am Meer gibt. Wenn man einen Bruchteil einer Sekunde nicht aufpasst und sich mental zu sehr in seinem eigenen letzten Gefecht verstrickt hat, hackt man beim Jäten ungewollt einen Nachzügler weg. Wenn ich nur wüsste, wen ich dafür verantwortlich machen könnte. Jäten erfordert jedenfalls allerhöchste Konzentration und gelingt am besten schweigend und ohne quasselnde Mitmenschen um einen herum.

Auch ansonsten verläuft das Wachstum der verschiedenen Salate und Gemüse wie Bohnen, Mangold, Rote Beete und Kohlpflanzen vorbildlich. Nur die Buschbohnen wollen dieses Jahr nicht so, wie ich es will. Vermutlich war das gekaufte Saatgut zu schlecht. Ist ja klar: Wenn zu viel Fremdes im Hause herumschwirrt, kommt viel Unordnung ins gärtnerische Leben und die taktische Grundordnung geht über Bord. Wie löst unsereiner das Problem? Nun, man legt Bohnen einfach nach. Das Malheur passiert in den besten Familien.

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