Der letzte linke Kleingärtner, Teil 24: In der Rüstungsspirale

Der letzte linke Kleingärtner übt sich in der Kunst des Krieges. Außerdem bringt er den ehemaligen EU-Großgärtner Phil Hogan zur Tür.

„Krieg ist manchmal nicht nur notwendig, sondern moralisch gerechtfertigt“, sagte der ehemalige US-Präsident Barack Obama einst. Der letzte Kleingärtner findet das auch, 
wenn es gegen den Hühnerhabicht geht. (Foto: Internet)

Ich komme gerade vom Frisör und habe mich fein herausgeputzt. Eine Kolumne, die wirken soll, muss mit adrettem Äußeren geschrieben werden. Das Sein bestimmt schließlich das Bewusstsein und der Schein hilft mit. Werden die Haare zu lang, was mal subjektiv so empfunden, mal auch gesellschaftlich festgelegt wird, dann kommt mir immer der unvergessliche Freddy Quinn in den Sinn: „Wer hat natürlich auch seine Schwächen? WIR! Wer hat sogar so ähnliche Maschen, auch lange Haare, nur sind sie gewaschen? WIR! WIR! WIR! Auch wir sind für Härte, auch wir tragen Bärte …“.

Keine langen Haare aber dafür ekelhaft lange Federn haben die Greifvögel, die sich mittlerweile sogar im Sommer an meinen Hühnern zu schaffen machen. Fast wöchentlich starten sie Angriffe. Bisher gibt es nur verletzte, aber keine toten Hühner. Hätten Raubvögel wie Bussard und Habicht nicht so lange Federn, könnten sie nicht so gut fliegen.

Ich koche angesichts dieser heimtückischen Angriffe und in meinen Tagträumen ist Federn schneiden angesagt. Weil es die Drecksviecher von Raubvögeln nicht anders wollen, drehe ich zudem an der Rüstungsspirale und stelle jede Menge Stangen aus Holz und Eisen in das Gehege, sodass die süßen kleinen Räuber Probleme beim Landen und Starten bekommen.

Bisher klappt das ganz gut. Die Angriffe bleiben aus. Aber ebenso wenig wie es ein ausbruchssicheres Gefängnis gibt, gibt es ein sicheres Hühnergehege. Was wäre die nächste Eskalationsstufe? Da gibt es wenig Möglichkeiten: Entweder ich schieße, installiere eine Selbstschussanlage oder ich schütze das Gehege mit Nato-Stacheldraht. Das ist der Draht, den unsere Armeen benutzen, um die freie Welt vor dem Bösen zu schützen. Allerdings ist der Draht auch im Inneren der freien Welt im Einsatz, zum Beispiel beim Abschiebegefängnis in Ingelheim bei Mainz. Dort schützt der Draht unsereins vor den bösen Flüchtlingen, die in unsere schöne Heimat gekommen sind – zum Teil ungewaschen und mit langen Haaren, aber ganz sicher nicht als Teil von unserem „WIR!“.

Im Garten gestalten sich die täglichen Dinge nach dem Abflauen der Hitzewelle etwas erträglicher.

Wo Nato-Draht verwendet wird, herrscht die perfekte Ordnung. Darüber hinaus wäre Nato-Draht über meinem Hühnergehege eine echte ökologische Aufwertung des militärischen Getues. Und ja, nachhaltig wäre das auch. Die Aufrüstung würde mir also einen dreifachen Vorteil verschaffen: Ich würde meine Hühner schützen, dem Biohaushalt der Gesellschaft wichtige Impulse geben und gegen gutes Honorar die Bundeswehr ökologisch aufpolieren. Schlussendlich hätte ich als Kleingärtner übers Jahr verteilt mehr Hühner am Start, die fleißig Eier legen, statt vor Greifvögeln auf der Flucht zu sein und Panikattacken zu bekommen.

Eine gute Nachricht erreichte mich vor einiger Zeit aber auch. Der Ire Phil Hogan ist als EU-Handelskommissar zurückgetreten, weil er die Corona-Abstandsregeln nicht eingehalten hat. Für mich war er einer der größten Unsympathen im Brüsseler EU-Betrieb. Der Kerl war von 2014 bis 2019 Agrarkommissar und hat jede Menge Bauernhöfe in der EU auf dem Gewissen. Wenn der sich bei jeder Bäuerin und jedem Bauern, die er mit seiner großunternehmerfreundlichen und unsozialen Politik zur Aufgabe gezwungen hat, einzeln entschuldigen müsste, dann könnte er 100 Jahre alt werden und wäre mit dem täglichen Vergießen von Krokodilstränen noch immer nicht fertig. Jetzt aber hat Corona seine EU-Karriere beendet. Unsereins und die wenigen vernünftigen Bauernorganisationen, die es gibt, waren zu schwach, doch das Virus hat ihn in die Knie gezwungen.

Hogans Vorgänger Dacian Ciolos war das genaue Gegenteil von ihm gewesen. Der Rumäne hatte sich nicht gegen vernünftige ökologische Korrekturen gesperrt und mit kritischen Bauern einen Dialog auf Augenhöhe geführt. Er war ein seltener Beweis dafür, dass staatliche Institutionen nicht automatisch nur Widerlinge hervorbringen. Aber ein Ciolos macht als Schwalbe noch keinen Sommer.

Im Garten gestalten sich die täglichen Dinge nach dem Abflauen der Hitzewelle etwas erträglicher, was aber nichts an der seit vier Jahren bestehenden generellen Trockenzeit ändert. Dies wird zunehmend ein Problem, weil in der EU überwiegend hochgezüchtete Sorten von Feldfrüchten angepflanzt werden, die für vieles optimiert wurden, aber nicht dafür, mit wenig Wasser auszukommen. Nennen wir es verfehlte Agrarpolitik.

Die gigantischen Feldgrößen mit fehlenden Buschstreifen tun ihr Übriges. Sie provozieren den ebenso gigantischen wie kontinuierlichen Abbau von kostbarem Humus, der bei Trockenheit aufgewirbelt und weggeweht wird. Da kommt der Kleingärtner ins Spiel, der mit seinem auf Sortenvielfalt und kleinräumige Beete gepolten Anbau eine Ahnung davon vermittelt, wie auch außerhalb des Gartenkosmos die Landwirtschaft der Zukunft aussehen könnte. Jedenfalls keine kilometerlangen Felder, die mit selbstfahrenden Traktoren bewirtschaftet werden und Jahr für Jahr humusärmer werden.

Übrigens habe ich in den letzten Tagen eine dreistellige Zahl an selbst vorgezogenen Endivien-Pflanzen dem Boden anvertraut. Bei der Menge ist die Salatversorgung bis zum Einsetzen des Frostes gesichert. Falls der überhaupt kommt.


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