Auch unser letzter linker Kleingärtner weiß, wie man Bankenaufsicht und Steuerbehörde ein Schnippchen schlägt.
Ich bin bekanntlich der Repräsentant der zwei großen Menschheitsthemen: Garten und Fußball. Zumindest die mir bekannte Menschheit basiert ihr irdisches Dasein auf eine dieser zwei Säulen oder gar auf beiden. Mit Leuten, die das anders sehen, pflege ich aus Gründen des Eigenschutzes und meiner ohnehin knappen Zeit keinen Kontakt. Die können mich mal. Auch Kleingärtner brauchen ihre Bubble und ihren Safe Space. Dort haben die anderen nichts zu suchen.
Alle Welt staunt Bauklötze, wie der dumme Kleingärtner das wieder hinbekommen hat.
Kleingärtner sind nicht nur begabte Netzwerker – Eier und Gemüse verschenken gegen gute Kontakte –, sie sind ebenso gute Dealer für Tauschgeschäfte ohne Geld. Das Finanzamt könnte sich nur dann darüber ärgern, wenn es davon erfahren würde. Tut es aber nicht. Die Schattenwirtschaft fernab von Staat und Markt hat der Menschheit in zahlreichen Notsituationen das Überleben gesichert. Seit einigen Jahren – nur von Corona unterbrochen – tausche ich im November oder Dezember Grünkohl gegen Karten für Fußballspiele des FC Bayern München. Da dort das Gros der Spiele ausverkauft ist, muss man sich etwas einfallen lassen, wenn man beispielsweise zum Bayernspiel gegen Borussia Dortmund möchte. Da ich weder mit einem Spieler noch mit einem Sponsor per Du bin – ich gehöre ja zu den Marginalisierten dieser Erde –, musste ich die Nummer mit dem Grünkohl aus dem Hut zaubern.
Ich tausche also Grünkohl gegen Bayern-Tickets. Nein, liebe Luxemburger, bleibt ruhig: Ich latsche nicht mit einem Büschel Grünkohl zum digitalen oder analogen Ticketschalter und fädele für alle nachvollziehbar das Tauschgeschäft ein. Als Kleingärtner kennt man immer jemanden, der einen kennt. Zum Beispiel einen Bayern-Fan, der Vereinsmitglied ist und „immer schon“ eine Dauerkarte hat. Wenn dieser jemand seine Dauerkarte nicht ständig nutzt, dafür aber ein Feinschmecker ist, der gerne Grünkohl futtert, dann ist das Tauschgeschäft so gut wie über die Bühne. Und alle Welt staunt Bauklötze, wie der dumme Kleingärtner das wieder hinbekommen hat, wenn er Wochen später triumphierend die zwei Tickets für Bayern gegen Dortmund in die Höhe hält und dafür keine Mondpreise auf dem Schwarzmarkt bezahlt hat. Und weil ich als Kleingärtner großzügig bin, dürfen auch mal Familienmitglieder die hart erarbeiteten Bayern-Tickets nutzen. Dann verzeihen sie mir auch den Mist, den ich via Schuhwerk aus dem Hühnerstall in die Wohnung schleppe und gerecht verteile. Alles wieder friedlich. Das ist sehr achtsam von mir.
Ansonsten gehen die Dinge im Garten ihren geordneten Gang. Im Hintergrund führt mit unsichtbarer Hand nicht der Markt, sondern mein Plan die Regie – kein Kleingärtner arbeitet ohne Zwei- oder Vierjahresplan. Etliche Portionen Endiviensalat warten auf die Salatschüssel und können auch später noch nach leichten Minusgraden geerntet werden. Der buntstielige Mangold lockt meinen edlen Feinschmeckergaumen. Ebenfalls gut im Rennen sind der leicht nussig schmeckende Rucola sowie einige Rote-Beete-Kugeln, die mich verschämt anlächeln. Ich fühle mich geehrt. Frisch auf dem Teller überraschen sie manche Gäste, die Gemüse nur aus dem Supermarkt oder vom fancy Beetroot-Salat im Ökoimbiss kennen. Da heißt der Teller dann natürlich „bowl“.
Wie es meinen Hühnern geht? Nun, sie laufen, gackern und fressen, als ginge sie alles andere nichts an. Mir soll es recht sein: Sie sind mit ihrem Mist Teil des gärtnerischen Kosmos, ob sie das wissen oder nicht. Ebenfalls Teil meines Kosmos ist mein in die Jahre gekommener Hochgrasmäher. Eigentlich ist es ein einfaches Teil, läuft mit Zweitaktgemisch, dreht hoch, arbeitet zuverlässig, wenn es denn nicht mal ausfällt. Dummerweise besteht auch eine einfache Maschine aus einigen hundert Teilen, die im Laufe der Zeit das Zeitliche segnen und erneuert werden müssen.
Dieses Jahr war schwer was los im Garten. Weil es die letzten Monate viel regnete, wuchs das Gras in einer Fülle und mit einem Tempo, wie es jahrelang nicht der Fall war. Also musste ich öfter als jemals zuvor an die Front und meine hochdrehende zweitaktgeführte Höllenmaschine anwerfen. Wegen des Lärms – der Auspuff ist in die Jahre gekommen, hält aber noch eben mal so – bekäme ich von den hippen jungen Klimaschützern garantiert die Rote Karte gezeigt. Aber solange die nicht wissen, wer hinter der Geräuschkulisse und dem Benzinduft am Samstagnachmittag steckt, bleibt es bei dem kurzen Aufreger wegen des hohen Lärmpegels. Danach gehen alle wieder brav ihren häuslichen wie familiären Beschäftigungen nach. Und dank mir legte sich am Abend eine benzingeschwängerte Glocke des Klimafriedens über die Menschheit.
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