Identitätspolitische Spielereien mag der letzte linke Kleingärtner nicht. Er schaut lieber über den Tellerrand, wenn auch manchmal von der falschen Seite.
Manche Linken rümpfen bei Themen wie Landwirtschaft und Gemüsegarten die Nase. Genau genommen die meisten von ihnen. Nur wenige können damit etwas anfangen. Aber das wird sich ändern, wenn die Linke demnächst beginnt, weniger auf Identitätsallerlei abzufahren und sich wieder um die Fragen der Menschheit, der Klasse – der Schulklasse natürlich – und um sich selbst kümmert. Wenn sie wieder den Blick über den Tellerrand wagt. Irgendwann ist die Konjunktur des identitären Gegurkes zu Ende. Wobei die Gurken nichts dafür können. Bekanntlich hat alles sein Ende, nur die Wurst hat zwei.
Eine besondere Spezies sind allerdings diejenigen, die großes Verständnis für diese Kolumne haben und sie ja eigentlich – wenn auch recht diffus – gut finden, um dann alsbald ein obligatorisches „Aber“ hinterher zu schieben: „Aber wiederholt sich das denn nicht?“ Nein, diese Befürchtung ist unbegründet.
Das mit der ständigen Wiederholung im Gemüsegarten ist eine recht wacklige Wahrnehmung pflanzlicher und kolumnistischer Vielfalt, auch wenn es von außen betrachtet zunächst plausibel erscheinen mag: Ich pflanze pro Saison 20 verschiedene Gemüsesorten und andere essbare Nutzpflanzen. Vom Frühjahr bis in den Frühsommer wird gesät und gepflanzt, im Sommer, im Herbst und jetzt im Winter wird geerntet. Das ist jedes Jahr gleich. Aber damit hat es sich auch schon mit der ständigen Wiederholung und der Gleichheit. Denn mal wächst die eine Sorte stärker, mal die andere. Mal gibt es ein „Bohnenjahr“ und ich kann mit Zehn-Liter-Eimern ernten, mal reichen meine Hände und Hosentaschen für die Bohnenernte. Real nutze ich Fünf-Liter-Eimer, „Zehn-Liter-Eimer“ hört sich aber besser an. Und letztlich geht es ja um das Maß, und das stimmt.
Von solchen statistisch erfassbaren Äußerlichkeiten abgesehen, ist ein Gemüsegarten ein lebendes Etwas in ständigem Auf und Ab und ständigem Hin und Her des Lebens. Eine Art ultragroßes Wimmelbild. Und ich mittendrin als Chef, der seine Wichtigkeit Tag für Tag erlebt. Da fühle ich mich gut. In einem Garten passiert so viel, innerhalb einer Saison allemal, dass es Jahre dauert, bis es relevante Wiederholungen gibt.
Ein Gemüsegarten ist wie Kindererziehung: Du musst in ständiger Bereitschaft sein.
Ein Gemüsegarten ist wie Kindererziehung: Du weißt, dass etwas passieren wird. Nur weißt du nicht immer, wann und in welchem Ausmaß. Du musst also in ständiger Bereitschaft sein. Das mit dem Chefsein ist selbstverständlich nur die halbe Wahrheit. Denn was nützt es mir, mich wie der Chef zu fühlen, wenn ich außer meinen Hühnern keinen weiteren Zweibeiner habe, den ich dirigieren und dem ich Arbeit zuweisen kann? Solange bin ich nur ein halber Chef.
Ehrlich gesagt träume ich schon ab und an davon, einen Mitarbeiter zu haben. Die Anweisungen für diese fiktive Person liegen in meiner inneren Schublade. Denn in einem 300 Quadratmeter großen Garten mit doppelt so großer Wiese drum herum ist immer etwas zu tun. Mehr als man selbst hinbekommt. Wenn ich einen Mitarbeiter hätte, dann wäre ich nicht mehr nur ein gefühlter Chef, sondern endlich ein richtiger. Aber das Leben ist kein Ponyhof.
Was passiert derzeit im Garten? Ich ernte, was denn sonst? Wie bitte, im Winter? Natürlich. Meine Lagerhaltung findet bei mir im Garten statt: Grünkohl en masse, Kohlköpfe. Okay, nächstes Jahr muss mehr Hühnerkot als Dünger in den Boden. Dann werden die Kohlköpfe größer. Im Schutze des Grünkohls haben einige Rucolapflanzen überlebt. Und die Topinamburknollen drängt es ebenfalls in meinen Kochtopf. Eine Stunde vergeht von der Ernte bis auf den Tisch. Das ist just-in-time-Ernährung, wie sie besser nicht sein kann. Irgendetwas wächst immer, wenn auch derzeit langsamer.
Die Hühner fühlen sich pudelwohl auf den abgeernteten Flächen und scharren dort auf der Suche nach Schnecken und sonstigem essbaren Vieh- und Pflanzenzeugs um die Wette. Die Trauer um ihre kürzlich verstorbene Artgenossin hält sich derweil in Grenzen. In sehr engen Grenzen. Genau genommen interessiert es sie nicht, solange sie von mir Futter und Wasser bekommen und viel Auslauf haben. Mitgefühl ist nicht das Ding des Huhns. Es lebt im Hier und Jetzt.
Deshalb denken sie auch nicht an die widerlichen schwarzen Krähen, die ihnen im Frühjahr wieder zusetzen werden – sie rauben die Eier – sich derzeit aber zurückhalten. Das hat den Vorteil, dass ich keine Tötungsfantasien hegen muss, denn sowas versaut auf Dauer den Charakter und stört das kommunikative Gleichgewicht mit den Mitmenschen.
Trotzdem: Ich lasse mich nicht gerne von Krähen über den Tisch ziehen. Die Eier meiner Hühner gehören mir. Manchmal mache ich damit ein paar mir nahestehende Mitmenschen froh und schenke ihnen welche. Selbstverständlich mit Hintergedanken – ein Kleingärtner verschenkt nie etwas einfach so. Unsereiner hat immer das Geschäftliche im Blick. Entweder entwickelt sich entlang des Eierschenkens ein Tauschgeschäft und ich erhalte etwas Materielles zurück oder die Eier dienen der Netzwerkpflege. Erfolgreiches Networking mit Eiern von glücklichen Hühnern. Dafür spare ich mir dann die abgedrehten und vor allem überteuerten Kommunikationsseminare für 1.000 Euro pro Tag oder Wochenende. Ohnehin kann ich das besser als so mancher Coach. Man sollte mich mal einladen.
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